Karl Rauschenbach
Einige Anmerkungen für halbschwurbelnde Linke, die künftige Gesellschaftskritik betreffend (Aus Anlass eines Texts von Anselm Jappe)
Der folgende Text ist zuerst im Magazin der Masse erschienen. Ein Magazin, das in Wahrheit ein Webblog ist. Herbert Böttcher, ein Genosse der Zeitschrift Exit, hat darauf eine Replik geschrieben: „Du musst ‚Gesundheitsdiktatur‘ sagen! – Wer ist der beste beim Regredieren?“. Sie ist so wichtig, dass sie auch auf portugiesisch zu lesen ist: „Tens de dizer ‚ditadura da saúde‘! Quem é o melhor a regredir?“
Erfreulicherweise fängt die radikale Linke an, sich ein wenig zu streiten. Exemplarisch sei hier auf einen Anfang Januar 2022 geschriebenen Text „Haben Sie ›Gesundheitsdiktatur‹ gesagt?“ von Anselm Jappe aus dem Milieu der sogenannten Wertkritik verwiesen, der sich insbesondere deutlich gegen die Impfpflicht und Gesundheitsdiktatur richtet. Die Wertkritik als verdinglichter Terminus einer Subsekte der deutschen Linken geht auf den ehrenwerten und leider zu früh aus dieser Welt geschiedenen Robert Kurz zurück, der sich Anfang der 1990er im Rahmen der Zeitschrift Krisis zusammen mit einigen Verbündeten wie Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Claus Peter Ortlieb oder Roswitha Scholz einer grundsätzlichen Kritik aller Momente moderner kapitalistischer Herrschaft widmete. Es wurde eine kleine Schule daraus, mit den üblichen Schulspaltungen. Die Hauptlinie vererbte sich in die Zeitschrift Exit. In dieser sollte der Artikel von Anselm Jappe erscheinen, nur dass die Redaktion das ablehnte, was zu einer weiteren Spaltung führte. In der Begründung der Exit-Redaktion heißt es, dieser Text hätte „eine offene Flanke zu Coronaleugnern und Verschwörungsfantasien“. Dass der Autor offenbar weder Corona leugnen möchte noch zu Phantasien über Verschwörungen neigt, hilft ihm nichts, denn – so das Verdikt der Redaktion: „Die offene Flanke soll lediglich mit der Beteuerung abgesichert werden, man habe damit nichts zu tun.“ Während die einen Corona selbst leugnen, bietet und leugnet Anselm Jappe immerhin eine offene Flanke, was – die Wertkritik entsprang ursprünglich einer deutschen K‑Gruppe – natürlich am kleinbürgerlichen Denken des Autors liege: „In der offenen und zugleich geleugneten Flanke gegenüber Verschwörungsfantasien dürfte sich das Bedürfnis Ausdruck verschaffen, den eigenen kleinbürgerlichen Sehnsüchten nach Überschau- und Handhabbarkeit der sich chaotisierenden Krisenverhältnisse Raum zu geben.“ Die Reihen fest geschlossen, dem Feind nur keine Flanke bieten. Exit im Krieg. Aber natürlich stets unglaublich unüberschaubar und wenig handhabbar, gar komplex.
So weit, so gewöhnlich. Aber die Exit-Redaktion bringt hier noch einmal kompakt den seit nun über zwei Jahren recht erfolgreichen allgemeinen Wirkmechanismus der als Gatekeeper der Ordnung fungierenden Linken auf den Punkt. Er besteht aus drei Grunddogmen, die helfen, jede ernste innere Kritik im Keim zu ersticken; schon die gedankliche Kritik, aber dann auch die praktische Kritik. Weniger, weil das Folgende besonders neu wäre, sondern eher, weil die Fassade der verschlafenen und geschlossen die Staatsaktion tragenden Linken erst jetzt langsam Risse bekommt, hier noch einmal die Zurückweisung dieser drei Dogmen. Das scheint nützlich, da bekanntermaßen die Linken untereinander einen relativ strengen Moralkodex pflegen und zögerliche Kritik an der Staatsaktion aus den eigenen Reihen fast immer dazu tendiert, sich auf die eine oder andere Weise ängstlich und in vorauseilendem Gehorsam gegen die Übertretung dieser drei Gebote zu verwahren, um mit der Linken, mit der sie gleichzeitig in Widerspruch gerät, doch noch einen gemeinsamen Boden zu behaupten.
