Karl Rauschenbach
An einige Theatermenschen, betreffs zweier Laientheaterdarbietungen
Regietheater, wie man es, glaube ich, heute nennt, kann man nur machen, wenn irgendwer dabei ist – Dramaturgin, Regisseurin, Autorin etc. pp. – der auch etwas zu sagen hat. Sonst sollte man einen Klassiker spielen und möglichst keine Zeile ändern. Schon das Streichen aber ist nicht einfach und verlangt genaues Verständnis des Stücks.
Oder man macht kollektives Theater, aber dann braucht man Schauspieler, die etwas wollen und etwas von Literatur verstehen. Sonst kann man sie bekanntlich nur als Darstellungsbeamte benutzen wie an der Buschschule dressiert. Das Publikum einzubeziehen verbietet sich aus Prinzip. Höchstens eine Publikumsbeschimpfung wäre möglich. Mit etwas Psychologie hätte man damit das weitgehend naive Publikum im Experimentalbereich des Gorki vor Kurzem sicher zum Platzen bringen können. Stattdessen wurde ohne erkennbaren Sinn eine Vorstellungsrunde inszeniert. Insbesondere die Studenten haben dann auch immer wieder gesagt, dass sie nichts verdienen – außer eben ihre instabile Psyche vom Theater durcheinandergebracht zu bekommen, wozu es allerdings Provokation nach Kinski gebraucht hätte.
Diese Fragerei im Kreis aber? Sie war so lahm, dass weder herausgehen noch etwas sagen noch gar nichts sagen noch irgendwas anderes die Lage aufgehellt haben hätte können. Warum habt ihr nicht etwas von Ibsen gespielt? Ihr seid ja nicht per se dazu da, etwas sagen zu haben. Oder falls ihr ernsthaft streiken wollt, dann spielt gar nicht und streikt eben.
Das alles zu einer Aufführung neben dem Gorki. Möge es die Richtigen erreichen.
Am Tag zuvor hatte es einen Versuch gegeben, Regietheater mit der Zauberflöte zu machen und dabei Tamino mit Dutschke und Papageno mit Bommi Baumann zu verknüpfen. Die Inszenierung trifft natürlich das Wesen dieser Illuminatenoper besser als alle Inszenierungen der offiziellen Lügentheater. Aber man muß anmerken, dass das Original auch hier besser bleibt als die Nachahmung; man hätte deshalb alles unterlassen sollen, was in irgendeiner Weise romantisch-ironisch mit dem Original umging. Etwa dieses ständige Inohnmachtfallen der drei Frauen! Warum ist es nicht erlaubt, dass sie Dutschke begehren? Überhaupt weniger Geschrei. Nichts gegen Geschrei, aber das ist in konfliktscheuen Zeiten wie heute schwer zu spielen, ohne in den Gagaismo zu kippen. Männer müßten mindestens erstmal die höheren Oktaven lernen und Frauen – sehr dringend – die tieferen. Ohne jene absichtlich erzeugte Fremdscham wäre das Spiel jedenfalls deutlich besser gewesen.
Mit dem Regietheater sollte man jedenfalls vorsichtig sein. Denn:
Jeder spielenswerte Autor der Vergangenheit hat etwas zu sagen, und meistens mehr als wir verstehen. Shakespeare beispielsweise wird überall gespielt, aber fast nirgends verstanden. Queen Elisabeth wird schnell zum Clown, jede Komödie gerät zur Groteske. Man muß stattdessen schon die Komödien möglichst ernst spielen, damit die Scheu vor den ernsten Stücken vergeht. Ich bin sicher, das Theater – gerade die Laienbühne, und um die geht es mir ausschließlich – würde gewinnen.
Gruß, Karl Rauschenbach
Quelle: Huch N°82, Sommer 2015