Zur falschen Kritik des 1. Mai
Auf dem Kommunistischen Apriltresen verlesener und verteilter Diskussionsbeitrag
Der kommunistische Tresen in Berlin ist überrannt und mit Fug und Recht sollte Che Guevaras Parole „Schaffen wir zwei, drei, viele kommunistische Tresen!“ durchs Land ziehen und auch umgesetzt werden. Erfreulicherweise gibt es dort neben viel mündlicher Diskussion auch ein wenig schrifftliche kommunistische Kritik. In diesem Fall die Aufforderung, den ersten Mai als Tag der Arbeit zu begehen, da es schon immer das vornehmste Ziel der Kommunisten war und ist, die Arbeit aus den Klauen ihrer falschen, kapitalistischen Form reißen zu wollen, dass endlich durch die vereinigte und zweckgerichtete Tätigkeit aus unsere Erde, wenn nicht schon ein Paradies, so doch einen angenehmen Flecken wird. Das Flugblatt wurde auf dem Tresen im April 2019 verlesen und verteilt. Auf demselben Tresen wurde noch das Flugblatt „Der innerliche Kommunist“ ausgelegt.
Die Auseinandersetzung um den 1. Mai findet in der deutschen Linken in der Regel anhand von 2 Fragen statt: der nach dem Begriff der Arbeit und der nach dem Besuch der 18 Uhr-Demo. In beiden Fällen führt die Diskussion dabei meist an der wesentlichen Frage, der nach revolutionärer Praxis, vorbei. Darauf soll hier eingegangen werden, um eine Wahrnehmung dieses Datums zu reetablieren, die sich des Muffs der deutschen Szenequerelen entledigt und seiner revolutionären Bedeutung gewahr wird.
Ein oft ins Feld geführte Argument gegen den Tag der Arbeit ist die Kritik der Kategorie der Arbeit selbst. Dazu schreibt Marx in den Grundrissen: „Die Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit – als Arbeit überhaupt – ist uralt. Dennoch, ökonomisch in dieser Einfachheit gefasst, ist ‚Arbeit‘ eine ebenso moderne Kategorie, wie die Verhältnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen. […] Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith jede Bestimmtheit der reichtumserzeugenden Tätigkeit fortzuwerfen – Arbeit schlechthin […] Mit er abstrakten Allgemeinheit des als Reichtum bestimmten Gegenstandes, Produkt überhaupt oder wieder Arbeit überhaupt, aber als vergangene, vergegenständlichte Arbeit. […] Nun konnte es scheinen, als ob damit nur der abstrakte Ausdruck für die einfachste und urälteste Beziehung gefunden, worin die Menschen – sei es in welcher Gesellschaftsform immer – als produzierend auftreten. Das ist nach einer Seite hin richtig. Nach der anderen nicht. Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist.“ Der menschliche Stoffwechselprozess nimmt unter kapitalistischen Produktionsverhältnisse die Form von Arbeit – abstrakter und zugleich konkreter – an. Das menschliche Bedürfnis wird dem Zweck der Mehrwertproduktion untergeordnet. Der Verdienst einer Kritik der Arbeit als spezifisch moderne Kategorie, wie sie durch Paul Lafargue und die Wertkritik geleistet wurde, löst aber die Dialektik des Begriffs, die Marx in den Grundrissen noch festhielt einseitig auf. Die arbeitskritische Linke möchte spielerisch die Kanalisation organisieren und danach auf Adornos Luftmatratze auf dem Wasser liegen. So exemplarisch Stephan Grigat: „Dementsprechend verachtet solch eine Kritik die Parole ‚Die Arbeit hoch!‘ und setzt dagegen die Vorstellung Theodor W. Adornos von einem befreiten gesellschaftlichen Zustand: »auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen«, was übrigens auch eine schöne Alternative zu den drögen Gewerkschaftsaufmärschen oder der Klassenkampfsimulation linker Splittergruppen am 1. Mai ist.“ Doch die Dinge sind komplexer. Das System, dass die Menschen unterdrückt, ernährt sie zugleich, heißt es bei Adorno. Selbiges gilt für die Arbeit. Der Stoffwechselprozess der Menschheit, der seit dem Übergang zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen in der Form abstrakter Arbeit stattfindet, hat nicht nur die Atombombe, sondern auch den Herzschrittmacher hervorgebracht. Anders formuliert: Es ist der geronnenen menschlichen Arbeit der vergangenen Jahrhunderte zu verdanken, dass sich die Lebenserwartung herzkranker Menschen beträchtlich verlängert hat. Das Verhältnis von Arbeit und emanzipatorischer Tätigkeit wird auch in einer nach-revolutionären Gesellschaft eng miteinander verwoben sein. Es wird einiges an Aufwand erfordern, die globale Produktion so umzustellen, dass ein einheitlicher Lebensstandard für momentan 7 Milliarden Menschen geschaffen wird und die Grenzen von arm und reich endlich verschwinden. Das mag dann im strengen Sinne keine ‚Arbeit‘ sein, aber in den Regionen, die bislang in erster Linie als Rohstofflieferanten dienten, eine funktionierende Infrastruktur zum Wohle der Allgemeinheit aufzubauen, wird sich wohl kaum spielerisch gestalten. Eine post-revolutionäre Gesellschaft wird sich auch mit den Folgen von Naturkatastrophen im Zuge des Klimawandels auseinanderzusetzen haben, die nicht mehr aufzuhalten zu sein werden. Hierfür stehen ihnen Gegenstände geronnener menschlicher Arbeit – Flugzeuge, Bagger, Krankenhäuser… – zur Verfügung, die ohne die Zwänge des Kapitals sinnvoll eingesetzt werden können. Ebenso wie die in Papier geronnene Arbeitszeit, die durch den Druck von Bild-Zeitungen zur geistigen Verrohung einer Gesellschaft beiträgt, durch den Druck von Flugblättern – und den zeitlichen Aufwand einzelner – auch unter bestehenden Verhältnissen einen Beitrag zu emanzipatorischer Praxis leistet. Über diese potentiellen Transformationsprozesse sollten sich Kommunistinnen Gedanken machen, denen es um die Sache ernst ist, statt sich in Form der Geschichtsmetaphysik von Stephan Grigat und Co
theoretische Kritik –> … Bilderverbot … –> „faul auf dem Wasser liegen“
in reine Theorie zurückzuziehen. Die Frage nach menschlicher Befreiung wird nicht durch „faul auf dem Wasser liegen“ oder „die Arbeit hoch!“, sondern anhand der Sinnhaftigkeit menschlichen Tätigseins entschieden. Wertkritik und Arbeiterbewegung haben gegeneinander Recht. Ihre Positionen lassen sich durch jene vermitteln, denen es um mehr als Identität und einfache Wahrheiten geht.