1a) Du sollst Corona nicht leugnen
Die Leugnung eines, wenn nicht aller Viren erscheint dem modernen Ungebildeten verwegen. Aber warum eigentlich nicht? Descartes hat bekanntlich Gott geleugnet und wenn er auch am Ende Gott gründlicher bewiesen hat als so mancher Scholastiker, so war die ursprüngliche Leugnung gerade hierfür notwendig. Das von Louis Pasteur und Robert Koch in die Welt gesetzte und durchgesetzte Konzept eines Virus, oder vager einer Mikrobe, war damals nicht unumstritten. Der bekannte Satz von Claude Bernard: „Die Mikrobe ist nichts, das Terrain ist alles“, legt davon Zeugnis ab. Das Terrain ist unser Leib. Eine Grippemikrobe kann ihm wenig anhaben, wenn er nicht anderweitig geschwächt ist. Ist er allerdings geschwächt, kann die parasitäre Vermehrung etwa der Grippemikroben im Leib dazu führen, dass der Organismus insgesamt aufhört. Im Grunde stirbt der Kranke – um die moderne Mode als Beispiel zu wählen – weder mit noch an Corona. Es ist ein durchaus komplexer Prozess zahlloser Momente, da nicht nur Leib und Mikroben interagieren, sondern auch der vielleicht durch grundsätzliche Erkrankung oder schlicht das Alter geschwächte Leib andererseits etwa durch akute Angst, permanenten Stress, chronisch schlechte Ernährung, grundsätzlichen Bewegungsmangel und überhaupt aus Mangel an Freude, Liebe und Lebenslust empfänglicher für sogenannte Viren sein kann und nicht einfach eine ungesellschaftliche Entität darstellt. All jene, die ständig ihre Opponenten der Leugnung und Unterkomplexität beschuldigen, leugnen eben diesen diffizilen, im Konkreten oft sehr individuellen, im Ganzen aber höchst gesellschaftlichen Zusammenhang und geben dann alle Schuld einem ominösen Virus, der wiederum – typisch positivistisch – in den Rang einer einfachen Wirklichkeit erhoben wird. Dabei offenbart schon ein oberflächliches Studium der Mikrobiologie, dass Virus nur ein Name für etwas ist, das man nur schwer definieren oder sogar dingfest machen kann. Der berechtigte Zweifel, ob zum Beispiel dieses Königsvirus überhaupt je vollständig isoliert wurde – die Voraussetzung für den legendären Drostentest – geht auf solche Fragen. Und selbst wenn er doch irgendwie sequenziert wurde, was folgt schon aus der Kenntnis der genauen Molekülzusammensetzung? Man kann diese dann natürlich Sars-Cov2 nennen, aber in dieser statischen Isolation ist damit wenig gesagt. Natürlich soll man Begriffe benutzen und Begriffe verweisen immer auf etwas Existierendes. Die famose Einheit von Begriff und Sache. Aber dann deckt sich unser Begriff nicht mit der Sache. Gerade der moderne Begriff der Naturwissenschaft ist sogar sehr ungenau, da sie die Ergebnisse ihrer Abstraktion und Analyse am Ende als Wesen unterschiebt und sie kaum zur Synthese der zu Dingen geronnenen Abstraktionen fähig ist. „Wissenschaft, hüte dich vor dem Denken“, sagte schon Hegel über Newton, der ein „vollkommener Barbar an Begriffen“ sei, nicht wußte, „dass er Begriffe hatte und mit Begriffen zu tun hatte, während er mit physischen Dingen zu tun zu haben meinte“ und der die „Begriffe wie sinnliche Dinge handhabte und sie nahm, wie man Stein und Holz zu fassen pflegt“. Und doch hat Newton etwas über die Physik gesagt und möglicherweise sogar Robert Koch oder Louis Pasteur über die Biologie. Aber diese ganzen unwissenschaftlichen Apologeten des Königsvirus, die vor der Virusleugnung warnen, tragen zu letzterem nichts bei und indem sie die Viren einfach als Faktum und Fatum setzen, helfen sie der völlig einseitigen, falschen und manischen Fixierung auf die Mikroben, indem sie deren notwendigen Stoffwechsel mit unserem Leib völlig ausblenden, ohne den diese für sich genommen leblosen Mikroben buchstäblich nichts sind.
