Über einige Besonderheiten des jüdischen Staates
Redebeitrag, gehalten auf der Kundgebung gegen die antizionistische Konferenz in Köln am 5. Juni 2004
Auf einer Konferenz, die den Bau eines Zaunes zum Titel hat, werden vielerlei Banalitäten ausgeplaudert: Dass es sich bei einem Zaun beispielsweise um einen „Trennungszaun“ handelt. Als läge es nicht in der Natur eines Zaunes, etwas vom anderen zu trennen. Die Konferenz behandelt nun nicht den Bau irgendeines Zaunes – schließlich findet dort nicht die internationale Konferenz der Schrebergärtner und Laubenpieper statt -, sondern sie handelt von einem gar schrecklichen Zaun, der neben allerlei anderen Bösartigkeiten, doch so besonders ins Spießbürgerbewusstsein dringt, weil er den unverdienten Titel die Mauer trägt. Warum das Wort die Mauer im Deutschen so eine besondere Bedeutung hat, brauche ich wohl nicht weiter zu erklären und ich werde dieses Wort auch nicht weiter verwenden, sondern schlicht und zutreffend vom Zaun sprechen und die Mauer nur in Erinnerung an kaum bessere, aber weniger aufrührende Zeiten halten. Dass es sich bei diesem Zaun zwar um einen etwas besonderen handelt, gerade diese Besonderheit aber eine Banalität darstellt, die oft in Vergessenheit gerät, darüber will ich im Folgenden sprechen.
Gebaut wird dieser Zaun vom Staat Israel, um seine Bürger vor kaltblütigen Judenmördern zu schützen. Den Verlauf bestimmt Israel nahezu eigenmächtig, da sich auf der anderen Seite kein ernsthafter Verhandlungs- beziehungsweise Kooperationspartner für den Zweck dieser bescheidenen Maßnahme findet. Dass es sich um einen vorläufigen Grenzzaun handelt, ist ebenso offensichtlich wie banal. Jeder Staat steckt im Laufe seines Gründungsprozesses das Territorium ab, innerhalb dessen er sich als Souverän setzt. Der Staat Israel wurde vor über 56 Jahren gegründet, doch ist dieser Gründungsprozess bis heute nicht abgeschlossen, da die Grenzen des israelischen Staatsgebiets nicht eindeutig bestimmt und anerkannt sind. Der Zaun dient dazu, die Grenzziehung gegen die palästinensischen Banden in der Westbank voran zu bringen.
Trotzdem scheinen diese Banalitäten einen Hass herauf zu beschwören, der mehr über die Hassenden aussagt, als über ihr Objekt. Von den zahlreichen Dingen, die an diesem Zaun gehasst und einhergehend so erzählt werden, fällt das der angeblich endgültigen Grenzziehung besonders auf. Selbst Laubenpieper wissen, dass es bei Zäunen auch immer irgendwie um Herrschaft geht. Wem ein irgendwie zur Erklärung seiner trüben Weltsicht allerdings ausreicht, der ist auf der Konferenz besser aufgehoben, allen anderen ist ein kurzer Blick in die Geschichte zu empfehlen:
Bürgerliche Staaten in Europa beriefen sich bei ihrer Entstehung auf eine meist lange Tradition der Herrschaft, die bestimmt wurde durch die Besonderheit der Landschaft, der Sprache oder dem besonderen Hautausschlag, Verzeihung Menschenschlag, der sich auf dem Herrschaftsgebiet befand. Staatsvolk und Staatsgebiet waren also mehr oder weniger bestimmt durch die vorhergehende feudale Herrschaft und mussten nur in der Verfassung festgeschrieben werden. Die Verbrechen der ursprünglichen Akkumulation hatten die absolutistischen Regime weitgehend verübt; die auf den weißen Westen der neuen Herrschaft sich befindenden roten Sprenkler konnten leicht mit der notwendigen Gewalt des Umsturzes des jeweiligen ancien regime erklärt werden. Aufgrund dieser Vorarbeit des Feudalismus fiel es der bürgerlichen Staatlichkeit leicht, die Gewalt, auf der sie beruht, hinter der rechtlichen Legitimation einer Staatsverfassung zu verstecken. In Krisenzeiten allerdings tritt hinter diesem Schein die notwendige Gewalt als direkte Staatsgewalt wieder hervor. Das fundamentale Problem der Staatstheoretiker, dass bürgerliche Staatlichkeit sich mit Gewalt setzen muss, diese aber nicht durch Recht legitimieren kann, da das Recht erst durch die Gewalt in Kraft gesetzt wird, stellte sich in der praktischen Umsetzung also nicht.
