Nur für internen Handgebrauch
Woraus bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht
I. Arbeitsgemeinschaft „Keine Träne für Deutsche“ Halle vs. Kuschel-Knuffel-Kulla, die Blogmaschine
Die Arbeitsgemeinschaft „Keine Träne für Deutsche“ wohnt auf einer kleinen Insel in Halle. Für die, die sie nicht kennen: Diese kritische Insel hebt sich wohltuend von dem „universellen Verblödungszusammenhang“ ab. Es gibt dort nicht diese miefige Inzucht und vor allem eine Streitkultur. Man scheut untereinander keine Auseinandersetzung, benennt Schweinereien als solche und auch das Denken selbst scheut man nicht. Und man hat bei aller harten, aber gerechten Kritik stets Selbstzweifel, thematisiert diese offen und freimütig. Selten hat eine polemisch auftretende Gruppe gleichzeitig eine so gründliche Selbstreflexion besessen. Nie würde jemand auf die Idee kommen, die Debatten auf dieser Insel hätten etwas von einem Selbstgespräch, man ist da an der Sache interessiert. Selbst der Stil richtet sich nur nach ihr: Ist die Sache filigran, so werden unsere Kritiker zart, ist der Gegenstand hingegen widerwärtig, so werden sie hart. Dabei ist unsere beinahe utopische Gemeinschaft „sich nicht zu schade, sich auch den armseligsten und unbedeutendsten Figuren zu widmen und ihnen die ersehnten drei Minuten Aufmerksamkeit zu schenken.“ Und so verteilen sie dann und wann eine Flugschrift.
Aber Warum? Weil ihnen diese armseligsten und unbedeutendsten Figuren leid tun? Nur „fast“! Es geht ihnen vielmehr um unsere Zukunft, denn immerhin – großes immerhin –, ja „immerhin sind es oft weniger die Klugen, Reichen und Schönen, an denen sich die neuesten Tendenzen des universellen Verblödungszusammenhanges als erstes ablesen lassen, als ihr Gegenteil“ Und wer will nicht wissen, wohin die Reise geht?
Die armseligste und unbedeutendste Figur, das ist diesmal Kulla von der Webseite classless.org und scheinbar auch über Facebook bekannt. Er ist so ähnlich wie Egotronic, diese Band, aber weniger bekannt, mithin armseliger und unbedeutender als selbst noch Torsun, der Sänger von Egotronic. Torsun ist halt nur dumm und hässlich, hat aber Erfolg. Kulla vereint alle drei Eigenschaften und so können unserer tapferen Aufklärer aus ihm die Zukunft orakeln. Kulla, der Kaffeesatz.
Kulla also wird untersucht, als Kompass unserer Zeit. Und wieder scheut man sich nicht vor der Wahrheit, so unbequem sie ist: Wir haben es mit einer dummen, armen und häßlichen „Vollpflaume“ zu tun. Er heißt auch „dauergrinsender Dany“, ist ein „Aushilfshedonist“, nimmt schlechte Drogen – auf der Insel nimmt man kein THC, kein MDMA und auch kein LSD, sondern nur Bier, diese Droge der Aufklärung –, macht noch schlechtere Musik und lügt sich das Ganze zum Vorschein des Kommunismus zusammen. Er kann nichts und hat nichts Vernünftiges gelernt: Völlig talentfrei. „Kein namhaftes Verlagshaus würde seinen Schund nehmen.“ Oh namhafte Verlagshäuser, die da keinen Schund drucken! Er ist eine „erbärmliche Vokü in Menschengestalt“, ein „Mann ohne Eigenschaften“, ein „Wuschel“, ein „Kuschel“, gar ein „Knuffel“, aber man kann ihn nicht wuscheln, kuscheln und knuffeln. Er ist nämlich „schmierig“, bzw. eine „schmierige Mischung aus Opportunismus und postmoderner Beliebigkeit“. Und er ist ein „Automat“. Ein „großspuriger Automat“. Ein „großspuriger Sprechautomat“. Oh schreckliche Zukunft!