Insbesondere wirkt in unserem lebendigen Leib das sogenannte Immunsystem, ein anderes gerne im Munde geführtes Konzept aus der Zeit Louis Pasteurs oder – wie die Deutschen sagen – aus der Zeit Robert Kochs. Und wenn auch dieser sehr fragwürdige Begriff aus dem deutsch-französischen Krieg stammt, den Louis Pasteur und Robert Koch ideologisch in ihrem Fachgebiet reproduzierten – das Immunsystem sei eine Art Gefechtsstand des Körpers, der sich äußeren Eindringlingen widersetze –, sind doch die Querdenker völlig im Recht, wenn sie immer wieder betonen, dass ein gutes Immunsystem ganz gut mit Grippeviren aller Art umgehen kann, während die Covidianer sofort zu Immunsystemleugnern wurden: Das Virus sei so neu, dass unsere Abwehr dagegen nichts ausrichten könne. Anstatt die Erkrankten in irgendeiner Weise zu unterstützen, ließ man sie oftmals einfach verrecken. Es helfe ja nichts außer Isolation und wer krank wurde, dem mochte Gott helfen. Aber auch, wer gar nicht krank war, konnte nun, wenn er der Pflege bedürftig war, zum Beispiel dehydrieren, weil die Pfleger entweder panisch wegliefen oder – man überlässt die Pflege der Alten bekanntlich meist Migranten – in ihre Heimatländer zurückfahren mussten.
Wenn also nichts gegen eine ergebnisoffene und hier nur angedeutete Dekonstruktion und Diskussion zentraler Begriffe der Biologie wie Virus und Immunsystem oder, allgemeiner formuliert, Mikrobe und Terrain spricht, sondern durchaus einmal gründlich darüber nachgedacht werden könnte, so geht der beliebte Vorwurf der Coronaleugnung an der Sache vorbei, da eine wirkliche Leugnung – Anzweiflung wäre das weniger denunziatorische Wort – der Viren im Allgemeinen oder dieses speziellen Coronavirus im Besonderen nur bei wenigen innerhalb der Opposition zu finden ist. Das erste Dogma der Gatekeeper lautet daher in Wirklichkeit:
1b) Du sollst die Pandemie nicht leugnen
Die Pandemie sei so offensichtlich, dass man schon irre sein müsse, um sie zu leugnen. Nun kann jeder natürlich private Geschichten erzählen und meine lautet klipp und klar: In meinem Umfeld ist die Todesseuche ausgefallen. Aber solche Privatevidenz ist natürlich anrüchig und auch tatsächlich wenig aussagekräftig. Werfen wir also einen Blick auf die trübe Statistik aller Toten der Vereinigten Staaten von Amerika, irgendwie altersbereinigt:
Man sieht hier den erschreckenden Umstand, dass 2020 prozentual so viele Menschen gestorben sind wie – Tusch – seit dem Jahr 2003 nicht mehr. In den Jahrzehnten davor waren es allerdings immer mehr Todesfälle pro Hundert als im Jahr 2020. Die 70er und 80er und 90er müssen also ein wahres, gar pandemisches Massensterben der alten und verwundbaren Menschen gewesen sein, denn – von Unfällen und Ausnahmen abgesehen – sind es immer diese, die sterben, woran oder unter welchen Umständen auch immer. Man kann und soll natürlich einen Bypass