Nachspiel mit dem megafon
Nachdem ein hier dokumentierter Artikel aus der Schweiz von einer linken Zeitung abgelehnt wurde, ergab sich noch eine kleine Montage aus der Kommunikation der Autorin mit einer dieser Publikationen (megafon)
Die Redaktion: Liebe Anna. Wir bedauern Dir mitteilen zu müssen, dass wir uns nach eingehender Lektüre und Diskussion entschieden haben, deinen Text nicht im megafon zu publizieren. (…) Die im Text verwendeten Zitate aus „linken“ Medien geben die in diesen vertretenen Positionen verkürzt und teilweise auch in irreführender Weise wieder. Zudem wird – durch die dichotome Strukturierung der Narration des Beitrags – der Eindruck erweckt, dass die direkten negativen Folgen der Massnahmen ignoriert werden. Auch hier zeichnet die Lektüre der „linken“ Medien wie auch der zugrundegelegten Texte ein vielfältigeres und uneindeutigeres Bild.
Die Autorin: Inwiefern erweckt der Text den Eindruck, es würden die negativen Folgen ignoriert, wo ich doch als Quelle für das Leiden von Frauen und Menschen mit psychischen Problemen die woz nenne?
Die Redaktion: Insofern der Text keine gegenüberstellende, differenzierende Diskussion, sondern eine nach dem gemeinsamen Nenner linker Medien suchende Analyse vornimmt, ist auf der Ebene der Darstellung linker Medien die Bewegung diejenige eines Framings und Re-Framings. Gestützt wird diese Bewegung durch eine dichotome Grundstruktur, nach welcher einzelne Aspekte (staatskritisch, links, emanzipatorisch, Kritik der Corona-Massnahmen, hedonistisch, lustvoll) zusammengebunden, eineindeutig (sic!) zusammengehörig und den jeweilig anderen (asozial, pathologische Angst vor dem Tod, nicht links, für die Corona-Massnahmen) als gegenüberstehend gezeichnet werden.
Weite Teile des Texts sind der Darstellung der aufgebauten Gegenposition gewidmet, die zuweilen verhöhnt, verächtlich gemacht und teilweise entwürdigt wird.
Die Autorin: „Im Umgang mit Menschen gibt es nur Verständnis, Rührung, Zartheit, Takt, Verstehen und nochmal Verstehen. Alle Härte ist da nur Grobklotzigkeit. (…) Beim Urteil über Produkte hingegen, Öffentlichgemachtes, Platten, Bücher, Aufsätze, Kritiken, gibt es nur härteste Härte, Unverbindlichkeit, Maßlosigkeit, Exekution, Massenexekution, Stalinismus. Alles andere, also das meiste, ist Gesabbere, Geseiere, unendlich entbehrlich, einzustampfen.“ Wie steht ihr zu diesem Zitat von Reinald Goetz?
Die Redaktion: Wir haben keine redaktionelle Haltung zu Zitaten, und so auch nicht zu diesem. Eine Haltung bräuchte zunächst eine Auseinandersetzung darüber, was das Zitat bedeutet, anspricht, welchen Bedeutungshorizont es eröffnet. Da haben wir spontan, nach der ersten Lektüre bereits viele unterschiedliche Deutungen!
Die Autorin: Dann weiter im Text. Was für Deutungen seines Bedeutungshorizontes habt ihr noch in petto?
Die Redaktion: In Bezug auf die im zweiten Teil des Beitrags dargestellte Ungefährlichkeit von Covid-19, bezieht sich der Text lediglich auf eine umstrittene (Meta-)Studie und gibt damit den aktuellen Stand der Forschung einseitig und dadurch falsch wieder. Faktisch falsch ist zudem die Aussage des Texts, dass 2020 keine Übersterblichkeit zu verzeichnen sei.
Die Autorin: Geben auch Artikel, die die Studie von Ionnadis und ähnliche andere ausklammern, den Forschungsstand einseitig und dadurch falsch wieder? Hätte man den Fehler bezüglich der Untersterblichkeit nicht problemlos vor der Publikation korrigieren können?
Die Redaktion: Ja, ein Text zur Mortalitätsrate von Covid-19, der die Studie von Ioannidis nicht mitberücksichtigt, könnte auch als einseitig bezeichnet werden. Wenn jedoch auf Ioannidis verwiesen wird, ist eine Beschreibung der wissenschaftlichen Diskussion rund um die Studie wohl unerlässlich. (…) Ein Hinterfragen der Methodik Ioannidis’ würde deine Argumentation verändern und reicht deshalb nicht als einfache Korrektur. (…) Auch bei der falschen Aussage zur Sterblichkeit handelt es sich nicht um ein Detail, das, beispielsweise mit einer falschen Angabe einer Jahreszahl eines historischen Ereignisses vergleichbar, umstandslos korrigiert werden kann. Die Darstellung zur Sterblichkeit hat eine weitreichendere Funktion innerhalb der Argumentationsstruktur des Texts und kann nicht einfach gestrichen werden.