Soviel zum Abschaum dieser Nation, der selber keine Zukunft hat, an dem man aber die Zukunft ablesen kann. Man kann sich kaum wahrer über Kulla äußern als unsere kühnen Kritiker und jetzt ist alles über ihn gesagt. Also Friede dem Kuschel-Wuschel-Knuffel! Was wollen aber die tapferen Kritiker damit sagen? Wie erwähnt, ist ihr Beweggrund nicht Mitleid. Es ist nicht so, dass sie kein Mitleid hätten. Wenn jemand einsam ist oder arm, bzw. „unverschuldet arm“, sie würden schon mitleiden. Aber Kulla ist halt auch eklig. Er kann „einem fast leidtun“, aber halt nur fast. Zusammen mit seine Fans gleicht er aufs Haar einem Mülleimer und da weiß man ja: „Man muss nicht in jedem herumstochern, um zu wissen, dass es eklig wird.“ (Hier steht er in der Tradition irgendwelcher Magdeburger und auch von Leuten des Berliner Jugendzentrums Lunte: Nur Drogensüchtige mögen diese Magdeburger und Berliner. „Wären sie nicht so eklig, könnten sie einem fast leid tun.“ Aber sie sind eben eklig und wären sie auch gewaschen, es würde trotzdem nicht für Mitleid reichen, sondern auch dann nur fast.)
Es geht ihnen auch nicht um Kulla, dieser Luftballon auf zwei Beinen ist nämlich gar kein Individuum. Das kommt vor. Adorno hat es auch schon bemerkt: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen“. Kulla kann daher in den Plural gesetzt werden und voilà: „Die Daniel Kullas dieser Welt sind ein Abziehbild ihrer Umgebung“. Er ist seinen Fans so auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, nämlich wirtschaftlich von ihnen abhängig, dass er sich dieser Szene mimetisch angleichen musste, so dass dieselbe nun „bis ins optische, haptische und akustische Detail hinein ihren symbolischen Ausdruck findet“– nämlich in Kulla. Es versteht sich, dass Kulla – sie haben seinen Blähbauch vergessen zu erwähnen – damit auch nicht persönlich beleidigt werden kann.
Es geht also nicht um den Wuschel, sondern um sein Publikum, nicht um ein einzelnes verfaulendes Gemüse, sondern um einen Komposthaufen. Die Flugschrift war nicht gegen Kuschel-Wuschel-Knuffel-Kulla gerichtet, der ihnen ja eben immerhin fast sogar leid tut, sondern primär gegen seine Zuhörer, dieses Pack, das sich wohlfühlen will und daher die mitleidslosen Ruhestörer von der Insel aus Halle nicht vertragen kann und das in Kulla nur sich selbst zuhört. Es ist mit sich selbst identisch, mathematisch gesprochen ein Punkt. Und sie sind milde und voller Hoffnung, unsere Hallenser Genossen. Trotz Ekel haben sie an der Mülltonne geschnüffelt – zum Brechreiz kam es nicht, weil sie bei der Veranstaltung, aus deren Anlass diese Show statt hatte, Hausverbot hatten. Ein großes Glück, sonst wäre ihnen endgültig schlecht geworden.
Zum Beispiel weil Kulla sich auf dieser Veranstaltung erdreistet hat, eine moderne Tafel zu verwenden, um dem deutschen Alternativphilister „den Zusammenhang von Antisemitismus und Kapitalverhältnis mit dem Schaubild einer Powerpoint-Präsentation zu erklären“: Kein Witz! Echt mit einer Powerpoint-Präsentation. Der Depp! Was hätte Marx dazu gesagt? „Es ist verdammt schwer, die dialektische Methode dem Revuen lesenden Engländer klar zu machen, und mit den Gleichungen W—G—W etc. kann ich doch dem Mob nicht kommen“, schrieb Engels mal an Freund Marx. Der aber antwortete: „Du scheinst mir auf dem Holzweg zu sein mit Deiner Scheu, so einfache Figuren wie G—W—G etc. dem englischen Revuephilister vorzuführen. Umgekehrt. Man verlangt Neues, Neues in Form und Inhalt.“ Oups. Aber Quod licet Iovi, non licet bovi. Was der Engels darf, darf der Kulla noch lange nicht.
