Das Gespenst des Illuminatenordens
Verschwörungstheorien und wirkliche Verschwörungen
I.
Der Geheimbund der Illuminaten ist heute vor allem durch seine Verarbeitung in der Populärkultur bekannt. Dort wird immer wieder gerne auf ihn zurückgegriffen, wenn das Bild einer geheimnisumwitterten Verschwörung gebraucht wird. So zum Beispiel in dem deutschen Film 23 – Nichts ist, wie es scheint, welcher auf der wahren Geschichte eines paranoiden Computer-Hackers basiert. Die Illuminaten tauchen hier als mysteriöse Vereinigung auf, die durch ihr verborgenes Wirken ungeheure Macht erlangt habe und das Weltgeschehen entscheidend beeinflusse – unter anderem ginge die Ermordung von John F. Kennedy und die Bombardierung von Tripolis durch die US-Luftwaffe auf ihr Konto. Ihre Ursprünge seien im Bayern des 18. Jahrhunderts zu suchen, prominente Personen wie Mozart und Goethe seien dabei gewesen und es sei der Organisation gelungen, ihr Zeichen – die Pyramide mit dem Auge – auf den Banknoten der bedeutendsten Währung der Welt zu plazieren.
In Dan Browns Thriller Illuminati erfahren wir, dass die Mitglieder des Ordens fanatische Anhänger der wissenschaftlichen Naturerklärung und erbitterte Feinde der Religion seien. Der Plot des Romans ist, dass die Illuminaten versuchen, mittels einer neuartigen Wunderwaffe den Vatikan in die Luft zu sprengen, was die Helden der Story in einem 24stündigen Wettlauf gegen den Zeitzünder verhindern müssen.
Näheres über die der Ziele der Verschwörer findet sich in der Computerspielverfilmung Lara Croft – Tomb Raider: es ginge ihnen darum, einen entscheidenden Eingriff in die Zeit vorzunehmen. Indem sie Vergangenheit und Gegenwart – in den beiden Hälften eines zerbrochenen magischen Dreiecks vergegenständlicht – zusammenfügen, hoffen sie, Souveränität über die Zeit und damit ungeahnte Macht zu erlangen. Auch die Heldin Lara, die sich danach sehnt, ihren verstorbenen und schmerzlich vermißten Vater wiederzusehen, wird von den sich hier eröffnenden dämonischen Möglichkeiten in Versuchung geführt. Doch der Geist ihres Vaters überzeugt sie schließlich, daß es den Menschen nicht zustehe, „in die Zeit einzugreifen“, und sei es, um sich „gestohlene Zeit zurückzuholen“. So leistet sie persönlichen Verzicht, um die Welt zu retten und den drohenden Anschlag auf die bestehende Ordnung der Dinge zu vereiteln.
Sowohl in Illuminati als auch in 23 wird das Andauern der illuminatischen Verschwörung bis in die Gegenwart am Ende als Fiktion entlarvt (während Lara Croft derart mit mystischen Elementen durchsetzt ist, dass sich die Frage nach Fiktion und Realität gar nicht stellt). Dennoch lebt die Faszination, die von den beiden erstgenannten Werken ausgeht, sehr wesentlich von der mit einem leichten Schaudern gestellten Frage, ob denn nicht vielleicht doch etwas dran sein könnte an den Verschwörungsgeschichten. Es sei ja schon alles ziemlich abenteuerlich, aber immerhin gäbe es eine Reihe äußerst bemerkenswerter historischer Tatsachen. Offenbar ist die Wahrnehmung und das Erleben vieler Rezipienten dem des Protagonisten von 23 nicht so unähnlich, eines jugendlichen Netzwerk-Hackers, der mit den besten Absichten von der Welt in ein böses Spionage-Spiel gerät und darüber zunehmend verfolgungswahnsinnig wird. Wie er scheinen viele sich der Souveränität über ihr alltägliches Leben beraubt zu sehen und das diffuse Gefühl einer drohenden Gefahr zu verspüren, während sie zugleich den Dieb nicht benennen, beziehungsweise die Ursache der Bedrohung nicht dingfest machen können. So wird das Deutungsangebot, wonach in Wirklichkeit nichts ist, wie es scheint, sondern hinter dem scheinbar chaotischen Weltgeschehen eine mit Bewusstsein und Willen begabte böse Macht die Fäden in den Händen hält, dankbar aufgegriffen – und sei es, zunächst, nur versuchsweise als kulturindustrielle Fiktion. Weiter lässt sich an dem Interesse an Werken wie Lara Croft oder Illuminati – wie an dem beliebten Genre der Weltuntergangsverhinderungsfilme insgesamt – ablesen, dass die Zuschauer es offenbar vorziehen, sich von irgendwelchen dem personifizierten Bösen komplementären Lichtgestalten retten zu lassen, anstatt sich selbst Gedanken über ihre Rettung zu machen und damit aufzuhören, nur Zuschauer zu sein.
