Aus dem stilisierten Jahrhundert
(Die Nazaraner)
Sie bilden keine Religionsgemeinschaft und keine staatsgefährlich anerkannte Sekte. Und doch existieren sie unter unserer Jugend. Vielleicht werden sie auch eines Tages hervortreten und sagen: „Halt Ihr Hüter und Verwalter des Menschengeistes! Soweit die historische Entwicklung zurückreicht, sahen wir eine sich gleichbleibende Menge geistiger Leistungsfähigkeit. Hier verausgabte sie sich in den unzähligen kleinen Schlauheiten des Alltagslebens, dort gerieth sie als Religion in gewaltige Bewegung oder zerfloß in die tausend Wässerchen der Speculation. Und ihr alle, ihr geistigen Arbeiter, die ihr Mehrer des Geistes zu sein glaubt, seid nur dessen Vertheiler, ihr ändert nichts an der Summe nur an der Theilung in kinetische und potentielle Energie des Geistes.
Wir wollen nicht mehr nur fruchtloses Bemühen nach einer Kunst, die in euren Köpfen spuckt. Was ist uns sociale Sorge und was Ethik, was ist uns eure ganze Kunst von gestern mit dem schreienden Namen modern. Was Niederstürzendes, Schrankenbrechendes in ihr war mag bleiben, was Aufbauendes, Speculatives war – das brauchen wir nicht, denn wir finden es für hohl.
Wir haben resigniert und wollen über diese Resignation hinaus. Und da der Weg, der darüber hinaus führt, für uns zu ungangbar ist – und wie viel mehr erst für Euch, Erzählergeschlecht, so wählen wir den Weg, der nebenan führt, zwar nicht auf die Höhe, aber in ein sattes Thal leitet.“
So werden sie vielleicht eines Tages in ihrer Proklamation sagen, denn sie werden noch immer das alte Pathos haben, nachdem sie das neue nicht werden finden können, das sie zu anderen Menschen gemacht hätte.
Es werden noch immer junge Männer sein, die viel gelernt und gelesen haben, deren Art es jedoch nicht ist, viel darüber zu sprechen. Unter sich werden sie wohl manchesmal über die Anderen ein wenig spotten und sie plump heißen, vor dem Belehrenwollen werden sie sich jedoch zu hüten wissen.
Wie ich zu dieser Wissenschaft komme? Ich rauchte einmal abend irgendwo auf dem Lande meine Nachtischcigarre und trank ein Glas Wein dazu. Ich war stimmungslos und geärgert, meine ganze Umgebung benahm mir die Lust zur Arbeit, so daß ich schon zu verzweifeln begann. Da sah ich von Ungefähr auf meinen Serviettenring, mit dem ich bislang gedankenlos gespielt hatte. Da er aus Metall war, wirkte er wie ein Spiegel.
Hinter mir war eine Glaswand mit hölzernen Leisten. Hinter dieser Glaswand ein Garten mit dem zweifachen Rauschen von Erlen und Tannen und ganz im Hintergrunde die decorative Silhouette des Hochgebirges. In meinem Ringe spiegelte sich diese Landschaft eigenthümlich verzerrt und zusammengedrängt ab. Es war nicht mehr das Bild, das ich durch bloßes Umdrehen hätte sehen können, sondern ein kleiner Ausschnitt, der trotz seiner Verzerrtheit merkwürdig auf mich wirkte.