Ein Wort für Judas
Jesus ging es um die Einrichtung einer Welt in der man sich kleiden darf, auch wenn man den lieben Tag wie ein Vogel umherfliegt und in der man gespeist wird, selbst wenn man nichts besseres zu tun weiß, als sich als Lilie zu genießen. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen! Dafür wollte Jesus zunächst die Juden gegen ihren Klerus vereinigen und das Judentum revolutionieren, um auf dieser Grundlage dann die Römer zu vertreiben und dadurch insbesondere die Juden von dem auf ihnen lastenden Tribut zu befreien. Wäre letzteres anders, so ergäben die Ausflüchte keinen Sinn, die Jesus vorbrachte, als er von einigen Häschern darauf angesprochen wurde. Diese dienten bekanntlich später den Kirchengründern zur Ausrede, die weltlichen Mächte zunächst in Frieden zu lassen und dann als Kirche sogar zu stützen. Bekannt ist aber auch, dass die Jüngerschar Jesu sehr unterschiedlicher sozialer Klassen entsprang und sich dort neben einem Haufen begriffsstutziger Konformisten, die oft selbst aus dem Kreis der Pharisäer kamen, auch ehrlichen Revolutionären aus den armen Volksschichten fanden. Nur waren es eben die Konformisten, die später die Nachfolge Jesu usurpierten und dafür alle vier Testamente fälschten wie nur Plato seinen Sokrates: Wenn auch der echte Jesus überall durchschimmert, so muß man doch jedes Wort bezweifeln. Petrus war der Anführer dieser Konformisten und als Jesus ihm die frohe Botschaft verkündete, selbst er, also Petrus, könne auf dem Wasser laufen, da zeigte sich, dass Petrus es nicht konnte. Er nahm dieses Gleichnis wörtlich und prompt versank er in der Flut. „Mit Gehör werdet ihr hören und doch nicht verstehen, und sehend werdet ihr sehen und doch nicht wahrnehmen; denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.“
Als es die Sache sich zuspitzte, die Römer langsam Wind vom Jesusaufstand bekamen, der Täufer-Johannes hingerichtet wurde und die Pharisäer schon drauf und dran waren, dem Spuk rechtzeitig ein Ende zu bereiten, bevor die Römer kommen würden, die Juden zu vertilgen, da nahm der Zorn Jesus in den Griff und er predigte also endlich das Schwert. Es versteht sich, dass die Vertreter der armen Volksschichten unter seinen Anhängern, die Huren und Zeloten, einen Aufstand entgegenfieberten, während es die Konformisten eher nach Ruhe sehnte. Jesus wiederum übersah seine Kräfte, wog sie und befand sie für zu leicht. Der Marsch auf Jerusalem wäre vielleicht ganz abgeblasen worden, hätte nicht die Zelotenfraktion ihn beschwatzt. Beim letzten Abendmahl also redete Judas mit Jesus und als dieser sich endlich bereit erklärte, den Hohepriestern offen entgegenzutreten, da tauschten sie die zärtlichsten Küsse und Petrus wurde ganz eifersüchtig. Petrus hat dann Jesus drei Mal verraten, aber sicher niemanden ein Ohr abgehackt. Das war eher Judas oder ein anderer der Eiferer. Es versteht sich auch, dass Jesus diese Eiferer wirklich zurückgehalten hat, damit es nicht zu einem Blutbad kommen würde. Diese letzte Schlacht schlug er allein; er nahm die Sünde seines Volkes auf sich, die darin bestand, dass es eben nicht bereit war für seine frisch erworbenen Ideale auch zu kämpfen.
Das Ergebnis der Konfrontation ist bekannt. Jesus wurde hingerichtet und Judas, der sehen mußte wie seine Fraktion vorerst unterlag, beging Selbstmord. Der jüdische Aufstand mußte noch einige Jahre warten und natürlich kämpften dann die Zeloten in der vordersten Reihe. Sie trotzten in Masada bis zuletzt der imperialen Übermacht. Petrus aber gründete eine bescheuerte Kirche, deren ganze Existenz dem Vorurteil der Juden Recht zu geben scheint, dass es sich bei Jesus um keinen Gottessohn und auch keinen Propheten gehandelt habe, obwohl er doch in ihre schöne Tradition gehört, ein Nachfolger Jessaia noch dazu. Insbesondere hat die Gruppe um Petrus die Sache so dargestellt, als sei Judas ein Verräter und als solcher wird er heute meist genommen. Aber seien wir gerecht! Vom Standpunkt dieser Philister war er ein Verräter. Denn ein Aufstand gegen die Römer und, als Vorbereitung desselben, eine Sammlung aller Juden gegen ihre eigene herrschende Klasse, war der Petrusfraktion zu riskant. Einige Reformen hätten es schließlich auch getan und auch die waren am Ende nicht so wichtig wie der Schutz der eigenen Haut. Außerdem wäre der Tod unseres christlichen Sokrates, und das ist billigerweise ja auch richtig, zu vermeiden gewesen, wenn nur Jesus, statt sich von Judas dazu betören zu lassen, reichlich symbolisch auf einen Esel in die Stadt zu reiten, lieber schön an ihrem Herd sitzen geblieben wäre, um vielleicht der Jüngerschar noch einige seiner Fabeln zum besten zu geben. Wenn man also Judas als Verräter am faulen Friedens mit den Pharisäern begreift, so mag dieses Wort hingehen. Dass er aber für einige lausige Taler Jesus ausgeliefert habe, das ist eine der hartnäckigsten und schändlichsten Lügen des offiziellen Christentums.
Johannes Wiederkäuer von der Partei der Bibeltreuen Kommunisten
Dieser Essai ist zunächst (wenn auch in seltsamer kleinschreibung) in der Literaturzeitung Aufheben, jetzt Brand II erschienen. Er ist ein etwas spekulativerer Zusatz zum Text Wer war eigendlich Jesus von Nazareth