Die Autorin: Was die Schwächen des positivistischen Arguments angeht, mögt ihr Recht haben. Unrecht habt ihr damit, dass der Rest des Textes mit diesem Argument steht und fällt. Wobei, ganz so meint ihr das nicht: Ihr habt ja noch andere Gründe für den Rückzieher.
Die Redaktion: Der Text evoziert teilweise verschwörungstheoretische Narrative. Bspw. Mainstream-Medien verschweigen die Wahrheit…
Die Autorin: Steht in bürgerlichen (und anderen) Zeitungen immer die ungebrochene Wahrheit?
Die Redaktion: Kein Text kann das Darstellen der Wahrheit einfach so beanspruchen. Wahrheit ist sowieso ein grosses Wort. Vielleicht entsteht sie – so ein Definitionsversuch – durch die Qualität von Argumentation, Analyse, Struktur und Darstellung, aus der daraus resultierenden Nachvollziehbarkeit von Wirklichkeitsbezügen.
Die Autorin: Wirklichkeitsbezüge: riesengrosse, hübsch bedruckte Laken, in die der gemeine Journalist die Wirklichkeit hüllt.
Die Redaktion: …das WEF arbeitet am reibungslosen Übergang in den „körperlosen Kapitalismus“…
Die Autorin: Exemplarisch sei hier auf die Sparte „Popular Videos“ auf der Startseite der WEF-Homepage verwiesen: „This Kenyan start-up has created a ride-hailing app for ambulances“, „This Indian businessman has devised 3 clever AI technologies to keep workers safe from COVID-19“ und „Technological transformation: These 5 countries spend the most on research and development in the world“. Die Redaktion: Das WEF ist – das ist von uns unbestritten – eine kritikwürdige Veranstaltung und dort findet zweifellos auch Befassung mit Digitalisierung statt. Unser Verweis bezieht sich auf verschwörungstheoretische Narrationsmuster. Also hier etwa die Akteursetzung des WEF (das WEF arbeitet) und weder allgemein bekannte noch näher erläuterte, also diffuse Konzepte (körperloser Kapitalismus), die somit vor allem auf der Gefühlsebene spielen.
Die Autorin wünscht sich, auf der Gefühlsebene wäre jemand, mit dem sie eine Runde Tennis spielen könnte.
Die Redaktion: …„Funke des Einfalls“, Erkenntnis als unzweifelhaftes und instantanes Geschehen hin zu einem erleuchtet-erwachten Zustand der „klaren Gedanken“…
Die Autorin: Ist jeder, der von einem „Geistesblitz“ berichtet, ein Verschwörungstheoretiker, weil er impliziert, Erkenntnis schlage ein wie ein Blitz? Ist ein Einfall denn nicht tatsächlich ein instantanes Geschehen, mit einem Funken (oder einem Blitz) vergleichbar? Schliesst mein Text die Möglichkeit aus, dass zwischen dem Funken eines Einfalls und den klaren Gedanken ein Vermittlungsprozess stattfindet?
Die Redaktion: Es geht hier nicht darum, einzelne Sätze und Begriffe als verschwörungstheoretisch zu kennzeichnen. (…) Narrative, die als verschwörungstheoretisch gelesen werden (können), ergeben sich im Kontext unterschiedlicher eröffneter Bedeutungshorizonte. Der klare Gedanke, der körperlose Kapitalismus, die Texte unter der Hand, sie zusammen, sich gegenseitig kontextualisierend, ergeben das, was bei uns von unterschiedlichen Redaktionsmitgliedern als Anleihen an verschwörungstheoretischen Narrativen gelesen wird.
Die Autorin: Nichts für ungut, aber wer aus diesen Formulierungen ein verschwörungstheoretisches Narrativ herausliest, muss wohl selber ein paranoider Verschwörungstheoretiker sein: Hinter allem, was ihm unverständlich oder unangenehm ist, stecken für ihn die bösen Verschwörungstheoretiker.
Die Redaktion: Dass wir Verschwörungstheoretiker sind, diese deine Einschätzung kommt für uns natürlich überraschend. Dass du uns eine Erklärung mitlieferst, wie dies als direkte Reaktion auf für uns Unangenehmes und Unverständliches – quasi als Reiz-Reaktions-Folge von Verdrängung? – zustande kommt: Ob diese These auch zutrifft, die Beantwortung dieser Frage sei hier offen gelassen. Lediglich beschreibend sei zu dieser These festgehalten, dass sie steil ist.
Wir wünschen Dir alles Gute und senden liebe Grüsse aus der Redaktion.