Bestandsaufnahme des Haufens, innerhalb dessen wir bisher zu wirken versuchten
Nebst Kommentierung des Bahamas-Papiers „Jenseits von Israel. Zur Klassenkampfpos(s)e der Antideutschen Kommunisten Berlin“
Abschiedtext der Antideutschen Kommunisten, Januar 2004
Infolge eines Referates (1), welches von uns auf der letzten Konferenz der Antideutschen gehalten wurde, gab es wegen des siebten, abschließenden Absatzes etwas Unmut. Die Redaktion der Zeitschrift Bahamas sah sich deshalb zu einer Stellungnahme genötigt, wenn auch wider Willen. Lieber hätte sie es gesehen, wenn das antideutsche Publikum selbst die Stimme erhoben und uns in Form „scharfer Repliken“ kritisiert hätte. Dummerweise aber verharrte das Publikum in der üblichen Passivität: „Es schweigt im antideutschen Wald, man hört hier und da von Bauchschmerzen, die man mit jenem 7. Abschnitt habe, mehr aber auch nicht.“ Also fiel der Bahamas die unschöne Aufgabe zu, den Bauchredner des antideutschen Waldes zu machen. Wir haben dadurch den Vorteil, dass einiger über uns gedachter und geschriebener Unfug nun in gebündelter Form vorliegt, wodurch wir besser antworten können.
Im Folgenden wird es anlässlich dieser Replik der Bahamas um eine Einschätzung der antideutschen Bemühung gehen, die Minimalvoraussetzungen für eine eventuelle Wiederaufnahme des in Vergessenheit geratenen Auftrags zu schaffen. Da dies für alle, die Ähnliches im Sinn haben, von Interesse ist, richtet sich dieser Text an ein allgemeines Publikum. Trotzdem wird es nicht ganz vermeidbar sein, auf einige interne Querelen zu sprechen zu kommen, die für Außenstehende zunächst irrelevant erscheinen mögen, für das Verständnis aber notwendig sind. Vorab aber ein kurzer Blick auf den ominösen antideutschen Wald, dessen Bewohner auf unsere Worte mit körperlichen Symptomen reagiert hätten.
I. Der antideutsche Bauch
Über einen stillen Wald ist nicht viel Aussage zu treffen. Er blieb aber nicht gänzlich still, vielmehr kam, angeregt durch die kleine Schrift der Bahamas, Spitz der Hund aus dem Wald gelaufen und hat gebellt, bzw. eine Mail geschrieben. Er fügte ihrer Kritik nichts hinzu, ermöglichte aber einige Rückschlüsse auf den Zustand der Waldbewohner. Er war einer der aufmerksamen Hörer unseres Referates und hätte dabei, wie er gesteht, „fast einen Anfall bekommen“. Nach Lektüre dann hätte ihm das Referat „nochmals sehr auf den Magen geschlagen“. Trotzdem aber sei er „sehr gespannt, was die ‚beizeiten‘ erscheinende Reaktion auf die Bahamas-Erklärung enthält.“ Solche Resonanz freut uns natürlich, da wir der Ansicht sind, dass Bauchweh und Anfälle durchaus helfen können die allgemeine Körperverleugnung aufzubrechen. Wie ist der Befund des Repräsentanten des antideutschen Bauches? Wir seien, schreibt er, „naiv“, „ungeduldig“ und außerdem „leider unbelehrbar“. Er hatte weiter schon frühzeitig bemerkt, dass wir nicht ganz koscher sind: „Bereits einige Zeit vorher hattet ihr ein Remake des Klassenkampfes angeboten, wo es mir wichtig schien, dazu einen Text zu machen… Leider Gottes kam mit euch keine Debatte zustande“. Er wollte also schon länger bemerkt haben, dass wir etwas propagieren, was er für Klassenkampf hält. Statt dessen hatten wir in dem von ihm hier gemeinten Vortrag (2) – gehalten auf einem Seminar dieses Antideutschen – über die bürgerliche Zivilisation geredet und abschließend eine Passage des noch jungen Marx zitiert und kritisiert. Es ging nicht um unmittelbare Praxis, sondern um die Einschätzung einer untergegangenen Epoche. Schon die Erinnerung an eine Zeit aber, in der Einzelne über diese hinauszudenken wagten, erschreckte ihn sehr. So ging er, anstatt sich mit der Aufklärung zu beschäftigen, mit dem dumpfen Gefühl nach Hause, wir würden es wohl mit der Freiheit halten, was ihm irgendwie ungehörig erschien. Seine Reaktion ist prototypisch für die unseres bisherigen Publikums und nimmt jene der Bahamas vorweg. Lassen wir also den Wald und kommen zum Kopf.
II. Allgemeines zum antideutschen Kopf
Entstanden ist die Bahamas aus der Verwirrung unter den Linken angesichts der Implosion des Ostblocks und deren hiesigen Auswirkungen. Die diversen sozialen Bewegungen der 80er Jahre erwiesen sich nicht nur als unfähig, der Regression etwas entgegenzusetzen, sondern entpuppten sich als deren Bestandteil. Die wenigen versprengten Intellektuellen, die den allgemeinen Trend nicht mitmachen wollten, sammelten sich lose um die Zeitschrift Konkret und opponierten recht hilflos gegen Wiedervereinigung und autoritäres Massenbewusstsein. Durch die Entwicklung waren sie plötzlich gezwungen, ihre Einsamkeit wahrzunehmen: Es war nicht nur klar geworden, dass die Welt schlimmer war, als sie anzunehmen gewagt hatten, auch ihre Hoffnungen in alles, was sie bisher als Gegentendenzen wahrgenommen hatten, war als Illusion kenntlich geworden. Die Folgen waren Konfusion und Ratlosigkeit.
