Prärevolutionäre Weltverneinung
Bemerkungen zur Debatte über den aktuellen Antifaschismus
Beitrag zu den „Bestimmungen für eine neue Antifa-Debatte“, die Phase 2 in Ausgabe 14 angeregt hatte. Erschienen in Phase 2, 16/2005
I.
Die derzeitigen antifaschistischen Gruppen geben sich oft recht kämpferisch. „Deutschland hassen“, „Deutschland verraten“, „Deutschland von der Karte streichen“, „no tears for krauts“, „bomber Harris, do it again“ sind ihre Parolen. Kompromisslos und entschlossen wirkt ihre Absage daran, sich mit den gegenwärtigen Zuständen zufrieden zu geben. Die Gründe dafür, Deutschland zu hassen, werden dabei jedoch selten aus eigenen unangenehmen Erfahrungen mit diesem Land und seinen Bewohnern genommen. Statt sie aus der Sache selbst zu begründen, können die Antifaschisten die Ablehnung der Gegenwart offenbar nur auszudrücken, indem sie einen Umweg über die nationalsozialistische Vergangenheit nehmen. Das Missvergnügen an den Zeitgenossen begründen sie, indem sie auf die von deren Großeltern begangenen Untaten, bzw. deren ideologische Instrumentalisierung hinweisen. Leid und Unglück der gegenwärtigen Welt tauchen höchstens im Gedenken an die Opfer von Neonazis oder Islamisten auf, deren ideologische Nähe zum deutschen Faschismus man zurecht betont. Die schlechte Einrichtung der heutigen Institutionen wird bewiesen, indem man ihre Ähnlichkeit mit denen des Dritten Reichs herausstellt.(1)
Hitler und die Nazis sind heutzutage allgemein anerkannte Symbole für das Böse schlechthin. Indem die Antifaschisten zu zeigen versuchen, dass in der scheinbar geläuterten Demokratie noch viel von dem vergangenen Bösen steckt und dass dieses Potential sich gegebenenfalls in Zukunft wieder in alter Unverblümtheit hervorkehren könnte, hoffen sie, ihrem Publikum die Augen für die Unhaltbarkeit unserer Gesellschaftseinrichtung zu öffnen. Sie beschränken sich dabei nicht darauf, NPD-Parteitage oder Neonaziaufmärsche anzuprangern, die auch von den meisten übrigen Bürgern abgelehnt werden. Vielmehr versuchen sie, einen Zusammenhang zwischen der offen nazistischen Minderheit und der demokratischen Mehrheit aufzuzeigen, den sie mit Begriffen wie „rechter Konsens“, „völkische Option“ oder „deutsche Ideologie“ umschreiben, womit sie zum Ausdruck bringen wollen, dass auch den gewöhnlichen Deutschen nicht über den Weg zu trauen sei. Jedoch gelingt es ihnen mit diesen Begriffen nicht, die innere Notwendigkeit des Zusammenhangs zu fassen, weshalb sie sich letztlich immer mit positivistischem Zitieren von Meinungsumfragen und Wahlergebnissen behelfen müssen.
Wenn man sich bemüht, die Dinge teleologisch anzusehen, kann man die Haltung dieser Politaktivisten als prärevolutionär bezeichnen. Sie haben sich ja schließlich nicht den schlechtesten Grund zur Rationalisierung ihrer Weltverneinung ausgesucht und postulieren immerhin mit viel verbalem Radikalismus einen Antagonismus zwischen sich und dem Rest der Deutschen. Sie belassen es nicht dabei, an dieser oder jener Erscheinung herumzumäkeln, sondern beanspruchen, die Gesellschaft in ihrer Totalität zu verwerfen. Dass sie diese nicht nur romantisch destruieren, sondern konstruktiv in eine höhere Ordnung überführen wollen, deuten sie schüchtern an, indem sie symbolisch an eine andere Bewegung der Vergangenheit erinnern. Zu diesem Zweck werden Parolen wie „Her mit dem Kommunismus“ recht unvermittelt unter diverse Demonstrationsaufrufe geklebt. Das Wörtchen „kommunistisch“ steht dabei für den Anspruch, die heutige Gesellschaft radikal zu verneinen. Das Wörtchen „antifaschistisch“ steht für das Unvermögen, dieser Verneinung anders Ausdruck zu verleihen als durch den Verweis auf die nationalsozialistische Vergangenheit, insofern der Antifaschismus als selbstständiges Politikfeld formuliert wird und nicht als notwendiges Moment kommunistischer Kritik.
II.