Ähnlich grobschlächtig und undialektisch wie mit dem Begriff der Arbeit´, wird mit dem 1.Mai als Ganzem verfahren. Zu entscheiden hat sich der/ die Linke zwischen: auf die Demo gehen oder nicht auf die Demo gehen (und diese Absenz dann bestenfalls demonstrativ nach außen zu tragen). Der 1. Mai wird zu einer Veranstaltung verklärt, auf der sich im besten Fall Idioten, im andern Fall Antisemiten zusammenfinden. So schreibt Stephan Grigat, der weder mit Gewerkschaften noch mit Klassenkampf noch etwas zu tun haben möchte: „Der in jedem arbeitsfetischistischen 1.Mai-Aufruf artikulierte Sozialneid ist das Gegenteil von dringend notwendiger Sozialkritik.“ Das ist falsch. Der auf 1. Mai-Demonstrationen artikulierte Sozialneid ist die unmittelbare Wahrnehmung von Klassengegensätzen in einer fetischistischen Gesellschaften, die sich eben dadurch auszeichnet, nicht so zu erscheinen wie sie ihrem Wesen nach ist. Der artikulierte Sozialneid ist ein notwendiges Moment in der Entstehung eines kommunistischen Bewusstseins.
„Wenn sich Klassenbewußtsein als parteiliches Totalitätsbewußtsein wirklich soll bilden können, muß sich das Moment der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus, durch welche Umwandlungen und Vermittlungen auch immer, in das Bewußtsein der Masse, umsetzen und in ihre Erfahrung eingehen.“ (Hans-Jürgen Krahl) Die Vermittlung zwischen der unmittelbaren Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit und radikaler Gesellschaftskritik herzustellen, ist die Aufgabe kommunistischer Theorie. Zur Bedeutung, die dem 1. Mai dabei zukommt, schreibt Rosa Luxemburg: „Solange der Kampf der Arbeiter gegen die Bourgeoisie und die Regierung währen wird, solange noch nicht alle Forderungen erfüllt sein werden, wird die Maifeier der alljährliche Ausdruck dieser Forderungen sein. Wenn aber bessere Zeiten dämmern werden und die Arbeiterklasse ihre Erlösung in der gesamten Welt erlangt haben wird, auch dann wird wahrscheinlich, zum Gedenken an die ausgefochtenen Kämpfe und an die erlittenen Leiden, die Menschheit den 1. Mai festlich begehen.“ (Rosa Luxemburg) Es geht also nicht darum, was der 1.Mai empirisch ist bzw. zu einer bestimmten Demonstration aufzurufen, sondern an der Bedeutung des 1.Mais für die revolutionäre Arbeiterbewegung festzuhalten und sich somit einer Tendenz einer scheinbar reflektierten Linken entgegenzustellen, die den 1.Mai als solchen zu einem Datum antiemanzipatorischer Praxis erklären will. Er war der internationale Kampftag der Arbeiterbewegung, lange bevor er in Deutschland unter Hitler zum Feiertag erklärt wurde. Er ist und bleibt ein Tag, der für die Tradition revolutionärer Kämpfe auf globaler Ebene steht und damit über unmittelbares Tagesgeschehen und innerdeutsche Szenebefindlichkeiten hinausweist. Auf allen Kontinenten tragen Menschen an diesem Tag ihren Unmut auf die Straße. Die unabgegoltenen revolutionären Forderungen, die mit ihm verbunden sind, zu kaschieren, ist das Ziel des Kreuzberger Ballermanns, der damit als Speerspitze bürgerlicher Geschichtsschreibung fungiert. Politik und Polizei wollen den 1. Mai zu einem Ausdruck einer gewaltfrei und in Vielfalt zusammenlebenden Stadt stilisieren, um uns am nächsten Tag wieder aus leerstehenden Häusern zu prügeln, die luxemburgischen Briefkastenfirmen als Spekulationsobjekte dienen. Die „Erlösung in der gesamten Welt“ steht weiterhin aus. Daher gilt es die revolutionäre Bedeutung der Maifeier hochzuhalten und zu fordern:
Heraus zum 1.Mai!
April, 2019