II.
Während man also aus Filmen und Romanen dieser Art einiges über das Bewusstsein und die Bedürfnisse des heutigen Publikums schließen kann, erfährt man über ihren angeblichen Gegenstand – den Bund der Illuminaten – wenig Brauchbares. Überhaupt ist es nicht ganz einfach, sich über den Orden zu informieren – schließlich handelte es sich um einen Geheimbund, der darauf achtete, bei seinem Wirken möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Die wissenschaftliche Literatur, die zu diesem Thema in den letzten zwei Jahrzehnten recht zahlreich erschienen ist, kann man weitgehend ignorieren. Dies deshalb, weil es akademischen Zuschauern naturgemäß schwerfällt, das Wirken geschichtlicher Akteure zu begreifen. Am besten, man hält sich an die Originalschriften, welche vom bayrischen Staatsschutz bei der Aufdeckung der Verschwörung im Jahre 1785 beschlagnahmt und später zum Zwecke der Denunziation veröffentlicht wurden. Eine Auswahl wurde von Jan Rachold im Akademie-Verlag der DDR neu herausgegeben.
An dieser Stelle nur einige Anmerkungen zur groben Einordnung des Ordens. Innerhalb der bürgerlichen Aufklärung des 18. Jahrhunderts gehörten die Illuminaten der extremistischen Tendenz an, welche die Religionskritik zum faktischen Atheismus und die Kritik des spätfeudalen Absolutimus zur Negation des Staates sans phrase vorangetrieben hatte. Hervorgegangen ist der Bund aus der Freimaurerei, deren Logen damals eine Art Gegenöffentlichkeit zur offiziellen Welt des Ancien Régime darstellten, in der sich Anhänger der unterschiedlichsten Ideen vom bürgerlichen Rationalismus und Philanthropismus bis zur rückwartsgewandten Ritterromantik tummelten. Im Zuge eines internen Klärungsprozesses spalteten die bewußtesten Kräfte dieses Milieus die irrationalen Elemente von sich ab und versammelten sich im Bund der Illuminaten – zu deutsch: der „Erleuchteten“ – welcher 1776 von dem Ingolstädter Provinzgelehrten Adam Weishaupt gegründet worden war. Das Endziel dieses straff organisierten Freimaurerordens neuen Typs – welches freilich nur der engsten Führungsspitze bekannt war – war nichts Geringeres als die Abschaffung jeder Herrschaft des Menschen über den Menschen. Die Illuminaten wollen dazu beitragen, schreibt der Ordensgründer Weishaupt, die Welt zu einem „Aufenthaltsort vernünftiger Menschen“ zu machen, in welchem „Fürsten und Staaten entbehrlich“ würden. Dies Ziel wollten sie nicht durch die unmittelbare Vorbereitung eines Umsturzes der bestehenden Verhältnisse erreichen, sondern, indem sie durch praktische Aufklärung die Herrschaft allmählich überflüssig und damit verhaßt machen. „Wer Revolutionen bewirken will, der ändere die Sitten“, fordert Weishaupt; dies sei den Thronen weit gefährlicher, als den Königsmord zu predigen. Der Orden betrieb seine Subversion durch Unterwanderung zunächst der herkömmlichen Freimaurerlogen, dann der Staatsapparate. Er verbreitete sich schnell über ganz Deutschland, knüpfte Kontakte ins benachbarte Ausland und gewann wichtige Köpfe der Aufklärung wie Goethe, Wieland und Friedrich Nicolai für sich. Wie bereits erwähnt, wurde die Verschwörung im Jahre 1785 von der bayrischen Polizei aufgedeckt und auseinandergetrieben. Eine Reorganisation gelang wenige Jahre später im norddeutschen Raum, deren Wirken liegt jedoch weitgehend im Dunkeln.