Unter den Debattierenden in dieser Zeitschrift besteht ein gewisses Bewusstsein für diese Mängel des Antifaschismus, denen sie durch gründlichere Diskussion abhelfen wollen. Beispielhaft sei hier ein Beitrag der Hamburger Gruppe bad weather betrachtet, der versucht, die nazistische Kontinuität etwas genauer begrifflich zu bestimmen.(2) Als Ausweis der Verwandtschaft der heutigen Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus identifiziert sie den derzeitigen Antiamerikanismus. Dieser erfülle heute die nämliche Funktion wie der Judenhass im Dritten Reich: Er sei „Bedingung für die Beendigung des Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital“. Wie früher die Juden als „Negativ-Projektionsfläche“ herhalten mussten, so würden heute „die negativen Erscheinungen des Kapitalismus abgespalten, exterritorialisiert […], und in den USA reterritorialisiert“. Dies sei der Grund, warum hierzulande trotz vermindertem Massenwohlstand und sich ankündigender Krise der soziale Frieden gewahrt bliebe.
Zunächst müssen wir uns darüber verständigen, was hier eigentlich gesagt wird. Worin besteht beispielsweise der „Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit“ von dem die Gruppe bad weather spricht? Es ist, grob gesagt, der Widerspruch zwischen dem lebendigen Arbeiter und der toten, in der Vergangenheit aufgehäuften Arbeit, die, vergegenständlicht als Maschinerie, Bürotürme oder Computerprogramme, dem Individuum als feindliche Macht erscheint, welcher es gehorchen muss. Weil aber diese feindliche Macht nichts anderes als die entfremdete eigene Macht des Arbeiters ist, so ist der Antagonismus anders formuliert der Widerspruch zwischen dem von der überschießenden menschlichen Produktivität eröffneten Universum freier Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens und ihrer Verunmöglichung durch die gegenwärtige gesellschaftliche Organisation.
Dieser Antagonismus sei nun beendigt. Wie geht das zu? Um ihn aufzulösen, müssen entweder die sozialen Tatsachen abgeschafft werden, die der Realisierung der erahnbar gewordenen Möglichkeiten entgegenstehenden – oder aber das Bewusstsein dieser Möglichkeiten verschwinden. Welche Alternative sich bisher stets durchgesetzt hat, ist bekannt. Solange die Individuen sich nicht zur gemeinsamen Gegenwehr assoziieren, bleibt ihnen wenig übrig, als sich mit ihrem Ausbeutungsverhältnis zu identifizieren, von dessen Qualität ihre Lebenschancen abhängen. Das eigene Leben, der hoffentlich feste Job, das soziales Umfeld, die Vergnügungen und Freizeitbeschäftigungen sowie die Aussichten, dass alles zumindest so bleibe oder man sogar Aufstiegschancen habe – mit diesem, als dem positiv Gegebenen muss man sich früher oder später arrangieren, um nicht durch romantischen Eskapismus seine Leistungsfähigkeit zu untergraben. Die negativen Erscheinungen, die bad weather erwähnen, sind demgegenüber alles, was diese Affirmation des eigenen Lebens in Frage stellt. Dies können Nachrichten von Entlassungen oder ökonomischen und sozialen Krisen sein, die darauf hinweisen, wie prekär die eigene materielle Grundlage ist. Viel gefährlichere Momente des Negativen sind jedoch potentiell Verlockungen, die an die Möglichkeit von Glück ohne Schweiß erinnern und dadurch den Sinn täglicher Disziplinierung und fortwährenden Verzichts in Zweifel ziehen. Wenn es stimmt, was Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung schreiben, werden die Juden gerade für das Glück gehasst, das man ihnen zuschreibt. So ist Antisemitismus der verschobene Hass auf das Nichtidentische, welches „abgespalten“ und „exterritorialisiert“ werden muss, um den gesellschaftlichen Anforderungen genügen zu können. Die negativen Erscheinungen sind dabei nicht äußerliche Eingriffe, die mit den positiven zusammenhängen, sondern die Momente ihrer Gegenwart sind immer beides zugleich. Jeder Feierabend wirft die Frage auf, warum er nicht schon früher möglich gewesen sei, jeder Urlaub könnte länger sein, usw. Daher ist das Bestreben, sich vor den negativen Momenten zu schützen, mit denen bereits der bornierte Alltag droht, immer vom Scheitern bedroht und bedarf ungeheurer Rationalisierungsleistungen, um nicht in sich zusammenzubrechen. Die verrückte Form der Produktion muss notwendig wiederum verrückt erscheinen, denn sonst würde sie niemand ertragen. Allenfalls ihre eigenen Handlungen versuchen sich die Subjekte als rationale zurechtzulegen – davor, dass ihnen das mal nicht gelingen könnte, haben sie Angst. So wird mit der täglichen Produktion von Waren gleichzeitig die Notwendigkeit einer falschen Vorstellung von der realen Produktion reproduziert. Der Antagonismus ist damit aber nicht an sich beendigt, sondern nur für das Bewusstsein der Beteiligten.
