Jenseits von Israel
Zur Klassenkampfpos(s)e der Antideutschen Kommunisten Berlin
Redaktionserklärung der Bahamas vom 29.10.03
Auf der Konferenz „Gegen die antisemitische Internationale“ hat ein Genosse von den Antideutschen Kommunisten Berlin (AdK) einen Vortrag gehalten, dessen letzter Abschnitt bei einigen aufmerksamen Zuhörern auf Unmut stieß. Zwei Monate danach bekam die Bahamas, eine „überarbeitete“ Fassung dieses Vortrags, in der die entsprechenden Passagen nicht etwa getilgt, sondern im Schlußabschnitt noch zugespitzt waren. Mit den Autoren wurde vereinbart, daß ihr Vortrag ohne jenen 7. Abschnitt gedruckt werden würde. Die inhaltliche Begründung des zuständigen Redakteurs scheint die Autoren jedoch nicht überzeugt zu haben.
Inzwischen ist es nicht zur Korrektur seitens der AdK gekommen – die wenigen Kritiker innerhalb der Gruppe konnten sich nicht durchsetzen und sind inzwischen ausgetreten –, im Gegenteil: Der vollständige Text wurde nicht nur auf die Website der AdK gestellt, sondern zu allem Elend auch „ungekürzt“ und unkommentiert sowohl in „The fish doesn’t scream“ als auch in „T-34“ nachgedruckt. Die Bahamas steht jetzt vor der unschönen Aufgabe zu tun, was mindestens 500 Leute, die den „ungekürzten“ Text kennen, in Form scharfer Repliken an die genannten Redaktionen und die AdK selber hätten tun können. Aber es schweigt im antideutschen Wald, man hört hier und da von Bauchschmerzen, die man mit jenem 7. Abschnitt habe, mehr aber auch nicht.
1. Unsere „kommunistische Aufgabe“
Das „theoretische“ Unheil, das die AdK da angerichtet haben, ist keineswegs nur die Besonderheit dieser Berliner Gruppe. Als würde für alle Antideutschen, die den Irakkrieg gutgeheißen haben und die Fahne Israels auf Demonstrationen tragen, das Ausmaß ihres Verrats an der deutschen Linken erst jetzt richtig ermeßbar, hagelt es seit dem Frühsommer Identitätskrisen. Als wäre die Teilnahme des jüdischen Intellektuellen und Welt-Redakteurs, des Antifaschisten Hannes Stein, auf der Konferenz im Juni Indiz für eine um sich greifende Theorieverlassenheit und Revision kommunistischer Zielsetzung gewesen, greifen Zweifel am praktischen Agieren antideutscher Genossen in verschiedenen Städten um sich. Kommunisten, so scheint es einigen, gibt es doch mehr als man im antideutschen Schmollwinkel immer so dachte, und was die Antideutschen Kommunisten Berlin jetzt vorgelegt haben, liest sich wie das Angebot zu einer Assoziation, die unter der Überschrift, „jenseits von Israel“, manche doch so bitter nötige Abgrenzung zurückzunehmen helfen könnte.
In diesem Sinne stellen die antideutschen Kommunisten einen ganz revolutionären Imperativ auf: „Auch wenn das Ziel des praktischen Umsturzes momentan nicht auf der Tagesordnung steht, müssen alle unsere Aktivitäten als Kritiker daran gemessen werden, ob sie, wie vermittelt auch immer, diesem Ziel nützen oder nicht. Tun sie es nicht, so sind sie überflüssig wie ein Kropf.“ (Alle Zitate und alle kursiv gesetzten Passagen stammen aus dem letzten Abschnitt von „Die Welt darf sich nicht ändern, und wenn sie in Scherben fällt“ der AdK, Hervorhebungen stammen von der Red.)