Die Redaktion der Bahamas schaffte es nun, sich aus diesem diffusen Haufen Alt- oder Exlinker zu erheben. Um der vorherrschenden Romantik zu entkommen und eine gewisse Ernsthaftigkeit zu erlangen, bemühte man sich um eine orthodoxe Lektüre der Quellen. Marx wurde mit Hegel gelesen, der junge Lukács, Adorno und später Freud rezipiert. Dies in ständiger und bis zum Bruch geführter Abarbeitung an den anderen, weitgehend formellen Versuchen, das neu erwachte Deutschtum zu kritisieren, wobei auf die Befindlichkeiten des nie genau spezifizierten Publikums keine Rücksicht genommen wurde. Die Linke wurde als prinzipiell unreformierbar erkannt und sollte daher destruiert werden.
Maßgeblich beeinflusst war die Gruppe von Wolfgang Pohrt. Dieser hatte in den 80er und frühen 90er Jahren durch seine sophistischen Polemiken gegen die konformistische Linke für einigen Ärger gesorgt. Er verzichtete in seiner Kritik weitgehend darauf, den Gegenstand in allen Momenten zu beleuchten, sondern griff jeweils einen einzelnen Aspekt heraus, um, mittels vernichtender Polemik gegen diesen, die ganze Position der Unhaltbarkeit zu überführen. Seine Interventionen hatten zum Ziel, überhaupt Bewegung unter den impliziten Adressaten zu erzeugen und Einzelnen dazu zu verhelfen, mit den verschiedenen linksdeutschen Ideologien zu brechen. Sie dienten ausschließlich der Zersetzung des verdinglichten Bewusstseins und konnten daher der Konfusion kein die zersplitterten Teileinsichten vermittelndes Allgemeines entgegensetzen. Das Verfahren taugte daher von vornherein nur für ein Durchgangsstadium, um den Boden für eventuell nachfolgende konstruktive Bemühungen zu bereiten. Damit hat Pohrt sein unmittelbares Publikum offenbar überfordert. Er fand kaum tätige Nachahmer, sondern bestenfalls Leute, die von seinen Vorträgen mit dem zufriedenen Gefühl nach Hause gingen, da habe es einer dem allgemeinen Schwachsinn mal so richtig gezeigt, ohne dass daraus jedoch irgendwelche Konsequenzen folgten.
Die Bahamas übernahm das sophistische Verfahren, allerdings mit der Abwandlung, die jeweiligen partikularen Einsichten in den Rang existentieller Entscheidungen zu erheben, um so die Gefahr der Beliebigkeit zu überwinden, zu welcher Pohrts Polemiken, als gleichsam negativ gewendete Postmoderne, tendierten.(3) Es folgte daraus, dass mitunter roh Widersprechendes nacheinander zum Scheidewasser erklärt wurde: Konnte man z.B. zunächst ganz gut mit der Krisisgruppe, so wurde sie später als faschistische Gefahr bestimmt, ohne dass je geklärt wurde, warum etwa in Wien beide Fraktionen lange eine gemeinsame Zeitung herausgeben konnten oder warum noch 1996 die faschistische Gefahr nicht erkannt wurde und der Kurzschüler Ernst Lohoff in der Bahamas publizieren durfte. Mal wurde mit Blick auf palästinensische Gefühlsaufwallungen darauf insistiert, dass man im Spätkapitalismus sich unmittelbar gebenden Regungen generell zu misstrauen habe, dann lobte man nach dem 11. September die Fernsehmoderatoren dafür, dass ihre Betroffenheit „endlich einmal nicht inszeniert“, sondern spontan und echt gewesen sei und kritisierte die Intellektuellen, die sich die „Unmittelbarkeit zur Sache“ hätten „abmarkten lassen“. Im Sommer 2000 wurde der Antifaschismus denunziert, ab dem Herbst 2001 zum Zentrum der Aktion erhoben. Während in einem Flugblatt zur Verteidigung von Olaf Staps die DDR dafür gelobt wurde, wenn schon nicht das Kapitalverhältnis abgeschafft, so doch wenigstens die Kapitalisten enteignet zu haben, so hieß es im Aufruf zur letzten antideutschen Konferenz, dass wer die „Kapitalistenfrage“ stelle damit stets und notwendig die „Judenfrage“ meine.
Indem sie vehement auf die Unhintergehbarkeit ihrer jeweils aktuellen Einsichten pochte, konnte die Bahamas der allgemeinen Konfusion eine gewisse Verbindlichkeit entgegensetzen und dadurch dem üblichen Pluralismus entkommen. Indem ein dogmatischer Fixpunkt inmitten des Relativismus geschaffen wurde, gelang es nicht nur, zu polarisieren und praktische Spaltungen und Brüche zu provozieren, sondern auch, eine Handvoll Anhänger um sich zu scharen, welche damit begannen, sich die Erkenntnisse der Redaktion zueigen zu machen und weiterzuverbreiten. Durch diesen Multiplikatoreffekt wurde die linke Szene kräftiger durcheinander gewirbelt, als Pohrt dies vermocht hatte. Dadurch, dass auch in ihrer eignen Stadt oder im eignen Zentrum der eine oder andere Querulant auftauchte, wurden viel mehr Leute gezwungen, sich mit den Gedanken der mittlerweile antideutsch genannten Strömung auseinander zu setzen.
