Lilly Lent
Superthema
Ursprünglich für die vierte Kunstspektakelrevolution geschriebener, dann zurückgezogener Artikel
Superthema
Eines Morgens stellt man erschrocken fest, dass es auch im aktuellen Heft, auch in der aktuellen Veranstaltungsreihe über Literatur wieder mal hauptsächlich um Männer geht und versucht, dem Erschrecken Herr zu werden, indem man die Themenreihe ergänzt und Leute sucht, die diese Ergänzungen schreiben wollen. Das geht exemplarisch à la „Frau xy – ein verkanntes Genie“ oder allgemeiner, als Superthema, „Frauen und Literatur“. Ein bisschen bin ich dieser Wünsche müde, an ein paar tausend Jahren patriarchaler Kultur lässt sich nichts schön reden. Außerdem gibt es zu beiden Themenvarianten durchaus Großartiges, längst Geschriebenes: Am Besten liest man Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“. Hier also nur einige Sätze:
Frauen als literarische Figuren in Romanen und Erzählungen zu finden, war noch nie sonderlich schwierig. Was die Gegenwart betrifft, ist es auch nicht sehr schwierig, Schriftstellerinnen zu finden. Frauen schreiben zwar weniger Artikel für Hefte, halten weniger Vorträge und melden sich insgesamt in der Öffentlichkeit seltener langatmig zu Wort. Frauen schreiben aber durchaus manchmal Bücher und ab und zu werden sie veröffentlicht und manche finde ich gut. Gelegentlich, z.B. an der Universität oder sofern man sich ein paar literarische Gedanken machen will, hätte man aber nicht nur als Heftemacher oder Heftemacherin gerne ein bisschen Geschichte, Tradition, Vorläuferinnen.
Tatsächlich begannen Ende des 20. Jahrhunderts vor allem Frauen damit, Frauen ausfindig zu machen, die im Laufe der letzten ein bis drei Jahrhunderte in der Literatur – und vielleicht sogar Politik – übersehen wurden. Wir hofften, viele Zeugnisse von vielen brillianten Frauen zu finden, die die männliche Geschichtsschreibung nur unterdrückt habe, die aber dennoch geschichtsmächtig geschrieben und gesprochen hätten. Ich hoffte auch darauf, mich an der Universität ein bisschen wohler zu fühlen, sobald diese Frauen auch im Vorlesungsverzeichnis auftauchen würden. Wir fanden auch ein bisschen was, aber nicht allzu viel; in jedem Land ein paar Schriftstellerinnen, die Mehrzahl schon allseits bekannt; insgesamt keine reiche Ausbeute. Manchmal Witziges, Turbulentes, Ambivalentes, hier, in Deutschland, viel Gefühlvolles; häufig mit dem Vorsatz versehen, nur Privates und Erbauliches schreiben zu wollen. Eine Enttäuschung. Nicht viele Schätze waren zu heben. Ab und zu ein Hinweis, dass sich Frauen schon im 19. Jahrhundert krank ärgerten; als Motiv mühsam von Literaturwissenschaftlerinnen geborgen und gedeutet.
Also fressen wir uns weiterhin durch die Deutungen von Weiblichkeit, wir dürfen ja inzwischen mitmachen. Das Bild der Frau in der Klassik, in der Romantik, in der Arbeiterliteratur, in der Moderne etc., dann Diskurse über Weiblichkeit in der Klassik, in der Romantik usw., ein paar „Spannungsfelder“ hier und da und zum Nachtisch für jede ein bisschen Dekonstruktion der alten Schinken. Die deutschsprachige Literatur der Romantik findet man triefend vor Lob der seelischen Vorzüge von Frauen und sie bezeichnet recht präzise den Platz, den Frauen im Universum einnehmen sollten; gut hundert Jahre später kommen zur Verpflichtung der seelischen und möglichst auch leiblichen Vortrefflichkeit noch die Hausarbeit, seltener Lohnarbeit oder das Verteilen von Flugblättern hinzu. Zwischendurch mal Verse, die das Geschlechterverhältnis trocken belächeln (Heine), einzelne wahrhafte Heldinnen (Varnhagen).
Die Ergebnisse des Lesens und Interpretierens sind nicht sonderlich erstaunlich und gehen mich im Grunde nichts an. Ich bin keine Heldin und kenne auch nur wenige; ich besitze die jeweils beschriebenen Vorzüge nicht und bezweifle, dass diese Vorzüge jemals eine Frau besaß oder auch nur eine je Interesse daran hatte, das „uneingelöste Versprechen der Moderne“ o.ä. zu repräsentieren.
Die Forscherei ist also ein bisschen ernüchternd. Keine Geschichte, die ich mir mit ein bisschen Fleiß zu Eigen machen könnte; keine Tradition, in die ich mich hineinsetzen könnte. Nun muss man nicht groß herumgrübeln, warum das so ist. Dazu schreibt nämlich eben Virginia Woolf alles Wesentliche, gleich auf Seite zwei: „… eine Frau muss Geld haben und ein Zimmer für sich allein, wenn sie schreiben will.“ Das hatten Frauen eben nicht, die meisten Männer nicht, das habe auch ich nicht; schließlich ist mit „Geld haben“ bei Woolf kein feste Stelle und ein Kitaplatz für die Kleinen gemeint, sondern ein Dasein als Rentier. Darauf will ich nicht hoffen müssen; das müsste man ganz anders organisieren. Die Schwierigkeiten fangen erst an.
Lilly Lent