Daß solches Insistieren auf der revolutionären Aufgabe, das den ganzen Text durchzieht, nicht nur reichlich befremdlich ist, sondern auch eine Intention transportiert, die sich weder mit Kommunismus noch mit Aufklärung vereinbaren läßt, fällt bei erster Lektüre kaum auf. Die Redaktion Bahamas überläßt es gerne anderen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob ihre kritischen Interventionen im Blatt oder zusammen mit Genossen auf der Straße dem praktischen Umsturz nützen oder nicht. Wir legen lediglich Wert darauf, daß unsere kritischen Einsichten wahr und die von uns geforderten Entscheidungen notwendig – weil der Wahrheit verpflichtet – sind und keine überflüssigen Dreingaben. Wir können uns allerdings vorstellen, daß unsere dezidiert vorgetragene Befürwortung der aktuellen Außenpolitik der USA geeignet ist zu legitimieren, daß es in diesem oder jenem islamischen Land zum praktischen Umsturz unter grünen Vorzeichen nicht kommt und stattdessen „Konterrevolutionen“ erfolgen, die grüne oder panarabistische Regime beseitigen. Wie vermittelt die Einführung des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesetzgebung in den irakischen Kurdengebieten zur Weltrevolution beiträgt, wissen wir nicht. Wir widersprechen aber nachdrücklich allen Versuchen, jenen tätigen Antifaschismus der US-Army und der IDF, der gerade nicht Völker, sondern Menschen zu befreien angetreten ist, gegen einen Sack voll Flöhe auszuspielen, auf dem dick das Wort Kommunismus gemalt steht. Als Antideutschen und schon deswegen Kommunisten muß es uns in dieser Zeit reichen, daß es ein besseres Leben für die irakischen Kurden und ein sichereres für die Israelis gibt, und daß den islamischen oder panarabischen Revolutionären und Old Europe Schaden zugefügt wird, und das ganz unvermittelt.
2. Alle „Überflüssigen“ werden still, wenn der „Aufstand aller“ es nur will
Wir wenden uns deshalb nachdrücklich gegen die Unterordnung der Wahrheit unters vorab gesetzte revolutionäre Ziel, das als zum Existential aufgeblasener praktischer Umsturz wie das lichte Morgenrot Denken und Kritisieren leiten soll. Die seltsame Drohung mit der Überflüssigkeit gegen Anderskritisierende ist nur geeignet, die eigenen Hervorbringungen gegen Kritik zu immunisieren. Wer kritisiert, so lautet die revolutionäre Botschaft des AdK-Papiers unfreiwillig, hat positiv zu sein, wer zu keinem Ergebnis kommt, das ihrem selbstherrlich gesetzten Ziel nützt, ist Kleinbürger und von Natur aus feige und kleingläubig.
Zwar steht das Ziel praktisch momentan nicht auf der Tagesordnung, dennoch scheint es revolutionäre Pflicht zu sein, unablässig davon zu reden, gerade so, als wollte man überschreien, daß Kommunisten schon deshalb antideutsch zu agieren hätten, weil jede hierzulande derzeit denkbare, auf Umsturz gerichtete Aktivität, das Gegenteil von Befreiung intendiert. Weil sie insgeheim entschlossen sind, das Unmögliche so lange zu fordern, bis sie an irgendeinem gemeinsamen Widerstand partizipieren dürfen, denunzieren die AdK schon einmal vorab mögliche Kritik als Kollaboration mit den postnationalsozialistischen Zuständen. Wer am gemeinsamen Widerstand herummäkelt, ist solcher Logik zufolge nicht besser als der Klassenfeind oder der Mob, der gegen diesen doch eigentlich aufgeboten werden soll, wenn es nach den AdK geht.
