Über bedenkliche Tendenzen in jüngsten Veröffentlichungen der BAHAMAS-Redaktion
Horst Pankow: Die Propaganda, der Kitsch und der Krieg – Teil I
Wer sich politischer Praxis – und das heißt in diesem Zusammenhang einer Praxis in durchaus traditionellem Sinne mit Rekrutierung und Mobilisierung von Anhängern, Streben nach Erreichung, Sicherung und Ausbau von Einfluß, Schaffung und Aufkündigung von Bündnissen und Koalitionen usw.– verschreibt, findet sich mit der Problematik der Wahl geeigneter Mittel konfrontiert. Politische Praktiker sind heutzutage aus guten Gründen Professionelle; an politikwissenschaftlichen Instituten, auf Parteischulen und Gewerkschaftsakademien lernen sie, wie Politik gemacht wird. Sie lernen Erkennen, Argumentieren, Intervenieren, sie lernen das schon immer selbstverständlich Gewusste als Ergebnis systematischen Forschens zu begreifen, sie lernen den Schein der Besonderheit auf dem Gleichförmigen ihrer kollektiven Existenz als Frage ums Ganze gegen Konkurrenten, die ihnen nicht nur dem ersten Eindruck zufolge wie ein Ei dem anderen gleichen, mit der ganzen erbitterten Rhetorik des Weltenretters (1) ins Feld zu führen. Zu diesem Zweck lernen sie vor allem die Kunst der Massenansprache und die Handhabung der dafür notwendigen Medien, was keinem von ihnen besonders schwer fällt, denn Politiker und Wähler, Führer und Geführte unterscheiden sich nur durch die unterschiedlichen Ausprägungen von Ambition und Ausbildung. In der Arena der spätbürgerlichen politischen Auseinandersetzung herrscht – wie vom einfachen Sozialkundelehrer bis zur höchsten staatlichen Charge unisono freimütig bekannt – „Einigkeit in den Grundfragen“; die Konkurrenz um die Lösung sogenannter „Sachfragen“ mittels Parteien, Programmen etc. findet nur statt, weil die Geschäftsordnung in ihrer staatspolitischen Weisheit es so vorsieht: Eine ehrgeizige Nation bedarf eines ehrgeizigen Führungspersonals und dessen Ehrgeiz soll unter Beweis gestellt sein, bevor es die Nation im Verhältnis zu anderen Nationen zurichtet und repräsentiert.
Soviel zur politischen Praxis der gewollt affirmativen Art und damit Ende des Einrennens offener Türen. Politische Praxis mit emanzipatorischem Anspruch hat es schwerer. An ihrem Beginn steht nicht die Affirmation, sondern der Dissens, steht nicht die pseudooriginelle Reformulierung des gängigen Geschwätzes, sondern die Kritik, nicht ein Wille zum konstruktiven Mitmachen, sondern einer zur Aufhebung der bestehenden Verhältnisse. Das Emanzipatorische dieses Anspruches begründete sich in der Linken zumeist aus dem vom ‚jungen‘ Marx formulierten „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln.“ (2) Aufhebung der bestehenden Verhältnisse als nicht nur zentrales, sondern einziges Anliegen emanzipatorischen Anspruches ist, obgleich unbedingtes Anliegen, auf die Bedingungen seiner Durchsetzung verwiesen. Zunächst scheint alles recht einfach: „... allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird.“ (3) Dann aber wird es schwieriger, wenn nämlich die Massen ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen zwar artikulieren, aber, alles andere als von revolutionärer Theorie ergriffen, diese Unzufriedenheit als den Wunsch nach Gerechtigkeit, d. h. nach Gleichberechtigung der Arbeit neben dem Kapital in Arbeiterparteien und Gewerkschaften vor der nationalen Souveränität ausdrücken.