Beim Staat Israel verhält es sich da etwas anders. Hier konstituierte sich die Gemeinsamkeit der späteren Staatsbürger nicht aus ideologischen Puzzleteilen, die in der Historie oder Kultur gefunden werden konnten, sondern wesentlich aus der Verfolgung und dem Ausschluss aus den bürgerlichen Gesellschaften Europas. Sein Staatsvolk war schon vor der Gründung dadurch bestimmt, dass Juden die rechtliche Gleichstellung als Staatsbürger und/oder die gesellschaftliche Anerkennung verwehrt wurde. Die Aufklärung und die damit verbundene Emanzipation der Juden zu gleichen Staatsbürgern war gescheitert, denn auch wenn Juden gleiche Rechte zugestanden wurden, so erstarkte der Antisemitismus doch gerade auf dieser Grundlage erneut. Die Assimilation bot keinen Ausweg.
Hierauf reagierte Herzl mit seinem Entwurf eines jüdischen Staates in dem er die Konsequenz aus der Jahrhunderte alten Ausgrenzung zog. Er stellt die bewusste Reaktion auf die allen Juden aufgezwungene Notlage dar. Herzls Blick auf das Problem Antisemitismus war nicht getrübt von ängstlichen Hoffnungen, der Antisemit möge doch noch aufklärbar sein oder würde durch Assimilation den gesellschaftlichen Rückhalt verlieren, sondern bricht gerade mit dieser schüchternen, passiven Haltung. Er fasste den Antisemitismus nicht als ein privates oder regionales Problem auf, als eines, mit dem sich jeder Einzelne oder jede einzelne Gemeinde auseinander zu setzen habe, sondern machte ihn zu einer „Weltfrage“, die nur von vielen Juden kollektiv zu beantworten sei. Weil er das Problem auf diese Ebene hob, konnte er als Lösung von jüdischer Seite die Gründung eines eigenen Staates fordern. Damit eröffnete Herzl die emanzipative Perspektive des Zionismus: Den Unwillen sich mit der Welt so abzufinden wie sie ist und auf der bewussten Selbstverteidigung gegenüber ihr zu bestehen. Nur mit diesem Bewusstsein konnte das zionistische Projekt geschichtsmächtig werden.
Als einzigen Anhaltspunkt für den Staat, den Herzl aus dem Nichts erschaffen wollte, hatte er die Notlage der Juden in Europa, Asien und der Neuen Welt. Er konnte sich weder auf die üblichen irrationalen Legitimationen von Blut und Boden, Geschichte und Kultur, nicht auf Traditionen von Herrschaft und Volk berufen, noch konnte er die Einheit des künftigen Staatsvolkes aus der Synthesis einer Ökonomie gewinnen. Dies musste Herzl sich eingestehen und er versuchte zunächst gar nicht, ein legitimierendes Band aus Sprache, Boden oder Kultur zu knüpfen, sondern entwarf auf dem Reißbrett die Society of Jews als vorweggenommenen staatlichen Souverän, als Synthese von Recht und Gewalt. Die Akzeptanz dieses Souveräns und die Unterwerfung unter ihn sollte sich bewusst in der Beteiligung am zionistischen Projekt äußern. Bei dem Versuch, den Souverän mit rationalen Argumenten zu begründen, verstrickt er sich wie jeder Staatstheoretiker in Widersprüche. Doch Herzl gesteht das Paradox bürgerlicher Staatlichkeit ein, wenn er schreibt, der Auftrag des Staates sei „von einer höheren Notwendigkeit erteilt“. Diese „höhere Notwendigkeit“ stellt bei anderen Staaten Gott, der besondere Charakter des Volkes oder ein anderer Humbug dar. Im Fall des jüdischen Staates ist die höhere Notwendigkeit aber eine gesellschaftlich bedingte, nämlich die Notwendigkeit für Juden, sich organisiert gegen den antisemitischen Hass zu verteidigen.
