Bericht von einer linkscovidianischen Demo am 28.4. in Berlin
Es ist ein schöner Abend. Die untergehende Sonne wirft ihr Licht auf Grüppchen sich auf der Wiese räkelnder Hipster und eifrige Leibesertüchtiger. Doch die letzten Strahlen künden das Ende des Freigangs an, der Souverän ruft nach Einschluss. Auch für Homeoffice und Homeschooling braucht es ausgeruhte Untertanen. Alles zu unserem Schutz, natürlich. Zwei junge Frauen mit Bauchladen schlängeln sich durch die Menge. „Politik oder Esoterik?“, fragen sie. Im Nachhinein hätte ich lieber gewusst, was man bei Esoterik bekommt. Ich habe ein Flugblatt in die Hand gedrückt bekommen: „Close Factories, Not Parks“. Parks schließen ist scheiße, klar. Komischerweise passiert das auf dem Tempelhofer Feld jeden Abend – Fabriken hin oder her.
Liest man den Text weiter, werden drei Wochen bezahlter Urlaub versprochen. Nur nicht für Systemrelevante. Also für die Armen, darunter viele Frauen und Migranten, die alles am Laufen halten, während man #stayathome twittert. Und „Urlaub“ dürfte dann nicht einmal Ostsee sein, sondern der „solidarische Lockdown“. Am Ende des Texts erfährt man, dass nun nebenan eine Demonstration gegen die Ausgangssperren und für eben diesen „solidarischen Lockdown“ stattfindet. Draußen könne man sich gar nicht anstecken – und deswegen seien die abendlichen Ausgangssperren besonders blöd, so der Aufruf. Will die Regierung also die frische Luft verbieten? Will sie nicht. Sie will, sagte Merkel, „abendliche Besuchsbewegungen von einem Ort zum anderen“ unterbinden. Es geht darum, die Menschen voneinander zu isolieren, sie getrennt zu halten. Sie sollen sich nicht in Privaträumen treffen, nur dass man das besser kontrollieren kann, wenn man den Weg nach Hause verbietet. Insbesondere sollen sie sich nicht im Inneren der Räume treffen, aber an sowas denkt der Aufruf anscheinend gar nicht mehr. Die Regierung jedenfalls ist nicht blöd, weil sie sich nicht um Aerosole und ähnliche ulkige Dinge kümmert. So etwas ist ihr schlicht egal, sie will den Laden mit all ihren verfügbaren und noch zu schaffenden Gewaltmitteln am Laufen halten, dafür ist sie da, Gesundheitsschutz ist ein willkommener Vorwand.
Aber immerhin gegen Ausgangssperren. Also schnell noch ein Bier geschnappt und auf zum Herrfurthplatz. Ein paar Leute sitzen vor der dortigen Kirche, vereinzelte Grüppchen, drumherum viel Polizei. Es wird getrunken, gelacht, geraucht, Kinder sind dabei. Es sind nur wenige. Dabei gibt es viele, die die Ausgangssperren ablehnen. Die überhaupt das gesamte Regime ablehnen, das eine Bevölkerung einsperrt, angeblich aus neuentdeckter Liebe gerade zu den Alten und Schwachen. Die keine Lust haben, künftig bei jeder Virenwelle in den Lockdown geschickt zu werden, weil der gesundheitsindustrielle Komplex an einer Vorsorge kein Interesse hat. Und die skeptisch sind, dass Impfstoffe eine guter Ersatz dafür sind. Es gibt viele Menschen, die sehr viel mehr ablehnen als nur die Ausgangssperren – sogar unter den radikalen Linken. Erstaunlicherweise wollen sich viele davon selbst im Kreise ihrer Genossen nicht äußern, weil sie mit Ausgrenzung rechnen müssen. Ein kleiner Trupp mit Lautsprecher auf einem Fahrrad trifft ein. Man könne eine Kummernummer anrufen, um von seinen Sorgen in der Pandemie zu erzählen, sagt der Typ mit dem Mikro, das Telefon soll dann ans Mikro gehalten werden. Das Mikrophon als Virenschleuder. Kaum jemand macht davon Gebrauch. Stattdessen werden vorab aufgenommene Redebeiträge abgespielt, das ist genau so dröge, wie es klingt. Zudem meist zu leise und nicht zu verstehen. Wem nützen die Ausgangssperren, fragt der Redner. Nur der Bundesregierung, den Konzernen und der Polizei. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, es regt sich zustimmender Applaus. Zwischendurch ein paar discotaugliche Popsongs.