„Zu dieser Identifikation (mit dem Aggressor; gemeint ist die Herrschaft) aber, und damit zur Verdrängung ihres Hasses und ihrer Wut, sind alle Mitglieder dieser Gesellschaft einschließlich ihrer Kritiker bei Strafe des Untergangs gezwungen, solange sie es nicht schaffen, sich zum gemeinsamen Widerstand zu assoziieren.“
Hier äußert sich in aller Offenheit das Mißvergnügen an der eigenen Rolle als Kritiker der deutschen Zustände. Sie bringt einem nicht nur viele Feinde ein, sie nötigt einen auch noch, das praktische revolutionäre Ziel, ja selbst das revolutionäre Potential vor dem drohenden Hintergrund einer deutschen Revolution in Frage zu stellen. Deutsche Intellektuelle auf dem Sprung zur Führung irgendwelcher Bewegungen haben es immer schon fertig gebracht, Kritiker als eingebildete Größenwahnsinnige zu denunzieren, die sich unverschämterweise anmaßten, alles besser zu wissen. Es folgt der verlogene und hochmütige, vielleicht ja unfreiwillige, Schulterschluß mit den antisemitischen, autoritären Massen. Objektiv nämlich, so die Botschaft, bekräftigten auch wir – gemeint sind perfiderweise nicht nur die AdK, sondern auch die antideutschen Kritiker – das gleiche Übel, das wir in jenen als wirksam erkannt haben. Dieser Mittäterschaft zu entgehen erscheint nur dann als möglich, wenn man mit den prospektiven Tätern gemeinsame Sache macht und sich ihnen zugleich als Welterklärer und Therapeut an die Spitze stellt. Um die Forderung nach gemeinsamem Widerstand gegen den Kapitalismus mit allen Volksgenossen überhaupt aufstellen zu können, bedarf es Rationalisierungsleistungen, die in der Leugnung des eigenen Wissens gipfeln und sei es nur des Wissens darüber, daß gemeinsamer Widerstand heute nur von Antiimperialisten und anderen Feinden Israels gefordert wird.
Die da aber zögern und davor zurückschrecken, den Verdruß großer Teile der Bevölkerung auf den antikapitalistischen Punkt zu bringen, weil sie wissen, daß Antikapitalismus hierzulande immer das Gegenteil von Emanzipation meint, sabotieren den Aufstand und verraten unsere Aufgabe. „Daß dies bisher nur zögerlich geschieht (die Aufstandsvorbereitung), mag damit zusammenhängen, daß wir als Kleinbürger, die wir sind, allesamt einen gehörigen Schrecken haben vor dem Aufstand, den vorzubereiten doch unsere Aufgabe ist.“ Die Kleinbürger sind für die AdK wie für die deutschen Bürger die Spießer: Natürlich die anderen.
3. Gegen eine „teuflische“ Harmonie – wir beenden den Spuk
Man stelle sich vor, wir lebten nicht in Deutschland, sondern in einer kapitalistischen Nation, in der der Antisemitismus nicht Massenkonsens ist und dort, wo er sich regt, von gar nicht revolutionär gestimmten Leuten bekämpft wird, in den USA zum Beispiel. Als Kommunisten traditioneller Schule erginge es uns dann ähnlich wie Georg Fülberth, wenn er sich an seinen Lehrer erinnert: Wie gut hatte es doch der alte Abendroth, daß er Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus sein durfte und damit immer einen konkreten Gegner vor Augen hatte. Heute dagegen leben wir in teuflischen Zeiten:
„Die teuflische Harmonie scheint perfekt, weil jedes Wissen über die eigene Rolle im Produktionsprozeß fehlt, was die totale Vereinzelung der Individuen zur Folge hat, die gerade deshalb eine formlose Masse bilden, die sich der Herrschaft anbietet und auf den Befehl zur Gewalt zu warten scheint. Daß die Produktionsweise weiter die alte antagonistische ist, läßt sich angesichts der heutigen Volksgemeinschaft der Autofahrer und Kinobesucher nur negativ am notwendigen Vorhandensein des Antisemitismus und des Kulturspektakels erkennen.“ Antisemitismus wird hier zum bloßen Indikator für das eigentliche Übel, das als die alte antagonistische Produktionsweise und an anderer Stelle als ökonomischer Konflikt benannt wird. Gäbe es nicht den Antisemitismus und das Kulturspektakel (!) als Chiffren für den Antagonismus in der Gesellschaft, dann lebte man doch genauso unglücklich, weil ums revolutionäre Ziel betrogen, dahin wie Georg Fülberth. Man würde nichts Bekämpfenswertes mehr erkennen und vorbei wäre es mit der Notwendigkeit eines Aufstands, den vorzubereiten doch unsere Aufgabe ist.