legen, wenn möglich, und meinetwegen kann man auch Herzklappen austauschen, aber der Mensch ist dann doch sterblich und so war damals niemand grundsätzlich irritiert davon, dass (alte) Menschen gestorben sind und man hat sie hoffentlich individuell betrauert – anders als in den letzten zwei Jahren, da man sie teilweise nicht einmal beerdigen durfte und man die Alten oft alleine und von den Liebsten isoliert sterben ließ. Allerdings hat die prozentuale Sterblichkeit im Jahr 2020 tatsächlich einen kleinen Sprung gemacht. Das mag an einer besonders schweren Grippewelle gelegen haben, man soll da leidenschaftslos sein und die Natur hat ihre Mucken, aber andererseits gehen eben die konkreten Todesumstände in solchen Statistiken verloren, so dass man sich da auch nicht zu sicher sein sollte. Ich erinnere mich noch an Zeitungsartikel, nach denen man Demente zuhauf sterben ließ, ganz ohne Corona, einfach „due to disruption to care and restrictions on visitors causing loneliness“ wie es hinterher lakonisch auf der Webseite des World Economic Forum heißt. Oder an die anfangs umgesetzte Empfehlung der WHO, keine konventionelle Beatmung zu benutzen, sondern die Leute lieber vorschnell und zu oft zu intubieren, was wiederum zu vielen Todesfällen führte. Aber lassen wir all diese meist schamhaft verschwiegenen Grausamkeiten einer von der Königsgrippe berauschten Gesellschaft beiseite und gucken nur auf die das nackte Leben abbildenden Zahlenkolonnen: Es gab keine Erhöhung der Sterblichkeit im Jahr 2020, die für sich genommen den gesamten Planeten im Bann hätte halten dürfen. Oder auch: Es gab keine Pandemie.
Bei der dogmatischen Pandemiebehauptung handelt es sich im Grunde um eine Anwendung von Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie: Wenn man es nur oft genug und am besten mit der Autorität irgendeines Kittels behauptet, dann übernehmen alle diese Tatsachenbehauptung, unabhängig davon, ob sie sich mit der eigenen, auch kollektiven Sinneswahrnehmung deckt. Wir haben also Pandemie und von der werden auch ehrliche Kritiker angesteckt: Auch Anselm Jappe spricht wie selbstverständlich von einer Pandemie. Immerhin verstellt ihm das nicht vollständig den Blick auf den Rest, aber im Allgemeinen schwächt dieser Pandemiepositivismus die Position von Kritikern des Ausnahmezustands stark ab und trübt vor allem deren Blick auf die Konsequenzen. Es wird so suggeriert, es ginge bei all den Maßnahmen – bei allen gegebenenfalls konstatierten Widersprüchen und Absurditäten – tatsächlich um die Bekämpfung einer Pandemie. Um Gesundheitspolitik im Sinne der Gesundheit. Sie verdrehen damit das Verhältnis und verstellen sich eben den Blick auf das wirkliche Geschehen. Damit sind wir beim zweiten Punkt: Denn mit dem rituellen Vorwurf der Pandemieleugnung geht immer die Verdammung der sogenannten Verschwörungsfantasien Hand in Hand.