Es werden ein paar mehr Leute. Zwar trinken und rauchen noch immer einige, doch inzwischen haben wie selbstverständlich viele ihre Partikelschutzmasken auf, obwohl man ausgesprochen locker steht. Ich trinke Bier, entdecke Bekannte, wir reden. Was man bei solchen Gelegenheiten eben so macht. Ein Typ kommt auf uns zu. „Ihr merkt schon, dass ihr keine Masken aufhabt?“ Wie sollte das Bier sonst einen Weg in meinen Mund finden … „Wir demonstrieren hier gegen die Ausgangssperren, wir halten uns an die Regeln“, motzt der Typ weiter, der uns inzwischen ins Visier genommen hat. Halt mal Sicherheitsabstand, Genosse Hilfsbulle. Wir geben ihm zu verstehen, dass er seinem Einsatzleiter auf Nachfrage versichern kann, dass wir nun gar nicht mehr Teil seiner Versammlung sein möchten. Man will offenbar sowieso unter sich bleiben, bloß kein unkontrollierbarer Haufen sein. „Haut ab, verpisst euch“, blökt er uns an. Früher, denke ich, hat man Leute mit der Distanzierungsmacke selbst distanziert. Die nerven und machen politisch handlungsunfähig. Die Demo läuft los, der Macker trollt sich mit der Menge. „Impfung für alle, sonst gibt’s Krawalle“ skandierend geht es durch die Weisestraße über die Hermannstraße. Impfe werden sie schon bekommen, Krawalle eher nicht. Und dann in die dunkle und menschenleere Hasenheide. Spätestens hier wird es völlig surreal. Bei einer Zwischenkundgebung an der Hasenschänke ist außer den um die 300 Demonstrierenden und paar Dutzend Polizisten niemand zu sehen. Trotzdem der obligatorische Hinweis auf Abstand und Maske. „Wir sind verantwortungsbewusst“, heißt es vom Lautsprecher. Erstaunliche Karriere eines sozialdisziplinierenden Begriffs. Aber man kann auch anders. „Bullenschweine raus aus den Kiezen“ hallt es durch den leeren Park, die Bullen amüsieren sich prächtig und stimmen ein. Immerhin die haben noch Ironie. Das Volk stimmt derweil mit den Füßen ab, zahlreiche Grüppchen verlassen dieses öde und gespenstische Selbstgespräch versprengter Linker. Dann nochmal Richtung Kreuzberg, dort angekommen gibt es etwas wie Stimmung. Feuerwerk, sogar Pyro. Ist aber auch schnell wieder vorbei. Die Demo strandet vorm Urbankrankenhaus, letzte Absetzbewegungen. Weitere Grüppchen nehmen die letztlich verhassten Masken ab und strömen zu einem noch geöffneten Späti. Streng wurde darauf geachtet, dass der Protest im zivilgesellschaftlichen Rahmen bleibt, dass er verantwortungsbewusst und also letztlich symbolisch bleibt. In Kreuzberg 36 schläft es sich besser mit wirkungslosen Widerstandsgesten. Nur politisch darf es nicht werden, also im wirklichen Gegensatz zu dieser Gesellschaft und den Lebensformen, die uns die Regierung nun per direkten Zwang aufdrückt, schützend flankiert von der pseudoliberalen und pseudolinken Zivilgesellschaft. Auch unter Linken mag es jene geben, die schweigen, die um des lieben Frieden willens, aber ohne innere Überzeugung die falschen Parolen mitrufen, die nicht ans Ideal des virenfreien und garantiert ansteckungsfreien Lebens glauben. Die Demo löst sich auf. Man hat mit einem harmlosen Spaziergang den Teil des schlechten Gewissens beruhigt, der sich immerhin angesichts der Ausgangssperren noch regte. Den Rest hat man sowieso schon gekauft und man wird auch künftige Scheußlichkeiten mittragen, aber man hat gezeigt, dass man auch ein bisschen dagegen ist. Kreuzberger Nächte sind ruhig, Ordnung herrscht in Berlin.