So vergleichsweise erfolgreich die Vorgehensweise zunächst war, so musste sie doch an Grenzen stoßen. Indem der Sophismus durch seine Dogmatisierung an strömungsbildender Verbindlichkeit gewann, verlor er notwendig an Wendigkeit und Unberechenbarkeit, die doch gerade den Motor seiner Zersetzungstätigkeit ausmachten. Es trat daher beim Publikum ein Effekt der Gewöhnung ein, ähnlich wie sich in der Musik Dissonanzen durch häufiges und schlechtes Einsetzen abnutzen. Irgendwann wusste jeder schon, was gesagt werden würde, wenn die Antideutschen sich wieder zu Wort meldeten. Zeitschriften wie Jungle World und Konkret verzichteten auf den Abdruck antideutscher Texte und die Autonomen schickten keine Sektenbeauftragten mehr zu Bahamas-Veranstaltungen. Mit dem Erlahmen des Verwirrung stiftenden Wirkens nach Außen durch den allmählichen Verlust eines provozierbaren Publikums wurde auch die innere Grenze des Experiments offenbar. Diese besteht darin, dass durch die Setzung einer Partikularität zum Allgemeinen die Konfusion nicht überwunden, sondern nur verdeckt wurde. Die Herausbildung substantieller inhaltlicher Gemeinsamkeiten zwischen den Angehörigen des Haufens wurde durch die Unterbindung der Austragung innerer Widersprüche verhindert – eine Vorgehensweise, die wegen der ständigen Gefahr des Rückfalls in den linken Pluralismus allgemein für notwendig befunden wurde. Interner Streit fand praktisch nicht statt, es sei denn, es stand ein Ausschluss bevor. Fällt jetzt als verbindende Klammer die Intervention nach Außen weg, so wird deutlich, dass es zwischen den verschiedenen antideutschen Gruppen und auch zwischen den Mitgliedern dieser Gruppen im Grunde wenig Gemeinsamkeiten gibt. Das macht den Dogmatismus umso notwendiger, um den Laden zusammenzuhalten, ein Umstand, der sich etwa darin äußert, dass jetzt manche vor der Gefahr einer „Diskursöffnung“ warnen. Aber das Hervorquellen der unterdrückten Konfusion lässt sich nicht verhindern. So hat sich etwa kürzlich die Leipziger Sektion gespalten, ohne dass ein substantieller Grund erkennbar wäre. Der lange schwelende Konflikt zwischen der Zeitschrift Bahamas und der Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg um den linkskommunistischen Verleger Joachim Bruhn kam zum Ausbruch, wurde aber bisher ohne Niveau ausgerechnet in dem für Debatten nicht vorgesehenen Provinzblatt T-34 geführt, welches von der Antifa Duisburg herausgegeben wird. Der ehemalige Bahamas-Redakteur und linke Abweichler Horst Pankow – dessen Ausscheiden der verbliebenen Redaktion nicht einmal eine Erwähnung wert war, so sehr abstrakt ist die propagierte Individualität – ist inzwischen seiner selbst nicht mehr gewiss und übt eine falsche Kritik an dem, was er für die Position seiner ehemaligen Genossen hält. (4) Er zeigt damit, was herauskommt, wenn jemand aus der Bahamas plötzlich gezwungen ist, auf sich selbst gestellt argumentieren zu müssen. Der für Pankow in die Redaktion aufgenommene Sören Pünjer, sein Antipode, redet nicht weniger konfus daher, genießt jedoch offiziell die Rückendeckung der Bahamas, und verkörpert so den Irrationalismus, der sich noch unter der Maske des Objektivismus verbergen kann. (5)
Diese internen Auseinandersetzungen, die bei Außenstehenden nur Kopfschütteln hervorrufen, zeigen einen Zustand allgemeiner Verwirrung, deren tieferer Grund allgemeine Resignation ist. Exemplarisch sei dafür Manfred Dahlmann von der Initiative Sozialistisches Forum erwähnt, der in Bahamas Nr. 42 den Kommunismus negativ bestimmen will und auf den alten Irrtum verfällt, dieser stelle ein riesiges Organisationsproblem dar. Er hält es für eine knifflige Aufgabe, eine dem Wert ebenbürtige Form gesellschaftlicher Synthesis auszutüfteln, damit auch nach dem Ende der „Herrschaft des Menschen über den Menschen und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ (ISF) jede Schraube die richtige Größe hat. Er hat wohl vergessen, dass man schon heute einfach zum Telephonhörer greifen und beim Hersteller anrufen kann. Angesichts des gegenwärtigen Stands der Technik, welcher alle frühere Kritik am anarchistischen Utopismus obsolet erscheinen lässt, sind alle Fragen danach, wie man eine dem Kapitalismus überlegende Produktion organisieren könnte, von vornherein falsch und lenken ab. Der Kommunismus ist heute das Einfache, das einfach zu machen ist. Wirklich anstrengend ist dagegen alles andere, also die störrischen und ungeheuer blutigen Bemühungen der Menschheit, ihre Emanzipation zu verhindern. Als hätte man sich vom herrschenden Wahnsinn der Welt ein wenig kirre machen lassen, traut man sich selbst nicht über den Weg, kann eine Welt ohne Zwang und Angst kaum denken und bestaunt folgerichtig die große Industrie, in der alle Räder schön ineinander greifen.
So etwa die Situation, in der wir auf der eingangs erwähnten Konferenz mittels eines Referates darüber debattieren wollten, was in Zukunft getan werden könne, um die Krise des kleinen Vereins zu überwinden. Zunächst kam Genörgel nur von der Seite der üblichen Unzufriedenen. Herr Kunstreich, der für den moralisierenden Teil (6) des Haufens spricht, wandte ein, die Aufforderung zur Subversion könne angesichts der Verhärtung des Massenbewusstseins keinen Erfolg haben und gegen die Deutschen würden nur Bomben helfen. Dies ist historisch immerhin richtig: Die Alliierten haben den Massenmord an den europäischen Juden, nachdem sie ihn einige Jahre geschehen ließen, schließlich gestoppt. Aktuell gibt es aber wenig Grund, Dresden oder andere Städte zu bombardieren und es existiert auch kein Akteur, der dies tun könnte und wollte. Herr Kunstreich selbst besitzt solche Mittel nicht und so war seine Äußerung nur der bequemste Weg, sich dem Problem zu entziehen, aus Angst, es könnte ihm der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Nach Möglichkeiten, die teuflische Harmonie zu stören und die Heteronomie ans Tageslicht zu befördern, muss aber selbstverständlich auch Herr Kunstreich suchen, weshalb er die Thesen des Referats hätte debattieren müssen, anstatt sie plump zu denunzieren.