Was ist mit Aufhebung, wenn, wie es der ‚späte‘ Marx im Kapital wiederholt feststellte, Arbeit und Kapital nur die verschiedenen Seiten der gleichen historischen Erscheinung sind? Wenn also die Massen nicht schon darauf warten, durch das Aussprechen des „Zauberwortes“ aus dem bleiernen Schlaf der Verdinglichung geweckt zu werden (4), weil sie selbst durch ihr Agieren bzw. Agierenmüssen konstitutiver Bestandteil der allgemeinen Verdinglichung sind? Dann tritt zunächst W. I. Lenin auf den Plan und stellt fest, die Arbeiterklasse bringe aus sich selbst bestenfalls nur ein gewerkschaftliches Bewusstsein hervor, welches von einer professionellen Avantgarde mit den Mitteln Agitation und Propaganda in ein politisch-antagonistisches transformiert werden müsse. Lenins erste Feststellung ist zweifellos richtig, die zweite wird mindestens durch die Bestimmung der Mittel falsch. Agitation und Propaganda sind nämlich etwas völlig anderes als die kritische Analyse des Bestehenden zum Zwecke seiner Aufhebung. Diese ist dem AgitProp in der Regel vorausgegangen, letzteres hat die Ergebnisse der Analyse so zu präsentieren, dass sie begriffen werden können, hat also nicht nur den kognitiven Fähigkeiten der Empfänger Rechnung zu tragen, sondern auch deren ideologischen Ausdrucksformen, im parteikommunistischen Jargon werden sie als „Interessen“ verehrt. Dieser Anspruch führt schließlich dazu, dass selbst die Analyse den Anforderungen der Ideologie unterworfen wird, etwa wenn Leninisten verlangen, die Theorie habe eine „Anleitung zum Handeln“ zu sein. Was immer durch ein solches Handeln – sollte ihm denn ein empirisch nachweisbares Resultat außerhalb der Wasserglasstürme linker Subkulturen zu bescheinigen sein - aufgehoben werden mag, die Realabstraktion des Wertfetisch und die auf ihm gründende gesellschaftliche Totalität bleiben unangetastet, letztere wird möglicherweise sogar in eine rigidere Erscheinungsform versetzt.
„Propaganda macht aus der Sprache ein Instrument, einen Hebel, eine Maschine. Propaganda fixiert die Verfassung der Menschen, wie sie unterm gesellschaftlichen Unrecht geworden sind, indem sie sie in Bewegung bringt. Sie rechnet damit, dass man mit ihnen rechnen kann. ... Noch die Wahrheit wird ihr bloßes Mittel zum Zweck, Anhänger zu gewinnen, sie fälscht sie schön, indem sie sie in den Mund nimmt. Deshalb kennt wahre Resistenz keine Propaganda. Propaganda ist menschenfeindlich. Sie setzt voraus, dass der Grundsatz, Politik solle gemeinsamer Einsicht entspringen, bloß eine facon de parler sei.“ (5) Horkheimer und Adorno formulierten diese Sätze 1944, zu einer Zeit als zwei Erkenntnisse sich paradox zusammenfügten: Einerseits war mit dem allmählichen Bekanntwerden der von den Deutschen betriebenen Massenvernichtung der Hoffnung auf eine emanzipatorische Aufhebung des Kapitalverhältnisses ein schwerer Schlag versetzt worden. Walter Benjamins Annahme, Revolutionen seien nicht die „Lokomotive der Geschichte“, sondern der „Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“ (6) war durch die Tatsachen des Ausbleibens einer kommunistischen und des Stattfindens einer völkisch-antisemitischen Revolution bestätigt worden. Andererseits und gleichsam daraus folgend erwies sich der „Griff nach der Notbremse“ zunehmend als unhintergehbare Notwendigkeit. Diese kann jedoch nicht mehr – wie Benjamin schon vermutete - aus einer geschichtlichen Vernunft begründet werden, sie sieht sich vielmehr in den Bereich des subjektiven Wollens oder besser des Nicht-mehr-Wollens verwiesen. Die voluntaristische Aufkündigung von Duldsamkeit und Leidensbereitschaft wird zur tatsächlichen conditio sine qua non einer jeden emanzipatorischen Orientierung. Um so wichtiger wird die analytisch begründete Einsicht in den Widersinn der Totalität des spätbürgerlichen Getriebes. Sie ist nicht nur eine weitere – diesmal objektive – Voraussetzung revolutionärer Praxis, sie ist diese bereits, zumindest ist sie ihr niemals endender Beginn, ebenso wie die Hypostasierung einmal gewonnener Erkenntnisse zu bloßen Versatzstücken radikaler Ansprache stets ihr Ende ist.
Unabdingbarer Bestandteil der Erlangung einer solchen analytisch begründeten Einsicht ist auch die kritische Beschäftigung mit den Beiträgen, die der Großteil der Linken zu den historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts geleistet hat. Der einzige Bezugspunkt zu deren verhängnisvoller Tradition sollte der negative einer schonungslosen Kritik sein. Alle ihre nicht nur seit langem bankrotten, sondern auch von Beginn an im Wortsinne konterrevolutionären Projekte sollten dort bleiben, wo sie sind: in den inzwischen nur noch von politischen Psychopathen betriebenen Ramschwarenläden einer randständigen Unvernunft. Kein Gefühl der Ohnmacht, keine revolutionäre Ungeduld oder/und Verzweiflung kann es beispielsweise rechtfertigen, in der nicht randständigen Unvernunft spätbürgerlicher Gesellschaften mit der thälmannschen Mütze des Antifaschismus nach Anhängern zu fischen. Obwohl mir dezisionistische Haltungen wie jeder Anflug von moralischer Erpressung eigentlich unangenehm sind, möchte ich hier dennoch feststellen: Man hat sich in solchen Stimmungslagen einfach zwischen Affirmation und Negation zu entscheiden.