Die scheinbare Widerspruchsfreiheit der deutschen Gesellschaft wird als teuflisch gekennzeichnet, weil das Aufstandsprogramm die AdK danach drängt, den Menschen ihre von der Herrschaft, vom Aggressor zugefügten Verblendungen bewußt zu machen und sich selber in allerdings grotesk verzerrter Weise in die Rolle des französischen Aufklärers des 18. Jahrhunderts zu werfen. Kritisierten jene den Priesterbetrug, der die Massen arm und unmündig halte, ist man heute selber schon Revolutionspriester genug, um zum Exorzismus mangelnder Einsicht in den gesellschaftlichen Stoffwechsel voranzuschreiten. Gelingt diese magische Handlung, dann weicht der Trug inklusive Antisemitismus und die Einsicht in die Notwendigkeit des Kommunismus bricht sich wie von selbst Bahn.
4. Antisemitismus als „verdrängter“ Klassenkonflikt
Mit der antagonistischen Produktionsweise ist nicht jene krisenhafte Veranstaltung namens Kapitalismus gemeint, die deshalb widersprüchlich ist, weil sie den Faktor v verüberflüssigt und nicht bereitstellt, was die Arbeitenden und die von der Arbeit Entbundenen zum angenehmen Leben brauchen. Der Antagonismus, von dem die AdK reden, unterstellt vielmehr, daß die Gesellschaft in Klassen getrennt sei und ergo der Klassenkampf nicht nur möglich, sondern sogar vornehmste Aufgabe auch antideutscher Kritiker sei. Verrückterweise wird ausgerechnet der Antisemitismus zum Erkennungszeichen der Klasse. Überwindet sie ihn im Aufstand, kann sie von der autoritären, staatsfixierten formlosen Masse aufsteigen zur ihrer revolutionären Aufgabe bewußten, aufständigen Klasse für sich. Zunächst aber muß die formlose Klasse an sich zum antideutsch-kommunistischen Psychiater. Sie verdrängt nämlich ihre Aufgabe, sich selbst zu befreien und schafft sich deshalb den Antisemitismus als Verschiebemasse, und den Juden als Ersatzobjekt an:
„Wenn der Antisemitismus Symptom einer Verdrängungsleistung ist, also Resultat eines in der Realität ungelösten Konflikts, der auf ein Ersatzobjekt verschoben wurde, so ist unsere einzige Möglichkeit, gegen ihn vorzugehen, den ihm zugrundeliegenden realen Konflikt zu thematisieren. In dem Maße, wie die Verdrängung der Einsicht in den gesellschaftlichen Stoffwechselprozeß weicht, fällt auch die psychische Notwendigkeit der Verschiebungsleistung fort.“
Schon diese Bemühung von Begriffen aus der Psychoanalyse ist mißbräuchlich, zu welchem Zweck das geschieht, ist allerdings noch weit schlimmer. Noch nicht einmal der Verstörung des Neurotikers muß ein realer Konflikt zugrunde liegen. Was er als katastrophisch erlebt und nie zu verarbeiten in der Lage war, geschieht jedem auf dem Weg zur Subjektwerdung, ohne daß es zu psychischer Notwendigkeit der Verschiebeleistung kommen mußte. Es war daher in der Psychoanalyse nie möglich, umstandslos vom geschädigten Ich zur Kritik des gesellschaftlichen Bezugsrahmens, in dem es nicht „normal“ funktionieren kann, vorzustoßen. Entsprechende Versuche produzierten eine Theorie und leider auch Praxis, die sich am kranken Individuum stets blamierte. Was der revolutionär sein wollenden Individualpsychologie mißlingen mußte, wird vollends krude, wo nicht nur von der individuellen Krankheit, sondern selbst vom einzelnen Kranken völlig abstrahiert wird: Der Kranke erscheint bei den AdK als Teil einer Masse, sein Problem ist deren Problem.