III.
Als der bayrische Staatsschutz 1787 eine Sammlung von Originalschriften des Illuminatenbundes zur Abschreckung an die Öffentlichkeit brachte, wurde dies als Beweis für den lange gehegten Verdacht genommen, das neue Denken untergrabe die Stützen von Thron und Altar und zerstöre die sittliche Ordnung. Die konservativen Kräfte begannen ein mächtiges Geschrei und die eingeschüchterten Aufklärer beeilten sich mit ihren Distanzierungen – und dies oft nicht nur aus taktischen Gründen, denn was die Illuminaten gewollt hatten, ging den meisten dann doch entschieden zu weit. Als wenig später die Revolution in Frankreich losbrach, dauerte es nicht lange, bis Stimmen auftauchten, die eine Verbindung zwischen den untergründigen Wühlern und der spektakulären Umwälzung herstellten. Der Wiener Professor Hoffmann vertrat 1793 als erster die These, wonach „nicht die Franzosen … die Erfinder des großen Entwurfes, die Welt umzukehren“ gewesen seien, der vielmehr in deutschen Köpfen seinen Ursprung habe: „Aus dem in Deutschland entstandenen und noch ganz und gar nicht verloschenen, sondern nur verborgen und um desto gefährlicher sein Wesen treibenden Illuminatismus sind die Comités politiques entstanden, die dem Jakobiner-Klub sein Dasein gegeben.“ Die These wurde von Konservativen in ganz Europa vielfach aufgegriffen und avancierte binnen kurzem zum Allgemeingut der gegenrevolutionären Propaganda, welche jede Art von sozialer Unruhe auf das Wirken geheimer Verbindungen zurückführte. – Hier haben die modernen politischen Verschwörungstheorien ihren Ursprung, die sich im Laufe der Zeit zu einem geschlossenen Weltbild verfestigen sollten, in dem Komplotte von Freimaurern, Juden, Gottesleugnern und anderen finsteren Gestalten als Universalerklärung für bedrohliche Ereignisse aller Art herhalten müssen. In dieser Tradition stehen auch die neueren Produkte der Kulturindustrie, welche das Thema der Illuminaten wieder aufgreifen.
IV.
Jedoch darf bei dieser Kontinuitätslinie eine entscheidende Veränderung nicht außer acht gelassen werden, welche das frühere Verschwörungsdenken von seinen heutigen Formen unterscheidet. Der Entstehungszusammenhang der ersteren war das turbulente Jahrhundert, das durch die Erfindung der Dampfmaschine und durch den Sturm auf die Bastille eingeleitet wurde und welches von der folgenden Konstellation geprägt war:
Es existierte a) eine von Widersprüchen zerrissene Gesellschaft, die aus ihrer eigenen Dynamik zerstörerische Kräfte hervorbrachte, welche die überkommenen Ordnungen und Institutionen regelmäßig erschütterten und in ernste Krisen stürzten.
Ferner gab es b) dieses ganze Jahrhundert hindurch wirkliche Verschwörungen klandestiner Gruppen, welche sich die Zerstörung aller bestehenden Verhältnisse bewusst auf die Fahnen geschrieben hatten. Wie der Absolutismus die bürgerlichen, so musste die zur Macht gekommene Bourgeoisie die plebejischen und proletarischen Maulwürfe fürchten, welche die Krisen zuspitzen und die Wut der gefährlichen Klassen zu einer tödliche Bedrohung für die Herrschaft radikalisieren wollten.
Die jeweiligen Verteidiger der Ordnung durften jedoch a) nicht zugeben, mit anderen Worten also die Hausgemachtheit von Pöbelbildung und anderen Verfallserscheinungen nicht eingestehen, weil sie sonst mit den Verhältnissen hätten brechen müssen. Sie tendierten daher dazu, mehr oder weniger die ganze zerstörerische Wirkung dem Faktor b) zuzuschreiben, wobei sie die im Verborgenen wirkenden Subversiven um so mehr aufblasen mussten, je weniger Wahrheit ihre Herrschaft vertrug. Immerhin gab es diese Subversiven aber tatsächlich, weshalb die Illumintenriecherei der Polizisten des 19. Jahrhunderts ein rationales Moment hatte.