Die Zersetzung in den eignen Reihen fürchtend und von der panischen Reaktion des moralisierenden Flügels alarmiert, beschloss die Bahamas nach einiger Zeit, sich der Kritik Kunstreichs anzuschließen, obwohl sie diesen sonst eher belächelte. Offenbar ist es ihr angesichts des drohenden Verfalls um die Bewahrung des Erreichten zu tun. Der kritische Gedanke ist aber nur durch sein Vorwärtstreiben, nicht durch Konservierung am Leben zu erhalten. Deshalb werden die Manöver, welche die Bahamas durchführt, um der dürftigen Früchte ihrer zehnjährigen Bemühungen nicht verlustig zu gehen, nur den Übergang vom Stadium der Stagnation in das der Fäulnis beschleunigen. Konservierung bedeutet, dass man die eigene Klientel nicht mehr vor den Kopf stoßen darf, in der Hoffnung, dass diese sich bewegt, sondern ihr im Gegenteil nach dem Munde reden und sie damit in ihrer Unzulänglichkeit bestätigen muss. Zudem muss der Kopf sich notwendig selbst dumm machen, wenn er sich zum Redner der Bauches macht, anstatt diesen zu piesacken und ihm Magengrimmen zu bereiten. Dies ist der Grund, warum das Papier der Bahamas gegen uns wenig taugt. Das, was es zu kritisieren vorgibt, hat mit dem von uns Geschriebenen wenig gemein. Stattdessen werden jede Menge explicit lyrics, wie „Schulterschluss mit den antisemitischen Massen“, „mit den prospektiven Täter gemeinsame Sache machen“, „eat the rich“ etc., bemüht, um Spitz dem Hund ein paar Knochen zuzuwerfen.(7) Wir werden deshalb nicht jeden Vorwurf einzeln widerlegen, sondern uns darauf beschränken, einige Aspekte herauszustellen, an denen allgemeine Tendenzen des antideutschen Vereins deutlich werden.
III. Der Kopf als Redner des Bauches
a)
Die Bahamas wirft uns vor, wir hätten den praktischen Umsturz „zum Existential aufgeblasen“. Die Revolution oder auch die Auferstehung des Fleisches kann man aber nicht zum Existential aufblasen. Sie ist das „‚Letzte Gefecht‘, der Moment der ultimativen und antagonistischen Konfrontation mit dem politischen Souverän, dem bewaffneten Generalprokuristen der ökonomischen Ausbeutung“ (ISF). Sie ist existentiell, der gigantische Drehpunkt, an dem die Menschheit in die Freiheit springt und damit die Grenze dessen, was überhaupt ausgesagt werden kann.
Wenn schon nicht wir, so ist es immerhin umgekehrt so, dass die Bahamas immer wieder Entscheidungen einfordert und diese zum „kleinen Unterschied ums Ganze“ aufbläht. Jeder aber weiß, dass die einzige existentielle Entscheidung die ist, mit dem Bestehenden wirklich zu brechen und sein Leben als Deserteur zu verbringen, der sich mit eigener Kraft aus dem Sumpf herauskämpft und danach trachtet, diesen zu zersetzen. Es ist weiterhin bekannt, dass nur wenige der Antideutschen diese – tatsächlich sehr schwierige – Entscheidung fällen werden. Vielmehr hat Hegel Recht, wenn er gegen die Romantik und damit gegen die trotzigen Pseudoaktivitäten der Antideutschen und aller anderen derzeitigen Linken einwendet: „Diese Kämpfe nun aber sind in der modernen Welt nichts weiteres als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhanden Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn. Das Ende solcher Lehrjahre besteht darin, dass sich das Subjekt die Hörner abläuft, mit seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhältnisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet … Mag einer auch noch so viel mit der Welt herumgezankt haben, umhergeschoben worden sein – zuletzt bekommt er meistens doch sein Mädchen und irgendeine Stellung, heiratet und wird ein Philister so gut wie die anderen auch: die Frau steht der Haushaltung vor, Kinder bleiben nicht aus … der Katzenjammer der Übrigen ist da.“ Natürlich hat mancher zwischenzeitlich Zweifel an der Vernünftigkeit der Welt, in die er durch seinen formellen Protest gegen die als Granit empfundene Volksgemeinschaft hineinwächst. Mag sein, dass der eine oder andere auch als Bettler oder Junggeselle endet. Worauf es ankommt ist, dass das kurzfristige Schwenken einer Israelfahne niemandem hilft und die Brüche, welche die Bahamas einfordert, nichts taugen, wenn nach Erlangung eines Diploms oder eines Magisters die aktuellen Rebellen sich ihrem individuellen Leben und privaten Nöten widmen.
b)
Wir hatten angemerkt, dass alle Worte wie Taten daran gemessen werden müssen, ob sie der längst überfälligen vernünftigen Einrichtung der Welt nutzen. Mit dem Aussprechen dieser Trivialität war keine Kritik an der Bahamas intendiert, aber seltsamerweise fühlt diese sich angegriffen: „Die Redaktion Bahamas überlässt es gerne anderen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob ihre kritischen Interventionen im Blatt oder zusammen mit Genossen auf der Straße dem praktischen Umsturz nützen oder nicht. Wir legen lediglich Wert darauf, dass unsere kritischen Einsichten wahr und die von uns geforderten Entscheidungen notwendig – weil der Wahrheit verpflichtet – sind und keine überflüssigen Dreingaben.“ Wenn aber der Kommunismus das aufgelöste Rätsel der Geschichte ist, so ist die Vorbereitung der Revolution nichts anderes als das Streben nach Wahrheit. Ohne Bezug auf befreiende Praxis hat das Denken überhaupt kein Kriterium, um Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden. Wir hatten weiter darauf hingewiesen, dass dieser Bezug aktuell ein sehr vermittelter sein muss, weil unmittelbar keine Praxis existiert. Die Vermittlung zu leisten ist nicht einfach: Wer in ein fernes Land reisen will, welches er nur vom Hörensagen kennt, keine Wegweiser oder Landkarten zur Verfügung hat und sich noch dazu gerade in einem dichten Waldgebiet ohne Aussichtspunkte befindet, hat es schwer, zu entscheiden, welcher der möglichen nächsten Schritte ihn am ehesten dem Ziel näher bringt. Wer aber, wie jetzt die Bahamas, angesichts der Schwierigkeiten schon die Fragestellung zurückweist, der ist von vornherein verloren. Ohne die Ausrichtung des Blicks auf das gelobte Land zerfällt die Aktivität in orientierungsloses Denken und kopfloses Handeln.