Am Gegenstand des Antisemitismus scheitert solches Verallgemeinern endgültig schmählich. Wo der bestimmten Paranoia eines Kranken pathische Projektion unterstellt und das antisemitische Muster sichtbar werden kann, ist der Antisemitismus des Staatsbürgers zwar Ausdruck pathischer Projektionen, aber nicht von Krankheit. Der Antisemitismus ist als das Wahngebilde, das er ist, zugleich Ausdruck des ganz normalen Denkens, Argumentierens etc. in der gegebenen Gesellschaft. Anders als der Neurotiker ist der Antisemit nicht krank, scheitert nicht notwendig an der Realität, sondern weiß sich pumperlg’sund und mit ihr in völliger Übereinstimmung. Ihn leitet keineswegs notwendig unverarbeitete Kränkung aus frühkindlicher Zeit. Er ist zwar zur Objektbindung nicht in der Lage, aber er erfährt das nicht als krankmachenden Mangel, sondern als Ausdruck seiner Lebenstüchtigkeit. Daher hat er vor allem nichts zu verschieben oder zu verdrängen. Ihm scheint es im Gegenteil gelungen zu sein, den Haß, den gescheiterte Sublimierung der frustrierten Triebenergien zurückläßt, gerade als Unterpfand der Konkordanz mit der falschen Gesellschaft zu nutzen – mit normalerweise fatalen Folgen für die Juden.
5. Das (rote) Fähnchen im Wind: Schlechte Kapitalschulung als Massentherapie
Versuchte man im Sozialistischen Studentenkollektiv Heidelberg in den späten 60er Jahren die neurotischen und manchmal psychotischen Klienten davon zu überzeugen, daß ihre Gesundung durch den direkten Kampf gegen die sie krank machende Gesellschaft vonstatten zu gehen hätte, so mußte dieses Unterfangen mißglücken, weil die je persönliche Beschädigung in der Allgemeinheit des Kampfes sich verlor. Wenn man jetzt, mehr als 30 Jahre danach, den Bürger von heute, den man für antisemitismusgefährdet hält, mit Lektionen über den gesellschaftlichen Stoffwechselprozeß zu kurieren versucht, dann ist das die Übertragung dieser falschen Individualanalyse auf die „Massen“, die in einer gesellschaftlichen Therapieleistung namens Aufstand kulminieren soll – und damit brandgefährlich. Denn zum Aufstand bereiter als es dem Kritiker lieb sein kann, sind die Massen eben deshalb, weil sie recht unbekümmert mit ihren Aggressionen umgehen, und, wenn von sozialer Ungerechtigkeit oder gar Kapitalismus die Rede ist, schon wissen, welches Opfer sie sich aussuchen würden, wenn es so weit kommt. Aber von den historischen und möglicherweise zukünftigen Opfern der deutschen Massen ist im ganzen Text schon keine Rede mehr, umso mehr von den Tätern und ihrer irgendwie auswegslosen Situation inmitten von Isoliertheit und allgemeiner Asozialität. „Angesichts der Isoliertheit der Produzenten, der allgemeinen Asozialität, ist es wenig erfolgversprechend, den ökonomischen Konflikt direkt zu thematisieren. Genauso könnte es ein Kampf gegen Windmühlen sein, wenn die Kritik am Antisemitismus hauptsächlich dort geübt wird, wo sich das Ressentiment zum geschlossenen Wahnsystem verdichtet hat. Das Verdrängte wäre an scheinbar abwegigen Stellen bewußt zu machen, wo der Gegner die Attacke nicht erwartet und eventuell weniger verhärtet ist.“