2) Du sollst kein Verschwörungstheoretiker sein
Hier haben die Gatekeeper der Ordnung eigenwillig recht: Hat man einmal erkannt, dass es eben keine Pandemie ist, die uns drückt, fragt sich doch, warum dann seit über zwei Jahren dieser Zirkus? Man kann natürlich gesellschaftliche Mechanismen finden, die ohne eine eigentliche Verschwörung auskommen: die um sich greifende Sensationslust der Medien, die nach Einschaltquoten gieren, der Konformismus der Politiker, die von einer verängstigten Gesellschaft gewählt werden wollen, die Profitsucht einzelner Akteure und Kapitalien, etwa der Pharmaindustrie oder dieser Digitalwirtschaft. All das hätte sich ohne größeren Plan verselbstständigt und in einer Art positiven Feedbackschleife zum Exzess gesteigert. Aber solche Phänomene repräsentieren bei der Tiefe und Dauer des Ausnahmezustands nicht dessen Wesen, wenn sie auch sicherlich für das Geschehen notwendige Momente sind. Dann kann man die Ansicht finden, der Kapitalismus sei in einer grundsätzlichen Krise und brauche eine Ausrede für seine Restrukturierung, oder der Dollar müsse endlich als Weltzahlungsmittel abgelöst werden und die damit einhergehenden Verwerfungen gerade in der westlichen Welt sollten auf eine Grippe abgeschoben werden. Irgendwas davon. Oder alles zugleich. Man soll darüber durchaus theoretisieren oder auch phantasieren, da niemand sehr klar in solchen Sachen sieht. Aber ohne Verschwörung im weiteren Sinne kommen gerade die letztgenannten strukturell bedingten Umbrüche nicht aus. Jappe thematisiert die Abwehr jeglicher Verschwörungstheorie dann auch und widerspricht ihr, aber nur – nicht, dass man ihn tatsächlich noch für einen Verschwörungstheoretiker hielte – mit einer pflichtschuldigen Distanzierung: „Natürlich gibt es keine geheimen Treffen der Supermächtigen, die in aller Freiheit die Drähte ziehen.“ Ein biegsamer Satz. Gibt es überhaupt keine Treffen der Supermächtigen? Oder gibt es nur keine geheimen Treffen der Supermächtigen? Oder gibt es beides, nur dass sie nicht in aller Freiheit die Drähte ziehen können, etwa weil sie als Charaktermasken ihrerseits irgendwie im Rahmen der Kapitalakkumulation und deren objektiven Zwängen handeln? Letztere Annahme rechtfertigt das salopp vorangestellte „natürlich“, welches andererseits seine Genossen besänftigen soll. Die Quintessenz moderner Verschwörungstheorie ist seit längerem gerade, dass die Verschwörer auf zahlreiche Subsysteme zurückgreifen müssen, die jeweils gar nicht eingeweiht sind und ihren eigenen Gesetzen folgen. Die Maxwell’sche Wende der Verschwörungstheorie besteht bekanntlich darin, dass man das gesamte Kraftfeld der Welt für seine Verschwörung nutzen, aber eben auch voraussetzen und wirken lassen muss. Pyramidenförmige Verschwörungen gibt es nur als Teilmoment, zumal es viele einander feindliche Verschwörungen im selben gesellschaftlichen Kraftfeld gibt. Und weil das Wort Verschwörung immer nach Blutschwur klingt: Das Wort Konspiration oder einfach nur Politik ist treffender.