c)
Nicht nur in Bezug auf unsere subjektiven Bemühungen, auch bei der Einschätzung der objektiven Verhältnisse ist die Vermittlung mit dem jenseitigen Ziel in der aktuellen Situation schwierig. Wo nichts zu Höherem strebt, kann man den Kommunismus zunächst nur schroff und abstrakt dem Schlammassel entgegensetzen. Deshalb sind die frühchristlichen Mosaike mit ihren platten Figuren auf Goldgrund dem derzeitigen Zustand angemessener als die perspektivische Malerei der Renaissance. Daraus folgt aber nichts als die Notwendigkeit, an einer neuen Renaissance zu arbeiten. Dies kann nur gelingen, wenn – den Schwierigkeiten zum Trotz – versucht wird, die Welt nach Maßgabe der Emanzipation zu beurteilen. Darum hatte sich die Bahamas bisher auch bemüht, etwa indem sie ihre Befürwortung des Krieges der USA gegen das Baathregime mit dem Verweis auf die Bedingungen des Kommunismus begründete, welche sie durch die US-Hegemonie eher bewahrt sah als durch den Erfolg der Feinde der Amerikaner. Neuerdings aber weist die Redaktion solche Vermittlungsbemühungen ausdrücklich zurück und will daher den Sturz Saddam Husseins nur noch aus Gründen der Caritas für gut befinden: Der Kommunismus sei aktuell ein „Sack voll Flöhe“, deshalb „muss es uns in dieser Zeit reichen, dass es ein besseres Leben für die irakischen Kurden und ein sichereres für die Israelis gibt, … und das ganz unvermittelt“. Anders als uns die Bahamas in ihrer aus der Ablehnung der Vermittlung notwendigen folgenden Entweder-Oder-Logik unterstellt, haben wir den Kommunismus nicht gegen den „tätigen Antifaschismus der US-army … ausgespielt“. Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, dass das Handeln der USA der Menschheit dringend benötigte Zeit gibt. Wird diese aber von niemanden genutzt, so ist die Katastrophe nur aufgeschoben, weil jeder weiß, dass der Weltpolizist die Regression nicht ewig wird aufhalten können. Die Maßhalteparole der Bahamas ist somit lächerlich: Selbstverständlich kann es „uns“ nicht „reichen“, wenn auf der Welt Dinge geschehen, auf die wir keinen Einfluss haben und die schon bald wieder obsolet sein könnten. Zudem zeigt sich hier, dass, wird die Orientierung am kommunistischen Ziel aufgegeben, auch das sonst gern betonte individuelle Interesse als Triebfeder der Kritik verschwindet – womit diese sich in humanitäres Engagement verwandelt. Der Verweis des Philanthropen darauf, dass es dank gewisser Fortschritte Menschen in einem anderen Erdteil jetzt „ganz unmittelbar“ besser gehe, während vom abstrakten Geschwafel von irgendwelchen Idealen bekanntlich keiner satt werde, dient stets dazu, von eigenen Problemen abzulenken, die man nicht lösen will. Im Falle der Bahamas soll die Aufforderung, wir müssten uns am Riemen reißen, wohl in Wirklichkeit die eigenen Anhänger beruhigen, dass auch in Zukunft nicht mehr von ihnen verlangt werden wird, als sich – zur symbolischen Unterstützung resp. Verurteilung irgendwelcher Entwicklungen weit draußen in der Welt – als braves Publikum zu Kundgebungen oder Veranstaltungen einzufinden, also in völliger Passivität zu verharren.
Ohne Bezug auf die notwendige Änderung der Welt und das individuelle Interesse daran trieft aus der Kritik des Antisemitismus die Moral. Wir hatten in unserem Referat den Antiamerikanismus danach erörtert, in wie weit er uns bei unseren schüchternen Bemühungen absolut abträglich ist und man wirft uns deshalb vor, wir würden nicht von den Opfern reden. Analog zum Verweis auf die kleinen unmittelbaren Linderungen des Leidens muss man, wenn die Emanzipation nicht gedacht werden kann, ständig von aktuellen und möglichen Opfern reden, vergleichbar dem aktuellen Antirassismus. Das Grauen kann aber nur als solches benannt werden, wenn auch das, was anders wäre, immerhin antizipiert wird. Dies ganz Andere nennen wir in unseren Schriften Gott, Elysium oder Kommunismus.
d)
Da wir dem Aufruf zur Bescheidenheit nicht nachkämen und uns weigerten, das „praktische revolutionäre Ziel … vor dem drohenden Hintergrund einer deutschen Revolution in Frage zu stellen“, so bliebe uns nur der „Schulterschluss mit den antisemitischen, autoritären Massen“. Zum Beweis zitiert die Bahamas eine Stelle aus unserem Referat, in der ausgesprochen wird, dass alle sich mit der Herrschaft identifizieren müssen, solange sie sich nicht gegen diese vereinen. Dies zeige unser Missvergnügen an der einsamen Position des Kritikers, weshalb wir uns einredeten, wir selbst und die Antideutschen seien nicht besser als die übrigen autoritären Landsleute. Nun hatten wir im Referat keineswegs ausgeschlossen, sondern im Gegenteil gefordert, dass Einzelne sich von der Identifikation mit der Herrschaft zu lösen versuchen, indem sie Einsicht in den gesellschaftlichen Stoffwechselprozess gewinnen. Wir halten dies sogar durch die Lektüre einiger guter Bücher für möglich, also mittels Assoziation mit den unerlöst Gestorbenen. Der Punkt, auf den es uns ankam, ist jedoch, dass die Überwindung der Dummheit eine ungeheure Anstrengung bedeutet und notwendig an Grenzen stößt, solange die Verhältnisse, welche sie benötigen und hervorbringen, nicht praktisch in Frage gestellt werden. Den Warenfetisch kann man sich nicht aus dem Kopf schlagen, man kann ihn nur zum Verschwinden bringen, indem man sich die Dinge einfach nimmt – und das geht nur kollektiv. Ebenso sind alle übrigen Borniertheiten keine zufälligen Denkfehler, sondern notwendige Resultate der idiotischen Weise, in der die Menschen ihre Beziehungen zueinander gestalten. Jene werden sich daher nur auflösen, indem wir diese ändern – die Bewusstwerdung kann nur ein tätiges Herauskämpfen sein.