Das bis hierhin Ausgeführte schien mir in der Vergangenheit Konsens innerhalb der BAHAMAS-Redaktion gewesen zu sein, und vielleicht sind die einzurennenden Türen noch gar nicht geschlossen, einige vielleicht nur angelehnt. Doch stellen sich mir in letzter Zeit verschiedene Stellungnahmen der Redaktion in einer Weise widersprüchlich dar, dass ich eine nicht unerhebliche Tendenz zum affirmativen Politisieren befürchte. Ich folgenden beziehe ich mich auf das gemeinsam mit dem Bündnis gegen IG Farben und den Antideutschen Kommunisten Berlin unterschriebene Flugblatt „links – antisemitisch – deutsch“ und die mit Radaktion BAHAMAS gezeichnete Erklärung „Krieg dem Baath-Regime, Waffen für Israel!“ in BAHAMAS 39 (7).
Wer zunächst auf die Rückseite des Flugblattes sieht, um zu erfahren, von wem es denn geschrieben wurde, wundert sich, unten rechts ein kleines Emblem zu finden, hatten wir doch bislang auf Roterstern, Hammerundsichel und anderen folkloristischen und fußballvereinsmäßigen Schnickschmack verzichtet. Nun also das ehrwürdige Logo der Antifaschistischen Aktion. Die autonome Antifa hatte es sich aus der Asche des Kommunistischen Bundes (KB) geklaubt, der wiederum hatte es aus alten Broschüren der KPD in der späten Weimarer Republik abgemalt. Die KPD benutzte das Emblem ab 1929 für ihre Politik der „Einheitsfront von unten“. Die beiden graziös im Morgenwind wehenden, sich an ihren Enden schon vereinigenden, in ihren Faltenwürfen sich sehr, sehr nahe kommenden Fahnen symbolisierten die (partei-)kommunistische und die sozialdemokratische Arbeiterbewegung, vor allem jedoch deren jeweilige paramilitärische Schutztruppen, den „Roten Frontkämpfer-Bund“ der KPD und das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ der SPD. Die leichte Schrägpositionierung der aufgerichteten Fahnenstangen sollte ein einträchtiges Miteinandervorwärtsmarschieren bei der Abwehr der „faschistischen Gefahr“ verkörpern. Beide Fahnen waren bewusst nicht mit Schriftzeichen oder anderen Symbolen versehen, die Kampagne „Einheitsfront von unten“ trug nämlich dem Umstand Rechnung, dass die SPD sich der „Verteidigung der Republik gegen ihre Feinde von links und rechts“ verpflichtet hatte und ihr „Reichsbanner“ dem Kommunistenverprügeln, woran die erträumte Liaison der „Einheitsfront“ dann auch scheitern sollte.
Bei seiner jüngsten – und hoffentlich kurzfristigen – Renaissance hat das Antifa-Emblem erstmals eine graphische Veränderung erfahren: Die im Vordergrund wehende Fahne trägt die Insignien des israelischen Staates, die im Hintergrund bleibt wie gewohnt monochrom (oder auch nicht, denn wir sehen ja nur einen unteren Teil, vielleicht ein Drittel des gesamten Fetzens). Was hat das nun zu bedeuten? Einheitsfront von antideutschen und zionistischen Linken? Wohl kaum, denn zionistische Linke gibt es in Deutschland – jedenfalls in organisierter Form – leider nicht. Einheitsfront von Israel mit der antideutschen Linken? Möglicherweise oder sehr wahrscheinlich - bin nicht sicher - ist der sympathische Wunsch, dass es so sein sollte, der Vater des Gedankens. Dies wäre aber ein absurder Wunsch, wie so mancher sympathische Wunsch. Denn Israel als Staat braucht alles andere als die Einheitsfront mit Staatsfeinden. Ich habe, obgleich ich Flaggen zu den am meisten verächtlichen Dingen dieser Welt zähle, das herausfordernde Zeigen der israelischen Flagge bei Demonstrationen und Kundgebungen – zumindest in den letzten zwölf Jahren - aufs Heftigste begrüßt, vor allem, weil ich auf den provokativen Effekt setzte und setze, den dies im Land der Massenmörder bei Unzufriedenen auch haben könnte – denn schließlich sind auch Deutsche ... . Ich habe in vielen Texten die Verteidigung der staatlichen Existenz Israels durch linksradikale Staatsfeindlichkeit gefordert und habe dies in den meisten Fällen als notwendige contradictio in adjecto verlangt, so lange, bis die politisch-ökonomischen Voraussetzungen des mörderischen Antisemitismus beseitigt sind. Ich habe mich allerdings nie der Illusion hingegeben, Israel habe von antideutschen Staatsfeinden mehr zu erwarten als Nadelstiche in den deutschen Konsens, was schon sehr viel wäre. Umgekehrt sehe ich keinen Anlaß zu der Annahme, dass Israel gerade uns Antideutsche mit besonderem Zuvorkommen behandeln sollte, wo es doch als Staat auf stabile und berechenbare Verhältnisse in Europa angewiesen ist, die wir nicht mögen.