III.
Wie genau nun der Antiamerikanismus das Aufbrechen gesellschaftlicher Konflikte verhindert, versucht die Hamburger Antifa-AG an folgendem Beispiel zu verdeutlichen: Im Oktober 2004 gab der General-Motors- Konzern die Entlassung von mehreren Tausend Arbeitern des Bochumer Opelwerks bekannt, welche daraufhin in Streik traten. Der Stern reagierte darauf mit einem Cover, auf dem ein aus Menschen bestehendes Opel-Zeichen von einem amerikanischen Cowboystiefel zertreten wird. Die Schlussfolgerung von bad weather: „Offenbar ist man in Deutschland nur dann zu so genannten wilden Streiks bereit, wenn das Feindbild .amerikanisch. markiert ist. Nie käme man auf den Gedanken, in derartiger Weise gegen das Deutsche Kapital zu opponieren.“ Hier gerät nun einiges durcheinander: Wurde vorher der Antiamerikanismus als ein Mittel zur Bewahrung des sozialen Friedens bestimmt, sollen jetzt die Arbeiter streiken, weil sie antiamerikanisch sind. Ganz egal, was die Opel-Arbeiter sonst so im Kopf haben, in dem Moment, da sie in Streik traten, haben sie jedenfalls nicht antiamerikanisch gehandelt. Zweitens wird die Reihenfolge auf den Kopf gestellt. In Wirklichkeit kam es erst zum Streik und danach wurde das „Feindbild .amerikanisch. markiert“, und zwar von einem Konsortium aus Gewerkschaftern, Politikern und Kirchenvertretern. Diese sprachen den Arbeitern ihr tiefes Mitgefühl und Verständnis aus, betonten, dass „wir“ gegen dieses „dreiste und unabgesprochene Vorgehen der amerikanischen Geschäftsleitung“ unbedingt zusammenhalten müssten, und riefen vor allen Dingen dazu auf, doch um Gottes Willen endlich wieder arbeiten zu gehen.
Im Widerspruch zu ihrer allgemeinen Analyse verwechseln die Antifas hier den sozialen Konflikt selbst mit dem Mittel seiner Bewältigung. Weiter lässt die Beschreibung die Akteure der Konfliktbewältigung völlig unbestimmt, indem sie das antiamerikanische Ressentiment einfach als Ausdruck nicht näher spezifizierter „Diskussionen in Deutschland“ ausgibt. In einer Art negativen Wendung des linksliberalen Demokratie- Idealismus gehen die antifaschistischen Kritiker offenbar davon aus, dass sich im herrschaftsfreien Diskurs der bürgerlichen Öffentlichkeit lauter autonome Einzelwillen ganz zwanglos zu einem amerikafeindlichen Gesamtwillen aufaddieren. Die deutsche Friedhofsruhe erklärt sich in dieser Perspektive daraus, dass die Einzelnen aus individueller Spontaneität stets exakt das zu den jeweiligen Erfordernissen der Herrschaft passende verkehrte Bewusstsein hervorbringen und dabei auf wundersame Weise alle dasselbe denken. Konflikte erscheinen so als a priori ausgeschlossen, die Beendigung des Antagonismus als irreversibel. Tatsächlich zeigt aber die Ausnahme des Bochumer Streiks, dass es sich bei dem Bild prästabilisierter Harmonie, welches den Normalzustand ausmacht, um falschen Schein handelt. Die Opel-Arbeiter haben für einen Moment lang die üblichen Rationalisierungen vergessen, weil der Schock zu groß war (und, auch dass soll nicht verschwiegen werden, weil sich in dem Werk ein organisierter Kern befand, der den Anstoß zum Handeln gab). Es dauerte ein paar Tage inklusive Dauerfeuer des besagten Konsortiums, bis die Betäubungen wieder funktionierten. Dass dies so schnell ging, liegt daran, dass die Aktion vollkommen konservativen Charakters war: Es ging den Arbeitern ja nicht um ein besseres Leben, sondern darum – angesichts der drohenden Entlassung – ihr tristes bisheriges Leben zu behalten. Zudem mussten die Arbeiter bald einsehen, dass sie mit der vorzeitigen Schließung ihres ohnehin unrentablen Werks durch Streik kein wirksames Druckmittel besaßen. Es ist somit lediglich eine kleine Ungleichzeitigkeit entstanden zwischen zwei Segmenten, die jeweils vollkommen affirmativ zum Bestehenden sind.