Wie sehr der Antisemitismus zur Spielmarke wird, zur Chiffre für Verdrängtes, das restlos mit dem ökonomischen Konflikt zusammenfällt, markiert diese Textstelle. Zu thematisieren sei nämlich – wenn auch leider nur indirekt möglich – der ökonomische Konflikt und nicht der Antisemitismus, den zu kritisieren als ein Kampf gegen Windmühlen erscheint. Womit in trotziger Haltung den eigenen Kritikern vorgehalten wird, sie kämen mit ihrer Agitation dort, wo die Ressentiments sich zum geschlossenen Wahnsystem verdichtet haben der Revolution keinen Schritt näher. Darin drückt sich ein gewolltes Mißverständnis, das den ganzen Text durchzieht, aus: Natürlich kann man Antisemiten nicht kritisieren, sie sind gegen Kritik resistent. Nur hat das auch nie einer behauptet oder gar versucht. Stattdessen wurde und wird gegen das Grassieren des Antisemitismus agitiert, insbesondere in seinem israelkritischen Gewand und in seiner antiamerikanischen Ausprägung. Zielgruppe waren immer Leute, die man nicht für Antisemiten hält, die sich aber trotzdem der konsequenten Kritik an den deutschen, d.h. antisemitischen Zuständen zu entziehen suchen. Kein sehr erfolgversprechendes Unternehmen, das geben wir gerne zu, aber immerhin eine Strategie, die nicht versucht, irgendwie hintenrum mit der Wahrheit zu lügen. Das ist nämlich das Rezept der AdK: „Vielleicht wäre es zu diesem Zweck auch sinnvoll, nicht immer unter unserem aktuellem Label aufzutreten, damit wir nicht sogleich erkannt werden. Dies könnte unsere Chancen erhöhen, Gehör zu finden.“ Mit dem Label ist benannt, warum dieser Text auf so unangenehme Weise stellvertretend für manches steht, was in der antideutschen Diskussion aktuell rumort. Das Label, von dem die AdK reden, heißt verschriftlicht „antideutsch“ und wird als Symbol durch die blau-weiße Fahne mit dem Davidsstern kenntlich. Wegen dieses Labels, das eben doch exemplarisch für antideutsche kommunistische Kritik und Intervention steht, wird man gehaßt und als Identitätspolitiker, negativer Nationalist und Schlimmeres beschimpft. Um das in Zukunft zu vermeiden, bietet sich ein anderes Mäntelchen an: Strahlend rot und unschuldig, wie all die Globalisierungskritiker und andere Feinde Israels, die es heute herumtragen, und die Maoisten, Trotzkisten, Stalinisten, die es früher trugen. Mit diesem Label-Tausch könnte man dann als Nur-Kommunist, oder auch Rätekommunist wie es heute wieder schick und abgeschmackt heißt, über alles mit allen reden: Hauptsache Israel und der amerikanische Krieg bleiben ausgeklammert.
6. Eat the rich – spare the jews
„Die einzige Chance, den Sieg des Faschismus zu verhindern, wird also letztendlich darin bestehen, die verdrängte Aggression bewußt zu machen, so daß sich diese im Aufstand gegen die Herrschaft entlädt, anstatt im Pogrom.“
Dieser Satz allein hatte der Bahamas-Redaktion im August schon genügt, den Abdruck des bewußten Abschnitt kategorisch abzulehnen, denn er bündelt alles bisher Gesagte exemplarisch und treibt es zu furchtbarer Konsequenz weiter.