Die selbstbewusste Gründung und dass er als einziger Staat einen vernünftigen Grund für seine Existenz besitzt, macht die Besonderheit des Staates Israel aus. So kann der israelische Patriotismus einen Schein von Wahrheit für sich reklamieren und es finden sich für Israelis vernünftige Gründe ihr Land patriotisch zu verteidigen. Dies macht sie bei den Bewohnern anderer Staaten so verhasst, die allenfalls Idioten, aber keine Patrioten sein können.
Sowie jede Staatsgründung nur mit Gewalt möglich ist, so ist auch Gewalt notwendig bei der Umsetzung von Herzls Staatsentwurf. Ebenso spielten bei der Konkretion von Herzls abstrakt geplantem Staat Fragen nach Amtssprache und Staatskultur eine wichtige Rolle, die aber erst ausgefochten werden mussten und nicht quasi-ontologisch vorgegeben waren. Das moderne Hebräisch musste neu entwickelt werden, nationale Mythen in Massada oder anderswo mussten nach Jahrtausenden ausgegraben werden. Solch lächerlicher Klimbim kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat nicht aus dem Erdboden gewachsen ist. Kein Staat kann offenbar ohne kulturelle und historische Mythen zu seiner Rechtfertigung, ohne das notwendig falsche Bewusstsein auskommen.
Da der Staat Israel von vielen Seiten bedroht wird und er nur mit militärischer Gewalt erhalten werden kann, fällt es Israel schwer, den bürgerlichen Schein zu erzeugen, er wäre nicht auf Gewalt, sondern auf Recht gegründet. Dieser Zustand der permanenten Verteidigung während des Gründungsprozesses drängt dazu, abgeschlossen zu werden, kann aber angesichts des Antisemitismus vorläufig nicht beendet werden. Die schwere Bewaffnung Israels ist der Versuch, die Anerkennung endlich zu erzwingen und den Zustand der permanenten Verteidigung zum Abschluss zu bringen. Doch selbst die Atombombe war offensichtlich als Abschreckung nicht tauglich, um den Frieden zu erzwingen, da die Feinde Israels – wirkliche oder potentielle Selbstmörder – kaum am eigenen Selbsterhalt interessiert sind und daher durch Abschreckung allein nicht in Schach gehalten werden können. Postzionisten wie Zuckermann wollen die Beendigung dieses Zustandes, um wie normale Bürger in einem normalen Staat in Frieden mit ihren Nachbarn zu leben. Sie können diese Normalisierung allerdings nur auf Kosten des völligen Realitätsverlusts zum Programm machen, nämlich dem Bestreiten der vernichtungswütigen Bedrohung Israels.
Die abstrakte Bestimmung darüber, wer israelischer Staatsbürger ist und werden kann, vernachlässigt Sprache und Herkunft und dementiert daher die Mär von ethnisch-kulturellen Gemeinschaften und kratzt am falschen Schein der zur zweiten Natur geronnenen Gesellschaft. Antizionisten hassen an Israel die Erinnerung an ihre eigenen Lügen, die sie zur Legitimation der Herrschaft benötigen, um sich in einer wahnhaften Welt nicht verrückt machen zu lassen. Die offensichtliche Setzung und bewusste Gründung Israels dementiert die Mythen von angeblich naturwüchsigen Staaten. Die nahezu permanente Gewalt, die für Israels Erhalt notwendig ist, erinnert daran, dass staatliche Macht letztlich immer auf Gewalt und nicht auf Recht gründet. Das antisemitische Ressentiment gegen Israel, als angeblich künstliche Ausnahme unter den Staaten, dient zur Ablenkung von der „Künstlichkeit“ der eigenen Staatlichkeit und dazu sie als naturwüchsig zu verklären.
Die selbstbewusste Reaktion der Zionisten auf den Antisemitismus und die Gründung eines wehrhaften Staates verweist gerade in all seiner Beschränktheit und Bedrohtheit darauf, dass Menschen die Möglichkeit haben, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen und Geschichte zu machen. Der antisemitische Hass darauf ist auch der Hass auf Befreiung, auf die wirklich geschichtliche Tat, mit der sich die Menschheit bewusst von den Zwängen der zweiten Natur befreit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.