Nur für internen Handgebrauch
Unterwegs mit den Freien Linken: am Ende gab es Bier
Ach, die Linken. Der vom Innenministerium wegen der ebenso drohenden wie dann staatlich gelenkten Wirtschaftskrise anvisierte „Schockzustand“ sitzt. Corona hat sie, die auch davor kaum standen, nochmal völlig ausgeknockt. Der Verfassungsschutz Berlins ist zufrieden: Insgesamt „habe der Lockdown auch die ‚linke Szene‘ lahmgelegt“, sie hätte „im Hinblick auf Beschränkungsmaßnahmen ein hohes Anpassungsniveau“ gezeigt und vollführe nun „einen Spagat zwischen der Anpassung an die Verordnungen und der Forderung, einem zunehmend ‚starken Staat‘ etwas entgegenzusetzen. Die sich daraus entwickelnde Handlungsunfähigkeit führte zu Forderungen nach strategisch-taktischer Neuausrichtung“. Nehmen wir daher eine diesen Spagat gut abbildende anarchistische Subströmung, die eine Kundgebung auf dem Mariannenplatz durchgeführt hat. Eigentlich wollte man in der Vergangenheit schwelgen, als es noch Revolution ab. Kronstadt. Aber stattdessen gab es dann „anarchistische Strategien in der Pandemie“. Man kann es sich vorstellen: der besonders moralingetränkte Flügel wollte bei bestem Wetter das Ganze lieber per Internetverbindung und fein isoliert hinterm Monitor stattfinden lassen. Der kühne Flügel setzt sich durch und man rief am 5. Juni zu einer Versammlung im Freien. Aber das Hygienekonzept will man durchsetzen: „Wir halten uns an den Infektionsschutz und werden diesen auf der Kundgebung auch durchsetzen. Maske tragen, Abstand halten, auf einander Acht geben!“ Indem sie aber die Pandemie akzeptieren, akzeptieren sie auch den Rest, insbesondere die sogenannten Maßnahmen. Die aber wollen sie gut protestantisch internalisieren und „von unten“ durchsetzen. Die staatliche Ideologie, aber ohne Staat. Die normalen Leute feiern da längst in der Hasenheide, wenn auch dumpf und unpolitisch. Es ist ein Jammer und kein Wunder, dass der Berliner Verfassungsschutz davon spricht, die gegenwärtige Linke hätte oft „selbstmitleidige Analysen“, da sie eben „keine nennenswerte Akzente setzt“.
Aber gut, unsere Anarchisten schrieben auch: „Wir wollen keine fertigen Antworten liefern, sondern wollen sie gemeinsam mit allen Neugierigen finden. Dabei werden wir von dem Mut geleitet, sehen zu wollen, wo wir in unserer Unterschiedlichkeit stehen.“ Meine Neugier hielt sich zwar in Grenzen, aber da ich von einigen Leuten wusste, die da waren und mit denen ich genug zu bereden habe, bin ich zum Mariannenplatz. Da sitzen nun lauter Grüppchen auf der Wiese. Fein getrennt. Eine Art Picknick. Der runde Platz vor dem aufgebauten Mikro ist leer. Es ist kaum eine Kundgebung zu nennen. Alles recht bieder, aber immerhin durften drei linke Kritiker des aktuellen Coronaregimes kurz aufs Podium, um recht zurückhaltend kritische Sätze zu sagen. Doch auch das klappte offenbar nur dank persönlicher Kontakte und musste intern gegen Widerstände durchgesetzt werden. Dann wieder kein hygienischer Konsens ohne Schmuddelkinder und mit denen soll man bekanntlich nicht spielen. Eigentlich wären ja unsere Anarchisten diese Schmuddelkinder, aber das war wohl mal. Jetzt gibt es die sich selbst so nennenden Freien Linken. Eine Art trotzkistischer Gegenhaufen, der das Versagen der konformierenden Linken beklagt und mehr reformistische Forderungen anzubieten hat als etwa die Partei Die Linke und Hashquatsch Mietenwahnsinn zusammen. Er will dabei für alle, die „durch das Versagen der etablierten Linken plötzlich ‚allein im Wald stehen‘“, ein „Becken“ bieten, eine „neue Heimat“. Ihre sympathische rote Fahne hat eine unnötiges Logo und sie lieben Rosa Luxemburg. Soweit, so gut und auch bekannt, aber – und darauf kommt es hier an – die Mitglieder sind der Lage angemessen renitent und werden dabei tatsächlich von unterschiedlichen politischen Meinungen, Gefühlen und