Israel befindet sich glücklicherweise auch nicht in einer Situation, die nur entfernt eine Ähnlichkeit mit dem Spanischen Bürgerkrieg aufweisen würde, wie es in der Redaktions-Erklärung behauptet wird: „An einem Wendepunkt, der durchaus nicht unverwandt ist mit dem, den die faschistische Aggression gegen die spanische Republik 1936 bedeutete und der die Entscheidung verlangte, für diese Republik als ein Symbol des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und seine spanischen und italienischen Verbündeten zu kämpfen, wird man sich entscheiden müssen: Für die bewaffnete Selbstverteidigung Israels als Kristallisationspunkt eines weltweiten Kampfes gegen den barbarischen Antikapitalismus.“ Ups, da hatte man zunächst Probleme mit Sprache und Logik: Wenn ich mich für die bewaffnete Selbstverteidigung Israels entscheide, werden die Israelis diese meine Entscheidung auch umsetzen? Am Besten mal vor Ort nachsehen - und los geht’s mit dem Interbrigadistenhalstuch des roten Großvaters von Hellersdorf nach Haifa. Doch man hatte noch kein S-Bahn-Ticket lösen können, da wurde schon wieder Entwarnung gegeben: „Israel braucht keine internationalen Brigaden, aber einiges vom Geist dieser internationalen Bewegung für den Erhalt der spanischen Republik könnte nicht nur Israel nicht schaden.“ In der Tat, das könnte gewiß so manchem nicht schaden ...
Aber lassen wir die unfreiwillige Komik der missglückten Formulierungen beiseite und schauen, was dran ist an der Bezugnahme auf Spanien. Im Sinne einer kritischen Beschäftigung mit dem Antifaschismus kann in diesem Zusammenhang doch wohl nur die Instrumentalisierung der Republik durch die stalinistische SU und die Liquidierung der linksradikalen und anarchistischen Bewegung Spaniens interessieren. Beides gehört untrennbar zusammen. Für die sowjetische Außenpolitik war die vom Faschismus bedrohte Spanische Republik ein Demonstrationsobjekt, mit dem den westlichen Staaten bewiesen werden sollte, dass es der SU mitnichten um den Export von Revolution und Kommunismus ging, dass es ihr vielmehr auf die Garantie von Demokratie, Stabilität und Ordnung ankam. Dies glaubwürdig zu vertreten, sollte als Entreebillet in eine erhoffte internationale Koalition gegen das aufstrebende Nazi-Deutschland wirken. Zu diesem Zweck wurde jede linksradikale Opposition, jede revolutionäre Bestrebung in Spanien gnadenlos bekämpft. Die legendären Internationalen Brigaden setzten sich mehrheitlich aus parteikommunistischen Leuten zusammen, die aufgrund ihrer Hörigkeit gegenüber den bizarren Strategien von SU und Komintern in ihren Herkunftsländern nicht oder nur sehr eingeschränkt gegen den Kapitalismus kämpfen konnten. (Wer heute vom „Geist dieser internationalen Bewegung“ schwärmt, sollte zunächst einmal das Versagen der deutschen Parteikommunisten vor dem Nationalsozialismus thematisieren.) Ihnen (8) wurde mit dem antifranquistischen Kampf in Spanien ein Ventil für ihren subjektiven Kampfeswillen geboten, aber objektiv wurden sie verheizt - für eine Republik, die nicht nur in Spanien ab 1936 kaum jemand noch wollte: Die besitzenden Klassen und der Klerus Spaniens hatten sich für Franco entschieden, das Industrieproletariat war mehrheitlich anarchistisch orientiert, das in der Landwirtschaft zur Hälfte auch, die andere Hälfte neigte den karlistisch-katholischen Verbündeten Francos zu und die nichtfaschistischen europäischen Führungsmächte machten mit ihrer Blockadepolitik deutlich, was sie von der spanischen Sache hielten. Als im August 1938 mit dem Münchner Abkommen dann auch für sowjetische Strategen offensichtlich wurde, dass demokratische Staaten sich lieber mit Nazis als mit Kommunisten für den Erhalt der Ordnung verbünden, wurde die materielle Unterstützung der spanischen Republik stillschweigend eingestellt; die propagandistische freilich nicht ganz, sie lebt bis heute als Antifa-Kitsch fort. Die Internationalen Brigaden wurden demobilisiert, sowjetische Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung eingestellt. Sieben Monate später war’s dann aus ...