Antisemitismus ist die Furcht vor der Freiheit und damit zugleich der Haß auf die Herausforderung an den Einzelnen, ein bürgerliches Subjekt zu werden und als solches individuell zu bestehen, die Zivilisation. Zivilisation meint immer auch die Absage an den Kollektivgeist der Gemeinschaft, der die Gleichheit will, weil er die Freiheit des Einzelnen fürchtet. Der Zivilisationsfeind sieht sich dementsprechend stets verfolgt und unterdrückt, er sucht emsig die Herrschaft, die dafür verantwortlich zeichnet, daß die gemeinschaftliche Wärme im Fuchsbau nicht ausbrechen will, und er zeigt mit dem Finger auf die rasch entdeckten Herren, die – das sollte eigentlich bekannt sein – vom Juden nie recht zu unterscheiden sind. Der Zivilisationsfeind ist damit in der Tat aggressiv und ärgert sich manchmal darüber schwarz, daß seiner Aggression, obwohl sie doch allgemein geteilt wird, kein staatlich anerkanntes Objekt geboten wird. Seine Aggression bleibt deshalb latent, sie darf in der Regel nicht heraus oder muß sich vorläufig scheinbar unverdächtige Ziele suchen, etwa Ariel Scharon und Michel Friedmann und nicht Atze Brauner oder Samuel Korn. Nur: Verdrängt ist sie keineswegs; wäre sie es nämlich, könnte sie per definitionem eben nicht immer und überall stets das eine Ziel finden. Sie ist lediglich zurückgedrängt und das ist etwas grundsätzlich anderes.
Doch die Aggression des Antisemiten ist im Text der AdK nur noch als Unterabteilung einer viel allgemeineren Aggression gemeint. Die Rede ist von den Kränkungen des kapitalistischen Subjekts, die Rede ist zugleich von einer Energie, die ihre Wurzel in frustrierter Libido hat. Dies allerdings wird übersetzt in das Leiden an der kapitalistischen Gesellschaft, die nur Asozialität und Vereinzelung, also lauter Opfer produziere. Die selbstzerstörerische und gleichzeitig auch andere, die sogenannten Ersatzobjekte, bedrohende Aggression – dem Bürger einmal bewußt gemacht und damit eben auch enthemmt – wäre für den Aufstand nutzbar zu machen. Es bleibt in der Logik des AdK nur noch dafür zu sorgen, daß sich gegen die Richtigen entlädt, was ohnehin zur Entladung drängt. Entladung ist ein unbewußter, letztlich natürlicher Vorgang. Wenn der Druck zu groß wird, fliegt dem besten Dampfkochtopf der Deckel weg und die gute Suppe verunreinigt die ganze Küche. Würde ein Psychoanalytiker einem neurotischen Patienten empfehlen, dessen z. B. gegen alle Frauen entwickelte Aggressionen am „richtigen“ Objekt zu entladen, wäre dieser Analytiker ein zynischer Verbrecher, weil es dann vielleicht Kinder, oder – vorausgesetzt die Bewaffnung ist geeignet – die „Konkurrenten“, sportliche, im Beruf erfolgreiche und kontaktfreudige Männer vielleicht, träfe, also in jedem Fall die Falschen. Entsprechend kommt es einem intellektuellen Supergau gleich, unterdrückte Triebenergie, die sich längst den Juden ausgeguckt hat, auf das „richtige“ Objekt lenken zu wollen. Der Psychoanalytiker hätte jeder Entladung der Aggressionen seines Patienten entgegenzutreten und stattdessen dafür zu sorgen, daß sein Patient durch die Arbeit an seiner beschädigten Persönlichkeit zu einem Individuum sich entwickelt, das die Welt aushalten, also in ihr wenigstens soweit bestehen kann, daß es nicht anderen zur Gefahr und sich selbst zur Last wird. Der Kommunist hätte der Organisierung von Aufstandspotentialen entgegenzuwirken, die genau jene Aggression, die der Furcht vor der Freiheit und der falschen Sehnsucht nach Kollektivität entstammt, zum revolutionären Betriebsmittel haben. Ihre Entladung wäre im besten Fall sogenannter revolutionärer Haß, der sich gegen die Herrschaft richtete. Das wäre dann vielleicht kein Pogrom, die Juden wären vielleicht zunächst aus dem Schneider. Aber die Herrschaft, gegen die sich da Aggression entlädt, würde sich den Revolutionären mit Notwendigkeit in Gestalt von Herrschenden darstellen und damit als Individuen mit Namen und Anschrift und einem Leib, den man quälen und töten kann. Die genannte Aggressionen wären mit denen des Antisemiten identisch, ihre Entladung wäre ein genauso spontaner wie sinnloser Vernichtungsschlag und würden binnen kürzester Zeit auch die eigentlich Gemeinten, die Juden, treffen. Die Alternative: Aufstand gegen die Herrschaft oder Pogrom gibt es jedenfalls in Deutschland und den islamischen Ländern und womöglich sogar den ach so fortschrittlichen lateinamerikanischen Ländern nicht.