Positionen geleitet. Einigkeit besteht nur darin, dass sie die gegenwärtige Diktatur politisch wie alltagspraktisch ablehnen und gerade dadurch haben sie unglaublich viel Unwillen auf sich gezogen: Der aufrechte Gang provoziert, nicht nur bei den Anarchisten, sondern auch sonst, da die Bevölkerung von autoritären Menschen durchzogen ist. Einer hat das unten dokumentierte Flugblatt verteilt, auf der „anarchistischen“ „Kundgebung“. Puh. Auch das noch. Der Veranstalter, gestreßt von den inneren Scheinwidersprüchen dieses Haufens, die sie andererseits trotzdem stets zu zerreißen drohen, bittet darum, doch lieber keine solchen Zettel zu verteilen, aber immerhin fünf Minuten durfte das Schmuddelkind dann doch reden. Mit Bierflasche ist es zum Mikro, was nicht weiter bemerkenswert ist, aber doch von der Moderation sofort und pikiert erwähnt werden mußte. Das war es im Wesentlichen, als ich mit einigen mir mehr oder weniger bekannten Leuten zusammen saß, die teils aus dem Dunstkreis eben der inkriminierten Freien Linken stammten. Sie haben mit mir Rosé aus einem Becher geteilt und wir redeten munter über vieles. Den Rest um uns konnten wir ganz gut ignorieren, weil der Mariannenplatz nicht nach Versammlung aussah, sondern nach normalem Sommerabend und die Sonne schien weiterhin. Ein Geigenspieler der offiziellen Veranstaltung bot außerdem ein hübsches Spiel. Wir dachten uns tatsächlich nichts mehr dabei. Und es gab keinen Grund zum Unwohlsein.
Dann aber kam der Schutz oder auch nur Leute, die sich als solcher gerierten. Ein wenig so wie bei Hitchcocks Vögeln. Erst einer, dann fünf und am Ende zwei Dutzend, sich um uns herum gruppierend. Man hat sich extra die sonst nirgends getragene Schnabelmaske aufgesetzt und fing an, uns ungemein zu provozieren. Karnevalsstimmung. Meine Gruppe solle weg, das Versammlungsrecht wurde bemüht: Wir seien „von der Versammlung ausgeschlossen“. Anarchie heute. Ich denke an den diesjährigen ersten Mai, als die Polizei die Autonomen aus hygienischen Gründen von der Demo ausgeschlossen hatte. Die Begründung des Schutzes diesmal war, dass wir alle Freie Linke wären und die hätten mit Nazis demonstriert. Und schnell wurden wir dann selbst zu Nazis. „Nazis raus!“, war zwischendurch der kollektive Ruf des im Grunde ängstlichen und unsicheren Minimobs, der seine Mission ganz ohne Polizei durchsetzen wollte. Die Polizei wiederum hat sich mittlerweile mit zwei zum Angriff bereiten Trupps postiert und es wäre im Grunde interessant gewesen, was passiert wäre, wenn sie eingegriffen hätte. Einige am Ende vollgedrogte Jungs drohten beständig mit Prügel, andere hielten sie davon ab. Alle waren völlig ohne Grund emotionalisiert und aufgebracht. Wir waren ja nicht mal als politische Fraktion zu erkennen und nebenbei waren wir auch keine. Dann kam jemand vom Schutz auf die glorreiche Idee, Bier in eine unserer Taschen zu gießen. Wir guckten perplex zu, sowas Dummes hatten wir noch nie erlebt. Und weil solche Gehässigkeit ansteckend ist, gab es dann lauter Bierduschen. Es ist peinlich, die Szene zu beschreiben. Acht perplexe Menschen schauen überrascht zu, wie sie von schrägen Gestalten gedemütigt und vertrieben werden sollen, die sie nicht kennen. Charakteristisch etwa folgende Situation: Nach der dritten Duschattacke derselben seltsam grinsenden Frau dann doch mal ein sanfter Schlag meinerseits auf die Flasche, auf dass der Strahl sein Ziel verfehlt. Sofort einer der gernestarken Jungs: „Du hast eine Frau geschlagen“. Klaps auf den Hinterkopf. Leicht, eher für die erneute Demütigung gedacht. Der Minimob durfte endlich etwas von den angestauten Trieben herauslassen. Sogar unflätige Worte rufen. Irgendwann gingen wir selbstredend und damit war die Sache auch vorbei. Unsere Gespräche untereinander gingen woanders weiter, nachdem wir uns wieder halbwegs sortiert hatten.
