Rede des französischen Staatspräsidenten
Die Welt ist aktuell in Aufruhr. Allgemeiner Lock Down. Gigantischer Drill. Etwa der französische Präsident führt seine Nation gegenwärtig in einen großen Krieg gegen einen Virus. Lassen wir ihn ein wenig zu Wort kommen, da er vielleicht einige Aspekte dieser Krisis etwas zu klären vermag:
Die internationale Ordnung ist stärker denn je ins Wanken geraten. Vor allem, wenn ich das so sagen darf, treten tiefgreifende Veränderungen zum ersten Mal in unserer Geschichte in nahezu allen Bereichen auf und nehmen historische Ausmaße an. Es ist vor allem eine geopolitische und strategische Neuordnung.
Da wäre zunächst China, aber auch die seit einigen Jahren von Russland, man muss das einfach so sagen, erfolgreich verfolgte Strategie. Schauen wir nach Indien, Russland und China. Sie sind heute stärker politisch geprägt als die Europäer. Sie betrachten die Welt wahrhaft logisch, philosophisch und visionär, wozu wir nicht mehr imstande sind. Und all das bringt uns ordentlich aus dem Konzept und veranlasst uns dazu, die Karten neu zu mischen, sogar mitunter Gesichtspunkte des solidarischen Handelns neuzudenken, von denen wir dachten, dass sie für immer unantastbar seien.
Europa war im Grunde als Amerikas Juniorpartner aufgebaut worden. Das steckte von Anfang an hinter dem Marshall Plan. Und das ging Hand in Hand mit wohlwollenden Vereinigten Staaten, die als ultimativer Garant eines Systems und des Gleichgewichts der Werte agierten. Aber ihre Position hat sich in den letzten 10 Jahren verschoben und nicht nur von der Trump-Verwaltung. Man muß das, was gerade geschieht bis tief in den amerikanische Politikgestaltung begreifen. Es ist die von Präsident Obama vorangestellte Idee: „Ich bin ein pazifischer Präsident“. Ich würde hinzufügen, dass wir an irgendeinem Punkt eine Bestandsaufnahme der NATO durchführen müssen. Meiner Ansicht nach erfahren wir gerade den Hirntod der NATO. Wir müssen klar sein.
Schließlich haben wir eine interne europäische Krise: eine wirtschaftliche, soziale, moralische und politische Krise, die vor 10 Jahren begann, wir erleben eine beispiellose Krise in der Marktwirtschaft. Kein einziges europäisches Land wurde davon verschont. So hat die Marktwirtschaft in unseren Volkswirtschaften zu Ungleichheiten geführt, die nicht mehr hinnehmbar sind. Frankreich hat dies in den letzten Monaten sehr genau zu spüren bekommen, aber schließlich erleben wir das weltweit seit Jahren. Und diese Marktwirtschaft erzeugt beispiellose Ungleichheiten, die unsere politische Ordnung ebenfalls tiefgreifend verändern. Zunächst einmal stellen sie die Legitimität dieser Wirtschaftsorganisation selbst in Frage. Wie sollen wir unseren Mitbürgern begreiflich machen, dass dies die richtige Organisationsform ist. Das alles hat zu einer außergewöhnliche Zerbrechlichkeit von Europa geführt, ein Europa, das sehr viel weniger einfach zu regieren ist, das, wenn es sich nicht als globale Macht denken kann, verschwinden wird, da es einen harten Schlag versetzt bekommen wird.
Also, alle diese Faktoren gegeben, glaube ich weder pessimistisch zu sein oder ein besonders düsteres Bild zu malen, wenn ich das sage. Ich sage nur, dass, wenn wir nicht aufwachen, dieser Situation ins Gesicht schauen und entscheiden, damit umzugehen, dass dann ein beträchtliches Risiko besteht, dass wir langfristig geopolitisch verschwinden oder wenigstens nicht länger unser Schicksal kontrollieren. Daran glaube ich sehr tief. Wenn wir diesen Weg weiterverfolgen und weiterhin zusehen, wie diese Welt zu werden droht und wie ich sie beschrieben habe, wird dieser europäische Humanismus verschwinden. Wir müssen die Kontrolle über unser Leben und unsere Nation zurückgewinnen. Darin liegt der Geist des Wiedererwachens und der Aufklärung. Darin liegt der Geist des französischen Humanismus begründet, den wir immer wieder vorangetrieben, den wir ins Leben gerufen haben und den wir nun wieder mit neuem Leben erfüllen müssen. Ich bin mir der Tragweite des von mir Gesagten bewusst und weiß, dass dies nicht von einem auf den anderen Tag gelingen wird. Aber ich weiß auch, dass eine solche Denkweise und ein solches Vorgehen auf französischer und europäischer Ebene notwendig sind, ansonsten gehen wir unter. In einer in starkem Wandel begriffenen Welt die Kontrolle über unser Schicksal zurückzugewinnen, unserem Volk einen Teil der Kontrolle zurückzugeben, den wir ihm schuldig sind, und diesem Projekt der europäischen Zivilisation, das wir einst begründet haben, neues Leben einzuhauchen. In politischer, strategischer und kultureller Hinsicht sowie in Bezug auf unsere Denkweise. In Europa besitzt derzeit niemand diese Vitalität und niemand hat eine solche strategische und menschliche Reinvestition beschlossen. Und das ist wichtig, um mitzugestalten.
Also denke ich, das erste was man tun muß, ist, die militärische Souveränität wieder zu erlangen. Ich sehe auch die Angelegenheit der Technik für wesentlich an. Künstliche Intelligenz, Daten, digitale Technologien und 5G, alle formen der Technologien, die sowohl zivil wie militärisch sind. Alle sagen: „Das schaffen wir nie.“ Es ist sehr hart, aber wir machen Fortschritte, es ist möglich.
Hugh, er hat gesprochen. Beziehungsweise Quod erat demonstrandum – zumindest nunmehr in ersten großen Schritten. Die Zukunft wird zeigen, ob Europa bei diesem Rennen der Hase oder der Igel sein wird. Alle teilnehmenden Viecher werden jedoch auf der Strecke einiges auffressen oder vollkacken.
Die Zitate irgendwie zusammengeschnitten aus einer Rede des französischen Staatspräsidenten bei der Botschafterkonferenz 2019 am 27. August 2019 und einem Interview mit The Economist am 7. November 2019. (Javascript ausschalten)
9.4.2020