Zwischenzeiten V
In den Jahren ab 1830 stellte sich heraus, daß die bürgerliche Klasse zum Herrschen nicht taugt. Hatte sie es 1789ff. noch vermocht, im Namen eines dritten Standes zu operieren, dem alle angehörten, die nicht gerade dem Adel oder Klerus zugehörten, erwies es sich doch, daß die wirkliche Spaltung der Neuzeit sich innerhalb dieses Standes selbst vollzieht. Die französische Revolution hatte Ideen hervorgetrieben, welche über die Idee des ganzen alten Weltzustandes hinausführen. Die revolutionäre Bewegung, welche 1789 im Cercle social begann, in der Mitte ihrer Bahn Leclerc und Roux zu ihren Hauptrepräsentanten hatte und endlich mit Babeufs Verschwörung unterlag, hatte die kommunistische Idee hervorgetrieben, welche Babeufs Freund, Bounarotti, nach der Revolution von 1830 wieder in Frankreich einführte. Diese Idee begann sich außerdem einen Körper zu geben. In England gab es die Chartisten und ihre Idee des zur Revolution führenden Grand National Holiday. In Lyon mußten 1831 und 1834 Arbeiteraufstände der Seidenweber blutig niedergeschlagen werden, wenn diese sich auch noch im Namen der kleinen Meister gegen das von einigen Handelskapitalisten beherrschte Verlagssystem richteten. Auch in Deutschland gab es einen Aufstand der schlesischen Weber und einige Hungerkrawalle in Berlin, 1847.
Das Gespenst des Kommunismus ging also durch Europa, so daß die Bourgeoisie es 1848 nicht mehr wagte, das Volk gegen die feudalen Mächte zu mobilisieren. Dort, wo die Arbeiter trotzdem aufstanden – wie in Paris -, wurden sie niedergemetzelt. Die politische Machtübernahme der Bourgeoisie mußte so ohne Truppen auskommen und mißlang vollständig. Statt dessen kristallisierte sich der moderne Staat heraus, welcher sich über den Klassengegensatz erhaben wähnt, wiewohl er das Eigentum durch das Recht gewährt und durch die Polizei schützt. Die politischen Führer der Revolution von 1848/49 fanden sich – ihrer effektiven Ungefährlichkeit zum Trotz – schnell im Exil wieder. In London tummelten sich damals insbesondere zahlreiche Deutsche, die um die Führerschaft der „Armee der Zukunft“ stritten, welche – aus dem Nichts erscheinend – die europäischen Verhältnisse ihren abstrakten Ideen gemäß revolutionieren sollte. Währenddessen kümmerte sich die wirkliche Welt immer weniger um solche verfaulten Produkte der Aufklärung.
Die beiden Freunde Karl Marx und Friedrich Engels gefielen sich eine Weile lang darin, den radikal-demokratischen Flügel der Bourgeoisie zu bilden, spotteten dann aber über ihre scheinbaren Bundesgenossen und publizierten eine kleine Abrechnung (Die großen Männer des Exils), welche illegal vertrieben wurde. Das Buch stieß auf keinerlei nennenswerte Reaktion der 48er, die sich so als absolut identisch mit ihrem im Buch gezeichneten Begriff erwiesen und heute folgerecht vergessen sind. Andererseits war das Proletariat dieser Zeit nicht viel mehr als ein Gespenst: Zwar gefürchtet, aber doch noch sehr imaginär. Dergestalt isoliert hatten die beiden schon 1847 dem Bund der Kommunisten ein kleines Programm geschrieben. Witzigerweise wird in diesem Programm eines Geheimbundes das Ende der Geheimbünde ausgesprochen: Diese Partei bildete sich niemals ein, sie sei imstande, jene Revolution, die ihre Ideen verwirklichen sollte, zu jedem beliebigen Zeitpunkt nach Willkür hervorzurufen Nach 1848 erforschten Marx und Engels stattdessen die Ursachen, welche die jüngste revolutionäre Erschütterung hervorgerufen hatten, sowie die Ursachen, die ihrem Mißerfolg zugrunde lagen. Die zukünftige Entwicklung wurde dabei den sich organisierenden unmittelbaren Produzenten zugeschrieben, welche in den kommenden 100 Sonnenumläufen tatsächlich einige Revolten versuchen sollten.