Aber da es nun doch auch unangenehm war und auch, weil einige aus diesem oder verwandten Zusammenschlüssen das dann doch lesen: genau die Emotion, die ihr gegen uns gerichtet habt, die braucht ihr zunächst mal untereinander. Ihr seid ja nicht einig, nur dass der Flügel, der die Staatsideologie der Sache nach geschluckt hat, bei euch jeden Gedanken erstickt. Dass ihr uns Nazis genannt habt, mag euch die Rechtfertigung liefern. Das ihr uns als Schwurbler benennt, mag darin begründet sein, dass wir über die gegenwärtige Situation diskutieren und streiten, während ihr euch fügt und lieber nicht mehr denkt, bei all der Propaganda, die auf uns das letzte Jahr niederregnete. Jetzt habt ihr etwas Zeit, es ist gerade Lockerung der Haftbedingungen. Macht euch klar, dass das bisher Erfahrene nur eine Vorwäsche war. Kommt noch ne Menge auf uns zu, die Pandemieideologie macht uns dafür bereit. Fangt mal endlich an, den Streit untereinander zu führen, eure Geschlossenheit hilft euch nicht gegen eure wirklichen Feinde. Nur eben gegen die Freien Linken. Die Abwehr solcher Querulanten entspringt aber nur eurem eigenen, verdrängten Konflikt, der sich dadurch als externalisierter Konflikt darstellt. Klassische Verschiebungsleistung und Projektion. Es wird euch daher nichts helfen, wenn ihr uns vertreibt und dabei immer wieder dieselben Phrasen drescht. Das Verdrängte kehrt wieder, die Frage ist nur, wie. Wir haben eure Emotionen gesehen. Sie sind gehemmt von der verallgemeinerten Moral, fehlgeleitet und im Grunde voller nur dürftig durch Schreierei übertünchter Selbstzweifel. Es wird euch nicht mal helfen, sollten einige von euch sich von der letztlich nur angedrohten Gewalt distanzieren oder davon, dass ihr im Eifer auch irgendwelche dahergelaufenen Leute eingemeindet, beschimpft und vertrieben hattet, die nur eben im Gespräch mit eurer Projektionsfläche waren. Es wird euch auch nicht helfen, wenn einige von euch mit einigen von den Freien Linken reden. Scham immerhin könnte ein Anfang sein, ansonsten müsst ihr den Streit wirklich intern führen. In euren Reihen gibt es Leute, die privat diese nach außen repräsentierte Duckmäuserei zum Kotzen finden, aber das in dem von der Gesellschaft induzierten und von euch bereitwillig akzeptierten und dann selbstverwaltet durchgesetzten Klima der Angst nicht sagen. Euer Mut, den ihr ja eigens in der Ankündigung erwähntet: Man sieht davon nichts in dieser sogenannten Pandemie. Solch ein Streit würde euch wahrlich gut tun, also fangt an, euch gegenseitig zu provozieren. Und Streit reinigt und läutert; wenn es sich danach klärt, wird es mehr Energie gegen den Klassenfeind geben.
13.6.2021
Auf der Kundgebung einiger Anarchisten dann doch nicht verteilte Flugblatt der Freien Linken Berlin