Die einzig mögliche Analogie der heutigen Situation Israels mit dem Spanischen Bürgerkrieg könnte bezüglich der Rolle der USA gefunden werde, wenn man davon ausgeht, sie seien für Israel ein ebenso unverlässlicher Partner wie die SU für das Spanien der Volksfront. Und das sind sie ja wahrscheinlich auch. Aber derzeit doch nur, was das Grundsätzliche betrifft. Alle aktuell konkreten Phänomene der US-Außenpolitik – Interessenlage, Verhältnis zu Konkurrenten, bekannte strategische Optionen usw. – sprechen derzeit dafür, dass das, was in der redaktionellen Erklärung in denkwürdiger Adaption des transatlantischen Jargons „Sicherheitspartnerschaft“ genannt wird, noch eine Weile fortbesteht. Dazu dürfte auch die in letzter Zeit sich beschleunigende Entwicklung der europäisch-amerikanischen Konkurrenz beitragen. Aber sicher ist in der Staatenwelt auf Dauer nichts, und es ist durchaus denkbar, dass die USA Israel einmal fallen lassen könnten. Aber bezüglich eines solchen Falles wird ja in der Erklärung ganz richtig auf Israels nicht unbeträchtliche Verteidigungskapazität hingewiesen.
Wozu taugt also die Beschwörung des Spanischen Bürgerkriegs? Sie taugt in einem aufklärerischen Sinne zu genau so viel wie die Verwendung des modifizierten Antifa-Emblems, nämlich zu gar nichts. Sie dient allein der propagandistischen Stimmungsmache und ist damit übler Kitsch. Sie ist ebenso antiaufklärerisch und kitschig wie die im Flugblatt verwendete Parole „Keinen Fußbreit dem Faschismus!“ (9) Ich bekenne durchaus, dass ich es in meiner Eitelkeit irgendwie als Kränkung empfinde, mit so einem Zeug in Verbindung gebracht zu werden, schließlich steht „Redaktion BAHAMAS“ drunter. Dabei steht in dem Flugblatt auch manches Kluge, z. B.: „Bürgerliche wie Sozialisten gleichermaßen waren unfähig, Nationalsozialismus und Antisemitismus zu begreifen, hätte dies doch erfordert, die Grundlagen des eigenen erbärmlichen Daseins – Kapital, Staat, Nation – in Frage zu stellen. Ihr Antifaschismus konnte daher nichts anderes sein als die Anklage illegitimer Herrschaft – Staatsterror, Parteidiktatur, Zerstörung der Demokratie u.s.w. Auch die autonome Antifa der 80er und 90er Jahre beschränkte sich im wesentlichen darauf, nach Ewiggestrigen am rechten Rand zu fanden, die Machenschaften von Glatzen und Burschenschaftlern aufzudecken und Verbindungen der Eliten zum braunen Sumpf nachzuweisen.“ Nur freuen kann man sich über diese richtigen Feststellungen nicht, denn das Flugblatt beginnt peinlicherweise mit einem – durch Hintergrund und Umrahmung hervorgehobenen – Block, in dem „Machenschaften“ unangenehmer Zeitgenossen „aufgedeckt“ und deren ideelle „Verbindungen zum braunen Sumpf“ nachgewiesen werden. Und der völlig richtigen Aussage über „Bürgerliche wie Sozialisten“ wird auf der Rückseite des Flugblattes eine schallende Ohrfeige verpasst. Hatte man sich schon gefragt, warum nicht auch den Kommunisten die gleiche „Unfähigkeit“ attestiert wird, erhält man hier die folgende Belehrung: „Bei allen Fehlern – unter der Losung des proletarischen Internationalismus fanden sich einst Menschen zusammen, die gegen Staat und Nation den grenzübergreifenden Zusammenschluß von Individuen im Sinn hatten, um gemeinsam für eine vernünftige Organisation der Welt zu kämpfen.“