Aber konkreter: Ein wenig geheimes Treffen einiger Supermächtiger fand Ende 2019 statt. Vielleicht waren es auch nur deren leitende Angestellte und manch Veteran war auch dabei, etwa das Reptil Kissinger. Oder es handelte sich nur um einige leitende Charaktermasken dieser ominösen abstrakten Herrschaft, die wir gerne Kapitalismus nennen. In jedem Fall waren es echte Menschen aus dem Kreise der Macht selbst. „Ende 2019“ also, um mich selbst aus der ersten Ausgabe des Erregers zu zitieren, „verbündete sich die New Yorker Finanzkrake Bloomberg mit dem China Center for International Economic Exchanges (CCIEE) und sie veranstalteten eine Konferenz in Beijing. Viele Panels, viel Langeweile. Dort haben sich Xi Jingping und Henry Kissinger die Hände gereicht. Bill Gates durfte reden und Zhou Xiaochun trat auf. Wir aber hören Tidjane Cheick Thiam, gefragt von Susan ‚Zanny‘ Minton Beddoes. Zanny: ‚Ich will mich jetzt an Dich wenden, damit du eine Perspektive aus Europa gibst.‘ Tidjane Cheick Thiam: ‚Ich denke, der Druck liegt auf den entwickelten, reifen Wirtschaften, bei denen es einen Cocktail aus Demographie – die bei einer alternden Bevölkerung negativ ist – und unbezahlbaren Sozialversprechen gibt. Das ist eine toxische Kombination und jeder weiß, dass irgendwie und an irgendeinem Punkt jemand sagen muss: des Kaisers neue Kleider, und dann muss es da eine Art von politischer Übereinkunft und Bereinigung geben. Und persönlich glaube ich, dass das passieren wird, ich glaube nur, dass das ein schmerzhafter Prozess wird.‘“ Dieser Hohepriester des Kapitals – er war damals CEO einer großen Schweizer Bank – mag sich als objektive Stimme eben der Kapitalgottheit ausgeben, der nur ausspricht, was diese Gottheit selbst verlangt, aber andererseits ist er Mitglied der Group of Thirty, einem illustren Kreis, der im Wesentlichen, aber nicht nur, aus ehemaligen Notenbankern besteht. Auch dieser Kreis ist nicht geheim, man kann ihn auf Wikipedia zusammen mit einer Liste aller offiziellen Mitglieder finden. Er wird manchmal geheim tagen, was sein gutes Recht als exklusive Privatorganisation ist. Und er ist gegebenenfalls auch nicht besonders wichtig, so wenig wie die erwähnte Tagung in Beijing: Es gibt viele solche Knotenpunkte der Macht. Aber was sein Mitglied Tidjane Cheick Thiam sagt ist ganz richtig und jetzt, zwei Jahre später, sehen wir, wie unter dem Deckmantel einer falschen Pandemie tatsächlich damit begonnen wurde, sowohl die Pensionsfrage als auch die Frage der unbezahlbaren Sozialversprechen zu klären, zu denen auch das Krankensystem gehört. Und dass man dabei sogar im Namen der Gesundheit unserem Gesundheitssystem an den Kragen gehen kann, weil es bei einer alternden Bevölkerung zu teuer sei – ein wenig diabolisch ist der Plan, den Arzt durch die Spitze zu ersetzen, schon. Und er ist nur ein Aspekt der gewaltigen Umstrukturierung des weltweiten Kapitalismus, inklusive der Abdankung der USA als absolute Weltmacht und ihres Dollars als Weltgeld. Man soll solche Kleinigkeiten nicht auf einzelne Akteure schieben und es gibt dafür sehr objektive Gründe innerhalb eben des krisenhaften (westlichen) Kapitalismus. Die einzelnen Akteure sind zudem oftmals erbitterte Feinde und eben nur durch einige objektive und gemeinsame Probleme miteinander verbunden, die sie dann mitunter auf Treffen wie demjenigen in Beijing zusammenbringen. Aber vieles ergibt mehr Sinn, wenn man als Hypothese einmal stehen lässt, dass die Königsgrippe eine Operation der Vertreter des ideellen und weltweiten Gesamtkapitals ist, und vieles wird klarer, wenn man die Machenschaften solcher und anderer Konspirationisten der Herrschaft analysiert.