Wo wir bei Marx sind. „Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.“ Ja die Wurzel, dass ist der Mensch und die Zukunft des Menschen kann man weniger an den reichen, schönen und erfolgreichen Menschen sehen, sondern an den armen, hässlichen, erfolglosen Menschen. An Kulla, dieser Wurzel einer linken Subszene, dieser Avantgarde der Geschichte. So stehen die Hallenser in glücklicher Tradition von Marx und sie demonstrieren ad hominem oder besser ad kulla. Und sie sind dabei voller Hoffnung gewesen, dass ihre Fluchschrift wie ein Blitz in diesen naiven Volksküchenboden einschlagen und sich Kullas Herde endlich in Menschen verwandeln würde.: „Hatten wir beim Verfassen unseres Flugblatts gehofft, dass wir daneben liegen und die versprengte postantideutsche Restszene es als Zumutung empfindet, in einem Atemzug mit einer Vollpflaume wie Daniel Kulla genannt zu werden, übertrafen die Kommentare unsere schlimmsten Erwartungen.“ Ja die Armen, wie ein Mann hätte der Punkt sich zur Linie erweitern können, wenn er nur laut gerufen hätte: „Kulla und Wir in einem Atemzug, dass ist dann doch zu viel des Guten!“ Aber nein!, keiner hat sich gegen diese Zumutung gewehrt, alle Hoffnung unserer edlen Aufklärerinnen aus Halle ist verpufft, die Reihen weiter fest geschlossen, die Suppe weiter schal. Aber das geht den edelsten Geistern dann und wann so und schon Jesus seufzte in einer seiner Agitationen: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als daß man es wegschüttet und läßt es von den Leuten zertreten.“ (Mt 5, 13)
II. Mohr Marx vs. Schapper, Willich, Vogt
Lassen wir nach dem Suppenkasper Kulla auch die Suppe und bleiben wir beim stets salzigen Marx. Man soll ja nicht am Müll schnuppern, wegen all der verdrängten Gerüche. Schnuppern wir weiter am Olymp und unsere Inselkommunisten halten es schließlich mit Marx: „Denken wird vielmehr als ‚praktisch-kritische Tätigkeit‘ (Marx) verstanden, das, weil es sich ernst nimmt, gemein, erpresserisch und damit zugleich: polemisch auftritt“. Während die halben Marxstudenten nur das Kapital lesen, ist unseren edlen Kritikern gerade der polemische, mithin politische Marx Vorbild. Ein Marx teilt sich nicht in zwei. Und so werfen sie den halben Marxstudenten vor, „trotz regelmäßiger Marx-Zitation noch nie eine von dessen Polemiken gegen Schapper, Willich, Vogt gelesen zu haben“. Würden sie diese Polemiken gelesen haben, sie würden auch verstehen, dass ihre Fluchschrift ein gutes Mittel gegen die allgemeine Kullaseuche ist. Aber wer war Schapper, Willich, Vogt?
Alle waren an der Revolution von 1848 in Deutschland beteiligt. Vogt saß im Parlament, Willich war General und Schapper versuchte sich in Köln in der Organisation der Arbeiter. Mit Kulla haben sie alle keine besondere Ähnlichkeit und auch untereinander nicht. Aber es einigt sie, dass Marx sie alle immer wieder Esel nennt. Marx und Engels hatten sogar ein geflügeltes Wort: „Daß du dumm bist Schapper, das wissen wir, und das weißt du selber, aber für so dumm etc.,etc.“ (Engels an Mohr, 15.11.1862) Eine Polemik hat Marx nur gegen Vogt geschrieben, Willich und Schapper bekommen mehr gelegentliche Hiebe ab, manchmal auch einige Absätze.
Die Sache mit Vogt passt hier wirklich nicht hin. Er hatte versucht, Marx mit revolutionären Umtrieben in Verbindung zu bringen, mit einer sog. Schwefelbande, deren Prinzip in der Diktatur des Proletariats bestand. Und Marx hat versucht, das als Rufmord darzustellen. (Bekanntlich war mit Marxisten nach 1848 keine Revolution mehr zu machen und Marx war in politischer Hinsicht durch und durch Marxist.) Ansonsten hat Marx gegen Vogt aber auch einige inhaltliche Polemik geschrieben, also genau das, was unsere Hallenser nicht wollen – sie hätten sich dann ja zu Drogen oder ähnlichem äußern müssen. Wahrscheinlich wurde Vogt nur aufgenommen, weil es immerhin eine Schrift von Marx gegen Vogt gibt. Lassen wir auch den französischen Agenten Vogt in Ruhe.