Es fällt mir schwer, hier die Contenance nicht zu verlieren. Brauchen BAHAMAS-Redakteure Nachhilfeunterricht in Sachen „Geschichte der Arbeiterbewegung“? Ist es wirklich notwendig, ihnen zu erklären, dass aus der internationalen Zusammenarbeit proletarischer Bewegungen, die deshalb meist zu Unrecht als „vaterlandslose Gesellen“ bezeichnet wurden, erst mit der Gründung der Kommunistischen Internationale 1919 in Ismus wurde. Sollte man sie wirklich darüber belehren, dass die Komintern alles andere war als ausgerechnet eine Einrichtung zur Bekämpfung von „Staat und Nation“, dass ihr „grenzübergreifender“ Inter-Nationalismus sich ab 1935 ganz ungeniert in der Parole „Proletarier aller Länder und unterdrückte Nationen, vereinigt Euch!“ sich artikulierte. Nein, nicht Nachhilfeunterricht, sondern Aufklärung oder Selbstaufklärung über die unabdingbare Kohärenz von Propaganda und Lüge wären hier vonnöten. Denn um nichts anderes als um eine faustdicke Lüge handelt es sich hier, in die Welt gesetzt, um in der Antifa-Szene Leute abzufischen, indem man ihnen weismacht, sie und ihre kritisierensbedürftigen ideologischen Leiheltern, das ganze Gruselkabinett links-staatsfetischistischer Ignoranz und Brutalität hätten schon immer dasselbe gewollt wie wir.
Nach der Lektüre des Flugblattes erhellte sich dann auch der Sinn einer von mir bis dahin für rätselhaft gehaltenen Passage aus der redaktionellen Erklärung. Sie lautet: „Kommunistische Kritik, die die kapitale Vergesellschaftung und ihre Souveränität in den Verein freier Menschen aufzuheben trachtet, wird bei aller Grundsätzlichkeit und Schroffheit immer so politisch sein müssen, wie Marx es zeitlebens war und wovon der allzu deutsch-sozialdemokratisch gebliebene Theoretiker Lenin als Politiker der Revolution einiges gelernt hat.“ Beim ersten Lesen scheint der Satz weitgehend eine Art Erich-Honneckersche Nullaussage zu transportieren: „Sei bei aller Grundsätzlichkeit und Schroffheit immer so politisch wie Marx.“ „Ist gebongt, Alter.“ Beim zweiten Lesen merkt man, dass es eigentlich um Lenin geht, und man weiß, dass man eine Antwort auf die sich aufdrängende Frage, was er denn eigentlich von Marx gelernt habe und ob das gerade das Beste gewesen sei, im weiteren Textverlauf nicht erhalten wird (10). Wichtig ist hier nur die Erwähnung, dass Lenin – trotz einiger Makel – von Marx gelernt habe und dass er deshalb ein dummer Kerl oder ein übler Bursche nicht gewesen sein kann. Heißt das auch, der Gründervater des Antiimperialismus, der Großmeister der Nationalen Frage, um nur zwei seiner unangenehmen Eigenschaften zu nennen, ist nunmehr exkulpiert von allen Scheußlichkeiten antiimperialistischer und befreiungsnationalistischer Provenienz, deren wir ihn in den 90er Jahren durch Untersuchungen und Veröffentlichungen überführt haben? Vielleicht, das Bedürfnis, mit den Mitteln der Propaganda Anhänger zu gewinnen, scheint enthemmend zu wirken.