7. Vom Faschismus schwafeln, den Nationalsozialismus vergessen
Hätten die Autoren nicht von der einzigen Chance, den Sieg des Faschismus zu verhindern gesprochen, sondern, wenigstens dieses eine und entscheidende Mal, vom Nationalsozialismus als des besonderen faschistischen Übels, das hierzulande droht und von hier aus in die ganze Welt exportiert wurde und wird, dann wäre ihnen vielleicht von ihren eigenen Aggressionstheorien ganz schlecht geworden. Faschismus und Pogrom eignet historisch keine notwendige Zusammengehörigkeit, siehe Italien, Nationalsozialismus und Pogrom, schließlich gesteigert zur industriellen Vernichtung, dagegen sehr wohl. Die Aggressionen eines faschistischen Italieners in den zwei Jahrzehnten Mussolini-Herrschaft sind damit keineswegs für irgendetwas Revolutionäres nutzbar zu machen gewesen, aber sie waren doch andere als die eines deutschen nationalsozialistischen Volksgenossen.
Anti-Faschismus als Kampfbegriff deutscher Kommunisten gegen die Zustände im eigenen Land ist grundsätzlich zu mißtrauen, weil er etwas ganz anderes meint, als die Befreiung der Iraker durch die US-Army – die AdK haben es unfreiwillig wieder einmal bewiesen. Er diente nie zu etwas anderem, als Hitler, Mussolini, Horty, Franco etc. in einen Topf zu werfen, um eine besonders rabiate Klassenherrschaft zu unterstellen, gegen die alle Mitglieder dieser Gesellschaft einschließlich ihrer Kritiker … zum gemeinsamen Widerstand zu assoziieren wären. So etwas läuft, ob es da will oder nicht, auf Volksfrontrhetorik hinaus. Und das in Deutschland, jenem Land, das die antikapitalistische Volksfront in die Tat umgesetzt hat: Nicht als Abwehrstrategie gegen einen von außen drohenden Nationalsozialismus, wie es weniger die französische Volksfront als das historische Klassenbündnis in Großbritannien im zweiten Weltkrieg vormachte, sondern eben als den Nationalsozialismus selber, das Bündnis der schaffenden gegen die raffenden Kräfte. Das ist bis auf weiteres die „deutsche Revolution“, die die AdK offensichtlich zugleich anführen und umleiten wollen. Deswegen kommt in solchem Theoretisieren der Jude lediglich als Ersatzobjekt für vom System fehlgeleitete Aggressionen der Volksgenossen vor und nicht als das, was er zu sein immer noch gezwungen wird: Realobjekt des spontanen und unverblümten Antikapitalismus, der vom System faselt, aber seine Hintermänner und Günstlinge meint und trifft; also als Realobjekt für Antikapitalisten, die alle den Kapitalismus nicht etwa dafür hassen, daß er seine eigenen Versprechungen nicht halten kann, sondern dafür, daß er sie überhaupt ausspricht. Vergessen machen zu wollen, daß diese Ideologie in Deutschland – und auch anderen „jungen Nationen“ – endemisch ist und bleibt, daß ihr keine „proletarischen Massen“, sondern alliierte Streitkräfte entgegentraten, und daß auch für absehbare Zukunft keine anderen Konstellationen zu erwarten sind; genau dieses Vergessen ist seit 1945 die vordringlichste Aufgabe deutscher Kommunisten gewesen. Wenn die AdK sich diesem Treiben anschließen wollen, bittesehr – aber dann auch offen, das heißt ohne das Label antideutsch.