Willich immerhin war General und Engels war sein Adjutant. Und so kann Engels an Jenny Marx schreiben: „Willich ist im Gefecht brav, kaltblütig, geschickt und vom raschen, richtigem Überblick, außer dem Gefecht aber plus ou moins langweiliger Ideologe und wahrer Sozialist.“ Als wahrer Sozialist hat er einige Hiebe von Marx/Engels bekommen. Sie nennen ihn in Die großen Männer des Exils, denn „ritterlichen Willich“ (MEW, Bd. 8, S. 259) und machen sich über seine „Armee der Zukunft“ lustig, mit der Willich Deutschland befreien wollte. Er passt besser zu Kulla als Vogt, da er immerhin größenwahnsinnig war und angeblich ist das ja auch der Kulla. Wichtig in diesem Zusammenhang scheint mir aber trotzdem nur folgende Passage aus Die großen Männer des Exils: „Von August Willich ist zunächst zu sagen, daß Gustav stets ein geheimes Mißtrauen gegen ihn hegte infolge seines spitzzulaufenden Schädels, an dem das Organ der Selbstschätzung alle anderen Fähigkeiten durch abnorme Überwucherung zusammendrückt.“ (MEW, Bd. 8, S. 320) Jeder hat halt den Schädel, den er verdient. Denke, dass war inspirierend für die tränenlos-nüchterne Arbeitsgemeinschaft aus Halle. Ansonsten ist Willich später in die USA emigriert, trat als Soldat in den Sezessionskrieg ein und wurde schließlich Kommandeur eines eigenen Regimentes unter Lincoln, welches er nach preußischen Vorschriften ausbildete. Sprich, er hat dann doch was Vernünftiges gelernt und – so Engels im Alter – „im nordamerikanischem Bürgerkriege gezeigt, daß er mehr als ein Phantast ist.“ (MEW, Bd. 8, S. 575) Lassen wir auch Willich.
Bleibt Schapper. Hier hat es immerhin einen echten Widerspruch zwischen Marx und Schapper gegeben, der zum Bruch führte. Schapper war damals einige Jahre mit Willich im Bunde und so gesehen spielt dieser Spitzschädel hier auch eine Rolle. Es handelt sich um eine der frühen Auseinandersetzung von Marx mit dem Linksradikalismus. Die verhängnisvolle Spaltung der ersten Internationale und Marxens Gezank mit Bakunin, Engels Polemik gegen die „jungen Wilden“ während der sterilen, von Lumpenproletariern und Anarchisten gereinigten 2. Internationale bis hin zur Polemik Lenins gegen die Kinderkrankheiten des Kommunismus, das alles hat hier seinen Ursprung. Aber genauer.
Schapper war ein Revolutionär und und redete ein wenig wie Marx noch in seiner Kritik der deutschen Ideologie einige Jahre vorher: „Auch glaube ich, dass die neue Revolution Leute hervorbringen wird, die sich selbst leiten werden, besser als alle Leute die 1848 einen Namen hatten.“ Er ist in „dieser Sache enthusiastisch“ und es handle sich schlicht um die Frage, „ob wir im Anfang selbst köpfen oder geköpft werden. In Frankreich werden die Arbeiter dran kommen und damit wir in Deutschland. Wäre das nicht der Fall, so würde ich mich allerdings schlafen legen, und dann könnte ich eine andere materielle Stellung haben. Kommen wir dran, so können wir solche Maßregeln ergreifen, welche dem Proletariat die Herrschaft sichern. Ich bin fanatisch für diese Ansicht. Die Zentralbehörde hat aber das Gegenteil gewollt. Wollt ihr nichts mehr mit uns zu tun haben, gut – so trennen wir uns jetzt. Ich werde in der nächsten Revolution gewiß guillotiniert, aber ich werde nach Deutschland gehen.“ (MEW, Bd. 8, S. 599)
Das sagt der Schapper auf einem der Bündnistreffen mit Marx und anderen in London. Man mag Kulla beim lesen dieser Zeilen schon wieder vergessen haben, aber er ist sicher auch nicht frei von solcher schapperischen revolutionären Ungeduld. Unsere Kritiker aus Halle erwähnen zwar nur seine Vorträge zu Verschwörungstheorien und Drogen, aber er hat ja auch das Pamphlet Der Kommende Aufstand verteidigt. Das war halt keine Mode und schon gar keine antideutsche Mode – vielmehr haben alle von der Bahamas bis zu den Feministen, von den Anarchisten aller Facon bis zu den Linkssozialdemokraten und Linkskommunisten diese Schrift verschrien, wohl ahnend, dass diese Broschüre sie bei aller eingebildeten Differenz untereinander auf denselben Müllhaufen der Geschichte verbannt. Vereint im Geschrei gegen die revolutionäre Ungeduld können diese politischen Fraktionen sich eine wirkliche Revolution in der Gegenwart nicht vorstellen. Wie oben schon angedeutet, konnte das auch der in solchen Sachen zunehmend realistische Marx ab 1848 nicht mehr wirklich und so antwortet er im Wortlaut auf Schappers Ungeduld: „An die Stelle der kritischen Anschauung setzt die Minderheit [der Zentralbehörde des ‚Bundes der Kommunisten‘] eine dogmatische, an die Stelle der materialistischen eine idealistische. Statt der wirklichen Verhältnisse wird ihr der bloße Wille zum Triebrad der Revolution. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzuzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern Euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen, sagt Ihr im Gegenteil: ‚Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen.‘ Während wir speziell die deutschen Arbeiter auf die unentwickelte Gestalt des deutschen Proletariats hinweisen, schmeichelt Ihr aufs plumpste dem Nationalgefühl und dem Standesvorurteil der deutschen Handwerker, was allerdings populärer ist. Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von Euch das Wort Proletariat. Wie die Demokraten schiebt Ihr der revolutionären Entwicklung die Phrase der Revolution unter.“ (MEW, Bd. 8, S. 412)
Man muss sich dabei klar machen, dass bei der dilettantischen 1848er Revolution in Deutschland viele Möchtegernrevoluzzer ins Exil getrieben oder verhaftet wurden. Man musste aufeinander aufpassen. Jede praktische revolutionäre Tätigkeit wurde naturgemäß verfolgt, so dass Marx es vorzog, sich als theoretischer Revolutionär zu betätigen. Man weiß heute, was das für die Praxis der II. Internationale bedeutete, die diese auf Marx vielleicht passende Taktik – sich von allen praktischen Umsturzversuchen unmittelbar fernzuhalten – auf alle ihre Mitglieder ausdehnte, bis schließlich der größte Feind der sozialistischen Revolution gerade ihre sogenannte Partei war. Aber auch der selbsternannte, praktische Revolutionsflügel hat sich nicht gerade geschickt benommen. Etwa bei einer Konferenz der Schapper-Willichbande kamen 700 Leute aus ganz Europa: Der „Saal dekoriert mit den üblichen Fahnen und einer ansehlichen Auslese von Namen. Wo Moll zwischen Kossuth und Garibaldi, Jakoby zwischen Blanqui und Cabet, Robert Blum neben Barbès und Robespierre paradieren. Willich Präsident, alles möglichst rot, es war das Einweihungsfest der rötesten aller roten Republiken.“ Es waren auch zwei Leute aus der Partei Marx da und – die wackeren Hallenser Kritiker wird’s freuen – sie bekamen Hausverbot: „Gerade sollte die Marseillaise beginnen, einige Stimmen riefen Chapeau bas, gleichzeitig sprangen unsere Angreifer auf und suchten uns die Hüte abzureißen; nicht zufrieden damit erhoben sie das Geschrei: des espions, a spy, zwanzig Fäuste erhoben sich vor uns, und wir wurden unter möglichster Gegenwehr mit Faustschlägen aus dem Saale gestoßen. Von der nun folgenden Infamie kannst Du nur dann den nötigen Begriff Dir machen, wenn du an die Zusammensetzung der Versammlung denkst.“ (Wilhelm Pieper an Marx und Engels, 26.2.1851)
Und dann die Statuten dieser Vereinigung. Vollmundig wie manchmal die Autonomen – bevor sie von dem ersten Knüppel und einigen Dosen Tränengas auseinandergejagt werden – propagieren sie unmittelbar die Gewalt und da gerade einige Kameraden von Marx und Engels dem Richter gegenüber saßen, angeklagt ebendieser Schapperbande zuzugehören, beklagt sich am 27.6.1851 Engels bei Marx: „Aber der erste Artikel der Statuten ist schlimm für die Verhafteten: ‚Alle Mittel der revolutionären Tätigkeit‘, oder wie es dort heißt. Das führt die Sache aus dem Gebiet der bloßen verbotenen Verbindung heraus auf das des Hochverrats.“ Man sieht hier einfach ein frühes, embryonales Beispiel des die Herrschaft stabilisierenden Widerspruchs von phrasenhaftem Linksradikalismus und seriöser, sich mitunter radikal schminkender Sozialdemokratie. Zu einer ausführlichen Polemik vom Marx oder Engels gegen Schapper hat es dann aber nicht gereicht. Zu dumm der Gegenstand und irgendwie war Engels sich im klaren, dass man zu diesem Haufen gehört, sobald man sich auf ihn einläßt. Gerade so wie die Hallenser Aufklärer an die von ihnen so verachtete Linke gefesselt bleiben, deren seltsamen Duft diese ewigen Studenten scheinbar dem aller anderen Hallenser vorziehen. Jedenfalls bricht Engels seine Schrift gegen Schapper ab: „Den Schapper kann ich nicht schicken, erstens ist das erste Kapitel matt, und zweitens ließ ich das Ding ganz sein, seitdem die Geschichte anfängt, komische Romane zu schreiben – eine etwas zu gefährliche Konkurrenz.“ (Engels an Marx, 16.12.1851) (Justus Wertmüller hat gerade erst vier Seiten über die sexuellen Nöte der Besucher und Besucherinnen eben des linken Hallenser Hausprojektes in der Reilstraße verfaßt, das auch Bühne des oben behandelten komischen Romans bot – oh gefährliche Konkurrenz!)