Solche Ungleichzeitigkeiten machen aber deutlich, dass die Übereinstimmung von borniertem Sein und trübem Bewusstsein nicht a priori besteht, sondern immer wieder aufs neue reproduziert werden muss. Zwar haben die isolierten Einzelnen von sich aus ein Bedürfnis nach asiatischen Lebensweisheiten und anderen Verklärungen. Aber aus dem Umstand, dass das Volk in seiner Schwäche des Opiums bedarf, folgt nicht, dass es dieses selbst herstellen könnte. Dazu werden besondere gesellschaftliche Institutionen benötigt – in den modernen Gesellschaften übernimmt diese Aufgabe in erster Linie der scheinpluralistisch organisierte Komplex der mass media. Der Bereich der unmittelbar politischen Desinformation, dessen Spezialisten für Missstände aller Art gegebenenfalls einige Buhmänner präsentieren, vor allem aber in ihren scheinkontroverse Debatten implizit stets die Gewissheit reproduzieren, dass der zum Sachzwang verdinglichte Vermehrungstrieb des Kapitals als unhinterfragbare Naturbedingung des menschlichen Lebens akzeptiert werden muss, spielt dabei eher die geringere Rolle. Schwerer wiegt, dass die in der Form isolierter Fakten unter der Rubrik „Politik“ präsentierten Fetzen Realität in ein Meer von Reklame, Musiksendungen, Übertragungen von Sportveranstaltungen, Quizshows, soap operas und anderen Unterhaltungssendungen eingebettet sind, in welchen das Kapital sich als volkswohltätige Einrichtung in Szene setzt. Indem der Mediensektor im Verbund mit den übrigen Sparten der Kulturindustrie freundlicherweise die Aufgabe übernimmt, von früher Jugend an unsere so genannte Freizeit zu organisieren, züchtet er einen Typus des passiven Konsumenten heran, dessen ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, den Befehl zum Erwerb der nächsten Generation irgendwelcher Hervorbringungen der Elektronikindustrie nicht zu verpassen. Indem der von den Verkaufsstrategen der Konzerne für uns erdachte lifestyle zur einzig erstrebenswerten, ja denkmöglichen Daseinform wird, wird der Antagonismus zwischen positiv gegebenen Leben und den von den herrschenden Verhältnissen verhinderten Möglichkeiten der modernen Welt so nachhaltig verdrängt, dass er höchstens noch negativ im Ressentiment erscheint.
Strukturierte Erfahrung oder gar Kommunikation, die unabhängig vom Medienkomplex wäre, scheint es kaum zu geben. Bezeichnenderweise sagte einer der Streikenden aus Bochum in einem Interview, dass sie über die Vorgänge in dem ebenfalls bestreikten zweiten Werksteil, das sich nur wenige Kilometer entfernt befindet, „vor allem über die Medien“ informiert worden seien. Indem sich das mediale Bild als einzige Wirklichkeit setzt, verschwindet im Resultat sein Zustandekommen – daher der Schein des spontanen, quasi basisdemokratischen Gleichklangs der Volksgenossen. Solange die herrschende Organisation des Lebens das einzige ist, was überhaupt bekannt ist, kann sie nicht kritisiert werden. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass entstehende Ansätze von Opposition ihr diffuses Unbehagen zunächst nur durch die Beschwörung der nationalsozialistischen Vergangenheit ausdrücken können. Die Antifaschisten haben gewiss nicht unrecht, wenn sie feststellen, dass etwa im derzeitigen Hass auf Amerika oder dem partiell positiven Bezug auf das Dritte Reich erahnbar wird, dass das im Nationalsozialismus manifest gewordene Destruktionspotential auch der heutigen Gesellschaft latent innewohnt und im Falle einer größeren Krise zum erneuten Ausbruch kommen könnte. Die ausschließliche Konzentration auf solches sich politisch äußernde Ressentiment lenkt jedoch davon ab, dass andere Aspekte des Medienbereichs wahrscheinlich viel prägender für das konformistische Alltagsbewusstsein sind. Die Antifaschisten exterritorialisieren ihre Kritik auf das Gebiet der Politik und spalten sie somit vom eigenen Leben ab. Wahrscheinlich ist dies in der gegenwärtigen Situation zunächst notwendig, weil eine zu frühe Anwendung der Kritik auf die noch schwachen Kritiker selbst diese völlig zu Boden drücken würde.