Wie gesagt habe ich Probleme, die Contenance zu bewahren. Und die werden noch größer, wenn ich beispielsweise in den oben kritisierten Unwahrheiten über die angeblich antistaatlich und antinational motiviert gewesene Komintern einen Satz finde, der – wenn er denn so gemeint ist, wie er da steht, und ich hoffe inständig, dass er nicht so gemeint ist – eine erschreckende Impression des Unbewussten der/des Verfasser/s vermitteln könnte. Die Neuschreibung der kommunistischen Geschichte hört nämlich nicht mit der oben zitierten Passage auf. Sie wird wie folgt fortgesetzt: „Antrieb war ihnen [den Kommunisten, H.P.] die Utopie einer befreiten Gesellschaft, die nach den Bedürfnissen der Einzelnen sich ausrichtet [har, har! H.P..]: die Liebe zum Menschen, wie er sein könnte, wenn eben die Verhältnisse andere wären.“ Die Liebe zum Menschen, wie er sein könnte, wenn ... Das muß nicht nur naive, spätromantische Schwärmerei sein, auf die kommunistische Kritik sehr gut verzichten kann, denn sie „demonstriert ad hominem“ (Marx, s. o.), sie wird vom realen Leid der konkreten Lebenden und der Einsicht in dessen historische Gewordenheit und damit seiner Aufhebbarkeit motiviert (11). Der Neue Mensch der Zukunft ist doch nur eine langweilige Dauerinszenierung in den Zuckerbäcker-Eispalästen Nordkoreas. Eine solche Formulierung kann – und ich hoffe, dass dies nicht der Fall ist – auch ein äußerst aggressives Bedürfnis zum Ausdruck bringen. Die Umkehrung dieses Satzes lautet nämlich logisch – nicht nur sprachlogisch – „Haß auf den Menschen, wie er ist“. Die Liebe ist bekanntlich die am meisten perfekte Camouflage des Hasses, und die „Liebe zum Menschen, wie er sein könnte“, aber nicht ist, war bislang der mentale Treibstoff aller Inquisitoren und Menschenschinder. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch die drastische Attributierung unserer Gegner und ihrer Absichten als „verkommen“, „verkracht“, „pervertiert“ (Flugblatt), und „verderbt“ (Erklärung) (12). Semantisch münden solche Attribute gewöhnlich in den Begriffen Sünde und sündig. In der Erklärung geht man aber noch einen Schritt weiter und führt das Attribut „teuflisch“ ein. Wie kann einer Redaktion, die sich zu Recht einiges auf ihre Beschäftigung mit der Psychoanalyse zugute hält, so etwas unterlaufen. Sehr merkwürdig auch die Kennzeichnung Jürgen Elsässers. Die Formulierung „der Kanzler und sein Elsässer“ könnte, läse man sie in einer traditionslinken Mumienpostille, wo man es gewohnt ist, vom Dissens als vorsätzlichen Verrat und als Ausdruck persönlicher Käuflichkeit zu erfahren, wie eine lässliche Peinlichkeit ignoriert werden. Aber in einer mit Redaktion BAHAMAS unterzeichneten Erklärung? Und was ist mit Elsässer in der Rolle des „finsteren Friedensfürsten“? Resultat einer Überdosis „Herr der Ringe“? Oder ist das alles schon der Beginn des apokalyptischen Gefasels einer postprotestantischen Bußpredigersekte?
Sehr gut gelungen finde ich in dem Flugblatt die Darstellung der Gemeinsamkeiten des Hitlerschen Antisemitismus mit dem wildwuchernden Israel- und Judenhaß der Globalisierungsgegner. Aber: Auf welcher analytischen Grundlage kommt eigentlich ein Terminus wie „neuer globalisierter Faschismus“ zustande? Wenn damit mehr gemeint sein sollte, als dass - global betrachtet – immer mehr Staaten und Bewegungen mit antisemitischen Ambitionen auftreten: Ist das bereits eine faschistische Bewegung? Und: Kann sich Faschismus überhaupt globalisieren? Ist Faschismus international, oder meinetwegen auch global, mehr als eine Konglomeration von zumeist Todfeinden, deren Feindschaft durch den gemeinsamen Antisemitismus doch in keiner Weise gemindert wird. Eines der wichtigsten Staatsziele sowohl des Irak wie des Iran besteht in der Zerstörung Israels. Deswegen würden diese Staaten aber wohl kaum dem Gedanken zuneigen, ihre Feindschaft zu begraben und ein antiisraelisches Staatenbündnis eingehen. Alle Gruppierungen der afghanischen Bürgerkriege waren antisemitisch orientiert, das hinderte sie jedoch nicht am gegenseitigen Abschlachten. Und was ist mit den Demokratien und postfaschistischen Gesellschaften, die einen Faschismus nicht mehr nötig haben?
Hier endet der erste Teil. Der zweite wird sich mit der Demokratie, den USA und dem wahrscheinlichen Krieg gegen den Irak beschäftigen.
(September 2002)
Anmerkungen:
(1) Zumindest des nationalen Retters, auch wenn in einer „Richtungswahl“ (Schroiber), wie jüngst in Deutschland, zwischen den minimalprosaischen Alternativen „Aufwärts !“ (Stoiber) und „Weiter so!“ (Schröder) entschieden wird.
(2) MEW Bd. 1, S. 385
(3) Marx ebd.
