Lieber Bernd,
ein paar Gedanken zu Deinem Marx-Vortrag: Wenn ich Dich richtig verstehe, siehst Du den bürgerlichen – vor allem technischen – Fortschritt recht skeptisch und betonst, dass dieser nicht nur die Produktiv- sondern insbesondere die Destruktivkräfte ins Unermessliche gesteigert habe. Und daher sollte es, wie in der leider weitgehend folgenlos gebliebenen Mahnung von Walter Ulbricht angedeutet, im Sozialismus nicht darum gehen, den Kapitalismus in Sachen Produktivität zu übertrumpfen – sondern vielmehr, die von ihm hervorgebrachten Technologien einer kritischen Prüfung zu unterziehen, wobei vieles grundsätzlich umzukrempeln und manches ersatzlos zu streichen wäre. So weit so gut.
Im Zusammenhang mit dieser Fortschrittskritik kritisierst Du jedoch auch „die Anmaßung, die ganze Menschheit und zwar am besten auf einmal befreien zu wollen“, die Du als einen Größenwahn interpretierst, der gewissermaßen dem kapitalistischen Hang zum Riesenhaften abgelauscht sei. Stattdessen rätst Du uns, in Zukunft „kleinere Brötchen zu backen“. Hier scheint mir jedoch ein Widerspruch vorzuliegen: Auch wenn man sich die Revolution nicht als „Lokomotive“, sondern als „Notbremse“ der Weltgeschichte vorstellt, sie hätte doch nur als eine aufs „Große und Ganze“ gehende Unternehmung einen Sinn. Wenn ich als Privatperson aufs Auto verzichte und mir kein Smartphone anschaffe oder wenn meine Freunde sich einer food-sharing-Initiative anschließen, stört dass die Herrschenden und ihre Großprojekte, die die Welt jeden Tag gründlicher und wahrscheinlich irreversibel umpflügen, nicht im Geringsten.
Ich kann Deine Empfehlung, „kleinere Brötchen zu backen“, als Mahnung akzeptieren, die Kleinheit und völlige Unzulänglichkeit unserer momentanen „revolutionären“ Projekte im Blick zu behalten und nicht zu versuchen, diesen Mangel durch hohle Phrasendrescherei zu übertünchen. Jedoch sollte man sich auch bewusst sein, dass diese Projekte ihren wesentlichen Sinn, ohne den sie weitgehend vergeblich bleiben, in einer in der Zukunft liegenden großen Umwälzung haben, die tatsächlich die ganze Menschheit involviert. Lässt man diesen Bezug aufs „Große und Ganze“ als Fluchtpunkt weg, landet man bei irgend einer Spielart des reformistischen, konservativen oder auch unpolitischen Sich-Einrichtens in den bestehenden Verhältnissen.
Viele Grüße
Josef Swoboda