Nicht wir machen uns also mit der Dummheit und dem Ressentiment gemein, sondern umgekehrt wollen unsere Kritiker die allgemein bekannte Tatsache vernebeln, dass die Bemühungen der Antideutschen, sich aus dem Sumpf zu erheben, noch nicht allzu weit gediehen sind. Der ständige Verdacht, jemand würde sich von diesem oder jenem Blödsinn nicht konsequent genug abgrenzen, beweist nur, dass man sich seiner selbst nicht sicher und der postulierte Abstand real kaum vorhanden ist.(8) Deutlich wird dies etwa in dem verstörenden Umstand, dass auf antideutschen Konferenzen nicht debattiert wird, wie überhaupt lange kein Antideutscher mehr mit einem anderen öffentlich debattierte. Man will nicht wahrhaben, dass wir nichts sind als allerhöchstens der Schleim zum Keim der Emanzipation, wahrscheinlich aber sogar einfach eine im Nichts mündende Introduktion. Man braucht wenig historisches Bewusstsein, um dieses Schicksal zu antizipieren. Der absolut lächerliche Vorwurf, wir würden, indem wir diesen simplen Umstand aussprechen, mit irgendwelchen Mördern gemeinsame Sache machen, ist Ausdruck der allgemeinen Furcht, die kritische Theorie auf den Kritiker selbst anzuwenden. Die Verleugnung der eigenen Unreife führt u.a. dazu, dass junge Kritiker zum Einstieg Hegels Logik studieren, während kein Bergsteiger mit der Gletscherseite des Mont Blanc anfangen würde. Umgekehrt gehört zur Anerkennung der eigenen Nichtwürdigkeit die Anerkennung dessen, welchem man sich würdig zu erweisen hat. Deshalb unser verdinglichtes Insistieren auf einen Auftrag, den kaum einer zu seiner Sache macht. Man lese bei Heiner Müller nach, warum. Anstatt ständig abstrakt die Aufklärung gegen die barbarische Regression zu verteidigen, käme es darauf an, diese sich praktisch anzueignen, um sie voranzutreiben, also auch von den eigenen Anhängern einzufordern, die entsprechenden Schriften zu studieren.
e)
Der Vorwurf, wir hätten eine primitive Revolutionsmetaphysik, ist ein Selbstmissverständnis. Wir sagten sinngemäß, dass es aktuell kein Proletariat gibt, sondern nur Arbeitermassen, schlossen aber nicht aus, dass eines Tages die Hand sich mit dem Kopf vereinigt und die Massen in einen freien Verein explodieren oder auch übergehen. Gerade verhält es sich so, dass die Trennung von den Produktionsmitteln von den Einzelnen nicht als solche gewusst wird, weshalb die Klassenherrschaft zwar ihrem Begriff nach weiterbesteht, dieser Umstand aber seinen revolutionären Gehalt verliert. Die Massen sind, könnte man sagen, auf ihr nacktes an sich zurückgeworfen. Bahamas und Konsorten wollen sich das nur so vorstellen, dass die Arbeitermassen an sich schon aufständische Helden wären und nur noch wach geküsst werden müssten. Eine plumpe Ansicht, die kein Mensch mehr vertritt, die aber uns angedichtet wird, um sie dann zu verneinen. Deshalb die Unterstellung, wir seien Therapeuten oder auch Frühaufklärer.(9) Wir würden das Bewusstsein von außen bringen wollen, wahlweise durch offene und klare Benennung diverser Widrigkeiten oder durch subtile irgendwie freudianisch-sinistre Psychomethoden. Nie aber haben wir behauptet, unsere Adressaten, die wir nicht einmal kennen, könnten von uns aufgeklärt werden, im Gegenteil sind wir – trivial genug – der festen Überzeugung, dass es nur die Einzelnen selbst sind, die sich darum bemühen können, etwas klarer im Kopf zu werden und entsprechend zu handeln. Genauso und sogar sehr redundant merken wir immer wieder an, dass aktuell nichts von sich aus zur Wahrheit strebt, weshalb die Wirkungsmöglichkeiten für Kritiker sehr eingeschränkt sind. Unsere unmittelbaren Aufgaben sehen wir deshalb darin, mit einem gewissen Publikum losen Kontakt herzustellen und dieses etwas zu verärgern, in der Hoffung, dadurch den einen oder anderen aus der Reserve locken zu können, auf das er anfange, selbsttätig zu begreifen.