Dies hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts geändert. Bekanntlich sind die revolutionären Bewegungen aus der modernen Welt seit langem verschwunden. Dadurch, dass sie von niemandem mehr ernsthaft verneint wird, hört die kapitalistische Ordnung aber nicht auf, eine antagonistische, Verwerfungen und Krisen produzierende zu sein. Nur dass diejenigen, die den status quo verteidigen oder zumindest nicht ernsthaft bereit sind, mit ihm zu brechen (also eigentlich alle), nun keinen Faktor b) mehr zu Verfügung haben, dem sie die Schuld für die furchteinflößenden Entwicklungen in die Schuhe schieben können – weshalb sie diesen erfinden müssen. Babeufs Verschwörung der Gleichen gab es wirklich, die jüdische Weltverschwörung nicht. Während sich die klassischen Reaktionäre gegen einen realen politischen Gegner richteten, bauen die modernen Verschwörungsparanoiker einen Popanz auf, der nur dazu dient, ihre Identifikation mit dem Aggressor zu verdrängen und ihre Loyalität mit den Verhältnissen, die sie krank machen, aufrechtzuerhalten. Mit ihrer Ablösung von der Realität verliert die gegen die Störenfriede der Ordnung gerichtete Aggression jede rationale Bestimmtheit und jedes Maß. So schrecklich die Konterrevolution bei der Niederschlagung der Pariser Kommune wütete, verglichen mit den Greueln der präventiven Konterrevolution der Deutschen von 1941 – 1945 war sie harmlos.
V.
Offensichtlich gehören auch die in der heutigen Populärkultur auftauchenden Illuminaten-Geschichten der zweiten Variante von Verschwörungstheorien an, bei denen es nicht um eine reale, sondern um das projektive Bild einer sittenverderbenden Konspiration geht. Daran ändert auch der Umstand wenig, dass die Gruppe, die hier die Rolle des Weltfeindes einnimmt, immerhin tatsächlich einmal den Eingriff in die Zeit geplant hat, den Lara Croft in letzter Minute verhindert. Dies unterscheidet die Illuminaten zwar prinzipiell von Riesenspinnen oder Außerirdischen, da sie aber in den besprochenen Werken nur als austauschbare Metapher verwendet werden, hat dies kaum praktischen Auswirkungen.
An dieser Situation wird sich erst etwas ändern, wenn sich in Zukunft wieder Gruppen bilden, die das Projekt der aufklärerischen und proletarischen Verschwörern der Vergangenheit erneut auf die Tagesordnung setzen. Sobald wieder wirkliche Feinde der bestehenden Ordnung auftauchen, werden sich die Verteidiger der alten Welt gegen diese verbünden und brauchen sich keine Phantome mehr herbei halluzinieren. Das beste Mittel gegen verschwörungstheoretisches Denken ist es, eine tatsächliche Verschwörung gegen die Herrschaft zu initiieren. Es geht also um die Wiederaufnahme eines Projekts, dessen erster Ausführungsversuch den französischen Jesuiten Augustin Barruel zu der folgenden schönen Horrorvision veranlasst hat:
„Wenn dieses Gesetz endlich in Erfüllung gegangen sein wird, so kann der letzte Spartacus aus seinem Heiligthum der Finsternis hervortreten und triumphierend am hellen Tag sich zeigen. Kein Reich, kein Gesetz wird mehr vorhanden sein. … Der über die Nationen und ihren Gott, und über die bürgerliche Gesellschaft und über die Gesetze ausgesprochene Fluch wird unsere Altäre, unsere Palläste, unsere Städte, Monumente und Künste, und unsere Bauernhütten sogar in Asche verwandeln … Die Teufel werden aus der Hölle heraufsteigen, um dieses Machwerk des Illuminatenkodex zu betrachten; und der Satan wird sagen können: da sind nun die Menschen wie ich sie haben wollte.“
Josef Swoboda
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in Phase 2 Nr. 24. Der Autor hat für die Ausgabe drei des MAGAZIN einen ausführlichen Beitrag zur Geschichte des Illuminatenordens geschrieben.