Aber die Sache hat ein Happy End. Schon am 3.7.1852 schreibt Marx an Engels: „Schapper hat mir durch Imandt reuige Bekenntnisse machen lassen und anklopfen. Erwidert: Erst solle er öffentlich mit Willich brechen, das Spätere würde sich finden. Das sei die condition sine qua.“ Schapper hat mit Willich gebrochen und sich zurückgezogen. Vier Jahre später: „Ich habe mit Freund Schapper wieder einige Zusammenkünfte gehabt und einen sehr reuigen Sünder in ihm gefunden. Die Zurückgezogenheit, worin er seit zwei Jahren lebt, scheint seine Geisteskräfte rather geschärft zu haben. Du begreifst, daß für allerlei Eventualitäten es immer gut sein kann, den Mann an der Hand zu haben.“ (Marx an Engels, 16.4.1856) Und diese Eventualitäten ergaben sich. Zwar nennt Marx ihn 1859 immer noch einen Narr: „Ich habe übrigens dem faullebenden Fleisch Schapper gestern durch Pfänder kategorisch mitteilen lassen, daß, wenn er nicht sofort wieder in den Arbeiterverein (den sogenannten kommunistischen) eintritt und dort das management übernimmt, mit ihm aller ‚Zusammenhang‘ aufhört. Die einzige Sphäre, worin wir das Hippotamus brauchen können, hält der Narr zu gering für sich. Mais nous verrons. Wir hatten nie einen schlechteren staff.“ (Marx an Engels, 25.5.1859) Aber für Geld mindestens war Schapper gut: „Seit dem 17. Juni wieder kein Pfennig im Hause, und um während vier Wochen die täglichen Ausgaben zu bestreiten die bar bezahlt werden müssen, pumpten wir von Schapper 4 £“. (Marx an Engels, 15. Juli 1858)
Das wars eigentlich von diesem Familienknatsch. Schapper ist dann noch 1870 gestorben und im Angesicht des Todes ist man versöhnlich. (Vgl. auch den Nachruf von Ulrich Krug auf Robert Kurz in einer der Bahamasausgaben.):
Marx, 28.4.: Es macht ihm Vergnügen, über die alten Geschichten Witze zu machen.
Engels, 29.4.: Es war immer etwas Urrevolutionäres in ihm, und wenn der arme Kerl doch einmal draufgehn muß, freut es mich wenigstens, daß er sich bis zuletzt so famos benimmt.
Marx, 29.4.: Poor Schapper starb gestern Morgen, 9 Uhr.
Engels, 1.5.: Kannst du mir eine Photographie von ihm schicken. Oder womöglichst zwei, Du weißt, die Solinger wünschen auch eine.
Marx, 7.5.: Was Du von biographischen Notizen über ihn im Kopf hast, schreib mir nieder. Man muß doch eine kurze Nekrologie machen.
Engels, 1875 (MEW, 8, S. 575): Schapper, lebenslang Vorkämpfer der Arbeiterbewegung, erkannte und bekannte, bald nach dem Ende des Kölner Prozesses, seine augenblickliche Verirrung. Viele Jahre später, auf seinem Sterbebett, einen Tag vor seinem Tode, sprach er mir noch mit beißender Ironie von jener Zeit der „Flüchtlingstölpelei“.
Geigen in der Luft. Vorhang. Halle bleibt zart!