3) Du sollst kein Querdenker sein
Das dritte Gebot der Gatekeeper ist die Abgrenzung von der Querdenkerei. Es folgt zwanglos aus den ersten beiden Geboten: Hat man die Pandemie akzeptiert und auch den Widerwillen gegen Verschwörungen, kann man letztlich nur punktuell bestimmte Übertreibungen kritisieren, der gemeinsame Boden mit der gegenwärtigen Herrschaft bleibt. Umgekehrt, sobald man einmal vom Virus losgekommen ist und die Entwicklung der letzten zwei Jahre davon unabhängig rekapituliert, man wird geradezu auf die Straße getrieben. Und nur wer dabei die Konspiration der Herrschaft kennt, möchte seinerseits konspirieren. Man wird Bundesgenossen suchen und sei es zunächst nur, um ungestört ein Gespräch über das Grauen führen zu können ohne einen dieser Moraltrompeter, mit denen man immer nur über die Gefahr durch Viren reden kann. Und die einzigen, die all das Grauen irgendwie benennen dürfen, sind eben die zu Coronaleugnern abgestempelten Leute. Oder besser umgekehrt ausgedrückt, alle, die es benennen, werden zu Coronaleugnern erklärt. Darin besteht das Dilemma derer, die innerhalb der irgendwie radikalen Linken Kritik sowohl an dem fatalen Kurs ihrer Genossen als auch an der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung üben: Das internalisierte Verbot jeglicher offenen Flanke gegenüber den Querdenkern verhindert effektiv, dass man sich überhaupt in die Auseinandersetzung begeben und einmischen kann, denn sobald man etwas gegen die Impfung oder wenigstens gegen die für aufrechte Pflegerinnen schon geltende Impfpflicht sagt oder gar unternimmt, oder sobald man das Verbot, sich zu treffen, tatsächlich bricht, im privaten Rahmen oder auf gemeinsamen Aktionen, dann ist man tatsächlich bereits ein Querdenker. Denn in solchen gegen den Lockdown gerichteten Taten besteht gerade die praktische Querdenkerei, egal was der einzelne Querdenker dazu sagen und denken mag oder ob er sich überhaupt als Querdenker begreift. Nur so kann man die verallgemeinerte Querdenkerhysterie überhaupt verstehen, denn der ebenso Umfang zunehmende wie konfuse Protest gegen die Zumutungen der letzten Jahre ist ideologisch sehr fragmentiert und hat kaum wirkliche Organisationen oder Gruppierungen hervorgebracht. Schon gar keine, die für sich beanspruchen könnten, diesen gärigen Haufen zu repräsentieren. Insbesondere lässt er sich nicht unter einem Namen subsumieren. Dazu muss man allerdings auch sagen, dass die explizite Querdenkerstruktur sich dem Ausnahmezustand noch am ehesten organisiert entgegenstellte und damit eine Gefahr für den autoritären Staat zumindest andeutete und spätestens da hört der Spaß endgültig auf. Davon muss der gewöhnliche Linke a priori die Finger lassen, sonst ist er aus dem ihm liebgewordenen Verein draußen. Wie eben Anselm Jappe aus der Zeitschrift Exit, obwohl er bei aller Verve im Grunde alle drei Gebote der Gatekeeper berücksichtigt. Jetzt, da das ganze Viruszeugs durch weitere gewaltige, spektakuläre Krisen erweitert wurde – immerhin droht man uns mit Armut, Kälte, Hunger und sogar Atomkrieg –, beginnen viele aus dem linken Spektrum mit einer halbherzigen Kritik. Sie werden quasi zu Halbschwurblern und sind dabei oft deutlich zaghafter als der hier bemühte Anselm Jappe. Aber es gibt keinen halben Skandal und will man auf der Straße oder auch nur in der sich längst formierenden Gegenöffentlichkeit etwas ausrichten, wird man das Schisma mit den Gatekeepern in den eigenen Reihen suchen müssen, noch bevor man innerhalb der heterogenen Opposition für mehr Klärung sorgen kann. Erst dann wird vielleicht auch die bitter nötige Kapitalismuskritik wieder glaubhafter. Also keine Angst vor der eigenen Courage.
23.8.2022
Quelle: Magma – Magazin der Masse