Umgekehrt stellt sich die Sache den Redakteuren der Bahamas so dar: „Natürlich kann man Antisemiten nicht kritisieren, sie sind gegen Kritik resistent. Nur hat das auch nie einer behauptet oder gar versucht. Stattdessen wurde und wird gegen das Grassieren des Antisemitismus agitiert … Zielgruppe waren immer Leute, die man nicht für Antisemiten hält, die sich aber trotzdem der konsequenten Kritik an den deutschen, d.h. antisemitischen Zuständen zu entziehen suchen.“ Das Dilemma, dass sich einerseits die Welt momentan gegen Subversion resistent zeigt, uns andererseits aber nichts bleibt, als es doch zu versuchen, soll hier aufgelöst werden, indem man eine starre Trennung einführt zwischen den per definitionem Unbelehrbaren und denen, die eigentlich schon Gegner des Antisemitismus sind und deshalb agitiert werden können, indem man ihnen die Bösartigkeit der anderen in aller Deutlichkeit vor Augen führt. Die uns unterschobene An-und-für-sich-Metaphysik ist also in Wahrheit die eigene, die zwar nicht für den Großteil der sich wie Beton verhaltenden Massen, wohl aber für einen kleinen Teil prinzipiell Aufklärungsbereiter gelten soll.(10) Die vorhandene Erkenntnis kritischer Theorie, dass sich in den trivialen alltäglichen Gewohnheiten schon vollzieht, was im Massenmord dann einen adäquaten Ausdruck bekommt, wird verleugnet, wenn plötzlich die gewonnenen Einsichten in Agitation verwandelt werden sollen. Deshalb wurde wahrscheinlich auch die Kategorie „antideutsch light“ von Robert Kurz übernommen. Die Light-Antideutschen würde von den Antideutschen unterscheiden, was den Vegetarier vom Veganer unterscheidet. Innerhalb der eingebildeten Adressaten kann man also genauso wenig qualitative Unterscheidungen treffen wie zwischen sich und dem Rest der Welt, weshalb die Differenz in beiden Fällen willkürlich gesetzt werden muss. Dies zeigt einmal mehr die schlechte Einheit mit dem Publikum, dem man nur noch scheinbar sagt, was es nicht hören will und das auf den Veranstaltungen auch selten widerspricht. Ähnlich hat bereits die AA/BO ihre Antifapolitik gerechtfertigt. Man wolle die Immerhin-schon-Antifaschisten zu echten Kommunisten agitieren, was real nie geschah, weil die Bauernfänger selbst Bauern sind.
In Wahrheit haben alle Angst vor der Freiheit – die von der Bahamas und anderen Konformisten als Adressaten bestimmten Aufgeschlossenen, die an sich schon auf der richtigen Seite stehen, existieren nicht. Der Unterschied zwischen denen, die man gerade erreichen kann und denen, die zunächst für verloren zu gelten haben, ist keiner zwischen Unvoreingenommenen und Ressentimentvollen, sondern einer innerhalb des Ressentiments. Die „Erreichbaren“ zeigen immerhin Widerstand gegen die Kritik und beweisen so, dass sie sich im Konflikt befinden.
f)
Die Passagen, in denen sich die Bahamas zu psychologischen Fragen auslässt, sind merkwürdig verworren. So heißt es beispielsweise: „Anders als der Neurotiker ist der Antisemit nicht krank, scheitert nicht notwendig an der Realität, sondern weiß sich pumperlg’sund und mit ihr in völliger Übereinstimmung. … Er ist zwar zur Objektbindung nicht in der Lage, aber er erfährt das nicht als krankmachenden Mangel, sondern als Ausdruck seiner Lebenstüchtigkeit. Daher hat er vor allem nichts zu verschieben oder zu verdrängen.“ Natürlich empfindet der Antisemit in der falschen Gesellschaft die Unfähigkeit, mit den Dingen etwas anzufangen, nicht als krankhaft, weil diese geradezu von ihren Mitgliedern erwartet, dass sie die Dinge nicht gebrauchen können. Ihn deshalb aber beim Wort zu nehmen, und zu behaupten, er sei tatsächlich nicht krank, ist dumm. Gerade wenn man sagt, die Antisemiten sind zur Beziehung nicht in der Lage, nehmen dies aber nicht als Mangel wahr, sollte man nicht so tun, als gäbe es keinen Grund zur Verdrängung. Wenn einer, der sich selbst für gesund hält, ständig davon redet, die Juden wollten ihm Böses, obwohl er doch gar keinen Kontakt zu Juden hat, ja noch nicht einmal welche kennt, so muss man daraus erstens folgern, dass es mit seiner angeblichen psychischen Gesundheit so weit nicht her ist. Zweitens kann man sich sicher sein, dass sein behaupteter Konflikt mit den realen Juden nichts zu tun hat, sondern diese vielmehr als Projektionsfläche herhalten müssen für seelische Vorgänge, die anderswo ihren Ursprung haben. Nichts anderes meinten wir, als wir davon sprachen, der Jude sei dem Antisemiten Ersatzobjekt. Und dass diese seelischen Vorgänge irgendwie auch mit der verkehrten Art der Produktion zu tun haben, ist nun wirklich kein abwegiger Gedanke. All dies ist der Bahamas im Grunde ja keineswegs fremd, weshalb man annehmen muss, dass ihr im Bemühen, uns irgendetwas Böses anzuhängen, der Gaul durchgegangen ist. Es hat deshalb wenig Sinn, weiter über Psychoanalyse zu zanken. Die inkriminierten Stellen unseres Referats, wie „das teuflische Bild der Harmonie“, „verdrängte Klassengegensätze“, „fehlgeleitete Aggression“, „ihrem primären Ziel entfremdete Klassenkampfenergie“ etc. haben wir uns nicht selbst ausgedacht, sondern bei Adorno abgeschrieben (11). Wir schlagen vor, die Bahamas revidiere das Denken dieses Mannes, anstatt mit uns darüber den Streit zu suchen.