IV.
Bleibt den Hamburger Antifaschisten die alte Frage „Was tun?“ zu beantworten: „Ziel kritischer antifaschistischer Interventionen sollten jene ideologischen Kampagnen sein, in denen die postnationalsozialistische Gesellschaft zu sich selbst kommt.“ Schön und gut, denkt man sich, und erwartet näheren Aufschluss darüber, welchem letztendlichen Zweck die Unternehmung dienen soll. Seltsamerweise erfährt man darüber von den Autoren kein Wort. Damit ist die Instruktion aber wertlos: Wenn das strategische Ziel einer Intervention gar nicht bekannt ist, ist es natürlich unmöglich, die richtigen taktischen Mittel zu bestimmen.
Dabei wäre das Ziel ihrer Bemühungen leicht anzugeben. Wenn als das Elend der heutigen Gesellschaft bestimmt wurde, dass sie ihren Antagonismus verdrängt, so kann der einzig sinnvolle Zweck eines Angriffs auf ideologische Kampagnen doch nur darin bestehen, dieses Verdrängte zurück ins Bewusstsein zu bringen, um so erneut eine Spannung zu erzeugen. Wenn auch derzeit keiner so recht weiß, wie man sich diesem Ziel nähern könnte, so wäre es doch ein Fortschritt, es immerhin zu benennen. Die Konfusion im Denken der Kritiker nähme ab, das platte Bild der Wirklichkeit würde perspektivisch, indem es einen Fluchtpunkt erhielte. Dann erst könnten Fragen von Strategie und Taktik wieder sinnvoll diskutiert werden. Es würde dann wohl auch schnell ersichtlich, dass die „geschichtspolitisch zentralen Events“ welche bad weather als wichtigstes Interventionsziel ausgemacht haben, nicht unbedingt diejenigen sind, welche gegenwärtig für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Schlafzustandes zentral sind.
Der Grund für den Konfusionismus der Kritiker ist wohl weniger mangelnde Denkanstrengung denn begründete Furcht vor der eigenen Aufgabe. Dies ist kein spezielles Problem des Antifaschismus, sondern betrifft genauso alle anderen heutigen Versuche der Opposition. Weder die, welche auf die Verbrechen von früheren und heutigen Nazis starren, noch jene, die abstrakt den Widerspruch von Kapital und Arbeit beschwören und dabei selten mehr als bornierte Ungleichzeitigkeiten im Kopf haben, stellen sich der Aufgabe, die Misere des alltäglichen Lebens zu benennen. Es müsste darum gehen, den Widerspruch zwischen Möglichem und Tatsächlichen nicht abstrakt zu behaupten, sondern ad hominem zu demonstrieren. Vor einer solchen nüchternen Bestandsaufnahme schrecken verständlicherweise alle zurück, weil das Ergebnis niederschmetternd wäre und man die Anstrengung scheut, die es bräuchte, sich zu ändern. Deshalb muss alles verdrängt werden, was die Identität der Person mit ihrem entfremdeten Leben infrage stellen könnte. Würde dieses negative Potential, welches bad weather so schön als die „negativen Erscheinungen des Kapitalismus“ benannt haben, von einer zukünftigen subversiven Kraft bewusst ausgesprochen und eindringlich vorgeführt, so könnte es nicht mehr abspalten und beispielsweise auf die USA projiziert werden. All diejenigen, die das Leben so lassen wollen, wie es ist, würden sich sofort gegen diese Kraft der Negation verbünden, welche den Volkszorn entfacht, indem sie die Aussicht auf einen anderen Zustand eröffnet. Es ginge darum, den Antiamerikanismus zum Antikommunismus zu transformieren, indem man sich zur wirklich revolutionären Kraft mausert, sodass die verhinderten Konterrevolutionäre nicht länger in Ermangelung eines greifbaren Feindes ein Ersatzobjekt bekämpfen müssten.
Fußnoten:
(1) So lehnt die antifaschistische Gruppe bad weather das bundesrepublikanische Sozialsystem ab, weil dessen „Parallelen zum NS-Arbeits- und Wohlfahrtsstaat […] so evident“ seien, „dass es sich für antifaschistische Linke eigentlich verbieten sollte, den postnazistischen Sozialpakt und seine ideologische Unterfütterung zu verteidigen“, Antifa-AG bad weather, Antifa 2004 – Quite a Feeling, Quite a Relief, Quite a Mess, Phase 2.14, Dezember 2004, 28-30.
(2) Alle nachfolgenden Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet, sind diesem Artikel entnommen.