(4) Das Verhältnis der Theorie, also des Wortes, zum gesellschaftlichen Zusammenhang ist, so scheint’s, stets in Gefahr sich einer romantischen Beziehung anzuverwandeln. Die Welt erscheint dann als ein mystisches Kontinuum, der Theoretiker wird zum Magier des Wortes und bewegt sich hart an der Grenze zum Irrewerden. „Schläft ein Lied in allen Dingen, / die da träumen fort und fort. / Und die Welt hebt an zu singen, / triffst du nur das Zauberwort“ dichtete 1835 der rückwärtsgewandte Romantiker Eichendorff. Knapp 90 Jahre später formuliert Johannes R. Becher die Omnipotenzvision des Fortschrittsromantiker als apokalyptisches Stahlgewitter: „Er rührte an den Schlaf der Welt / Mit Worten, die Blitze waren / ... / Er rührte an den Schlaf der Welt / Mit Worte, die wurden Gewehre. / Wurden Beile, Geschütze, / Barrikaden, Heere / ...“
(5) Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, Fischer-Taschenbuch 1975, S. 227 f. Hervorhebungen von mir, H.P.
(6) Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: derselbe, Allegorien kultureller Erfahrung. Ausgewählte Schriften 1920 – 1940, Leipzig 1984, S. 168
(7) Die behandelten Textstellen werden jeweils kapp mit Flugblatt und mit Erklärung ausgewiesen.
(8) Wer die Internationalen Brigaden bisher vor allem durch die nekrophile Propaganda-Lyrik eines Erich Weinert zur Kenntnis genommen haben sollte, dem sei die Lektüre des Romans „Das große Beispiel“ von Gustav Regler empfohlen. Regler, selbst Brigadist gewesen, schrieb das Buch während seiner Ablösung vom Parteikommunismus. (Auch danach blieb er ein Linker.) Er schildert darin nicht nur die grauenhaften Kämpfe gegen die Franco-Söldner, in denen die Brigaden dezimiert wurden, er beschreibt auch sehr eindrucksvoll deren internes Klima als eine absurde Komposition von quasireligiöser Inbrunst, Psychoterror, Intrigen und paranoiden Verdächtigungen. Jeder, der einige Zeit in der Linken verbracht hat, wird das Buch sehr glaubhaft finden. So gibt es darin z. B. eine Stelle, wo ein junger Brigadist die Leistung vollbringt, den ersten antitotalitären Roman der Literaturgeschichte – Dostojewskis „Dämonen“ – als Bestätigung seines Hasses gegen die „trotzkistisch-bucharinistische Verschwörung“ zu rezipieren.
(9) Originell ist diese Parole doch nur wegen des mysteriösen Substantivs „Fußbreit“. Man fragt sich: Heißt es nun „der Fußbreit“, was durch die Wahl des Wortes „keinen“ nahegelegt wird, oder heißt es „das Fußbreit“, denn in anderen Antifa-Texten steht oft „Kein Fußbreit“. Außerdem möchte man wissen, ob es auch die oder das Naselang, der oder das Bauchdick usw. gibt.
(10) Aber man spekuliert trotzdem gern. War es der Demokratische Zentralismus, das Fraktionsverbot, der Kriegskommunismus oder der „revolutionäre Massenterror“? Nein, es war wohl eher der Glaube an die historische Mission der Arbeiterklasse und die Entwicklung der Produktivkräfte. Auch der Terminus „Diktatur des Proletariats“ dürfte hängengeblieben sein. Aber ob der Schüler den Lehrer da richtig verstanden hat ...
(11) Der schon zitierte Walter Benjamin kritisierte die Sozialdemokratie u. a. wie folgt: „Sie gefiel sich darin, der Arbeiterklasse die Rolle einer Erlöserin künftiger Generationen zuzuspielen. Sie durchschnitt ihr damit die Sehne der besten Kraft. Die Klasse verlernte in dieser Schule gleich sehr den Haß wie den Opferwillen. Denn beide nähren sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Ideal der befreiten Enkel.“ (a. a. O., S. 163)
(12) Schön, wenn solche Attribute unfreiwillig dadaistische Sätze einleiten, die der Leserschaft eine veritable Nuß zu knacken aufgeben: „Verderbte Heldenmütter bekommen ihren Anteil zum Überleben und ihre Belobigung für die Aufopferung des Sohnes, anderen wird zugeteilt, was an den Sohn materiell und moralisch noch zu verfüttern ist, bis auch er erwachsen genug ist, sich ins Himmelreich und eine möglichst große Anzahl Juden in die Hölle zu bomben.“ (Erklärung) Schön auch, dass wenigstens die verbissensten unserer Gegner eine psychoanalytische Textinterpretation ihrerseits als Teufelswerk zu fürchten gewohnt sind.