IV. Abschließendes
Insgesamt verkommen die Antideutschen zu der antifaschistischen Bewegung, als die sie die Zeitschrift Gegenstandpunkt oder auch Ralf aus Leipzig recht früh bekrittelten. Nur dass es diesmal nicht gegen Stiefelnazis, sondern gegen die antisemitische Internationale geht. Man malt Transparente mit der Aufschrift „Keinen Fußbreit den Islamisten!“, obwohl man genau weiss, dass der Islamismus bereits ganze Staaten unter Kontrolle hat. Man behauptet, mit dieser Aktion zur Konservierung der „Bedingung der Möglichkeit“ der Kritik, der Emanzipation etc. beizutragen, anstatt endlich damit zu beginnen, diese Möglichkeiten zu nutzen. Gleichzeitig mit der Wende zum Antifaschismus (personifiziert durch die Ablösung des Linksabweichlers Pankow durch den Rechtsabweichler Pünjer in der Redaktion Bahamas) wurde der Kommunismus zum Sack Flöhe und zum tatsächlich nur noch postulierten Goldgrund, an den die Redaktion so wenig glaubt wie an den dauernden Erfolg der US-Army. Die antifaschistischen Kundgebungen, die in dem Maße zur Hauptaktivität der Antideutschen avancierten, indem das linke Publikum das Interesse an ihnen verlor, sind Ausdruck der Ratlosigkeit: die Ansprachen richten sich an keine Öffentlichkeit, sondern nur an die eigene Gemeinde, der man obendrein nichts sagt, was sie nicht längst wüsste (12). So gehen nach den Ansätzen der Antifa oder auch des revolutionären Antifaschismus nun auch die antideutschen Versuche zu Ende. (Gleichgültig, ob sie noch einige Jahre ihr Dasein fristen werden). Nicht auszuschließen, dass einige der Fragmente des zerfallenden Haufens sich umbilden und auf höherem Niveau die Assoziation beginnen. Gerade der Proamerikanismus verrät mit Formulierungen wie „Bush – the man of peace“ zumindest eine Ahnung von der ungeheuren Aufgabe, die anzugehen wäre – wenn auch die Rettung noch fetischistisch von einem höh’ren Wesen erwartet wird, wo einzig die eigene, kollektive Aktion helfen könnte. Wenn wir in früheren internen Papieren von Assoziation sprachen, so war dies ein negativer Begriff, wir meinten also weder einen bereits bestehenden Verein, noch propagierten wir einen Zusammenschluss um seiner selbst willen, sondern hofften, das sich einmal Leute treffen, um sich ernsthaft über das von allen als recht schwierig empfundene zukünftige Vorgehen zu besprechen. Gegenwärtig scheitern alle Versuche, einen Verein zu bilden, daran, dass man nicht in einem Geiste über die gleiche Sache reden kann. Deshalb frei nach Jedimeister Joda folgendes Motto:
Naturforscher und Transcendentalphilosophen.
Feindschaft sei zwischen euch, noch kommt das Bündnis zu frühe,
Wenn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt.
Fussnoten:
(1) Der Vortragstext ist unter dem Titel Die Welt darf sich nicht ändern, auch wenn sie in Scherben fällt auf unserer Homepage www.antideutsch.tk zu finden.
(2) Fragment zu Marx in: Über den Gebrauchswert des Kapitals, zu finden unter www.antideutsch.tk
(3) Vergleiche dazu den Aufsatz von Manfred Dahlmann: Kritische Theorie am Ende? Über die Antinomien totaler Vergesellschaftung bei Stefan Breuer und Wolfgang Pohrt, zu finden auf der Homepage der Initiative Sozialistisches Forum, www.isf-freiburg.org
(4) Auf einer von uns durchgeführten Veranstaltung in Berlin baute er einen antideutschen Pappkameraden auf, welcher sich von den Aktionen der Amerikaner die Ankunft des Kommunismus erwarten würde. Er konterte mit einer generellen Ablehnung jeder Geschichtsphilosophie und befindet sich damit in bester Gesellschaft mit seinen Ex-Genossen, welche neuerdings ebenfalls die Welt nicht mehr nach Maßgabe der Emanzipation beurteilen wollen.
(5) Wahrscheinlich ahnt letztere jedoch, dass sie mit diesem Ideologen einen Trojaner an Bord geholt haben. Sie hätte sich besser einmal selbst ernst genommen, da sie noch vor kurzer Zeit folgende Charakterisierung ihres jetzigen Bundsgenossen gaben: „Die Ralfs [Pseudonym des Herrn Pünjer, hier freundlich in den Plural gesetzt] dieser Republik, verhinderte Kritiker, die darunter leiden, dass sie nicht gefragt sind, vom Bündnis gegen Rechts nicht und von der Bahamas schon gar nicht, schreiben dort, wo man sich nicht schmutzig machen möchte, wo man gescheit sein darf, ohne zu denken zu müssen und von wo man noch aufsteigen kann, in die Redaktion der karoshi [Zeitschrift, die Sinnbild des neulinken theoretischen Unsinns war] etwa“ (Editorial, Nr. 34). Pünjer hatte damals versucht, den Antifaschismus der Bahamas zu kritisieren.
(6) In Berlin handelt es sich dabei um das Bündnis gegen IG Farben und eine Gruppe, die sich „Offene Rechnung“ nennt
(7) So gelang es der Kritik auch prompt, einige Berliner Gruppen zu vereinen, die sonst nicht viel eint. Zu nennen ist hier, außer den bereits erwähnten, noch eine antifaschistische Gruppe mit dem Namen test the west.
(8) Beispielhaft hierfür steht das brav antifaschistische, ansonsten jedoch weitgehend überflüssige Berliner IG-Bündnis, welches jedes halbe Jahr lauthals aufs Neue verkündet, sich jetzt aber endgültig von der Linken verabschiedet zu haben und damit nur beweist, dass es über diese niemals hinauskommen wird.
(9) Zwei Vorwürfe, die sich gegenseitig ausschließen, aber nachdem man die Ansichten des Gegners frei erfunden hat, spielt auch die logische Unsinnigkeit ihrer Widerlegung keine Rolle mehr. Im übrigen schätzen wir die Frühaufklärer sehr.
(10) Deshalb kann sich die Bahamas unter der von uns geforderten Bewusstmachung des gesellschaftlichen Stoffwechselprozesses nichts anderes vorstellen als eine Linksruck-Kapitalschulung.
(11) Theodor W. Adorno: Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Darmstadt 1998, S. 184 u. S. 188 sowie ders.: Reflexionen zur Klassentheorie, ebd., S. 376.
(12) Deshalb auch das befremdliche Insistieren der Bahamas auf ihr Label und „ihre“ blau-weiße Fahne. Symbole werden umso wichtiger, je dürftiger der Inhalt.