A man will give up almost everything except his suffering
Referat bei der Veranstaltung zum Konspirationistischen Manifest im Jockel am 2. Juni aus. Weitere Zettel, Referate, Bericht und Kommentar rund um diese Veranstaltung gibt es hier.
Als ich neulich, nach einem Gespräch im Laidak, im Netz nach einem bestimmen John Cleese-Zitat suchte, fand ich stattdessen ein anderes. Es lautet so: „A man will give up almost everything except his suffering.“ Ich halte diesen Satz – wie viele Aussagen von John Cleese – für absolut wahr und scharfsinnig beobachtet. Er variiert den von Freud festgestellten Wiederholungszwang – den Zwang, Unlustvolles zu wiederholen –, dessen Entdeckung Freud zu einer radikalen Überarbeitung seiner Theorie vom Lustprinzip führte.
Wer es gelesen hat, weiß, dass das „Konspirationistische Manifest“ einen ganz anderen Ton anschlägt. Beispielsweise heißt es am Ende, dass Revolutionen nie aus einem konstruktiven Plan für die Zukunft hervorgehen, sondern dass sie mit einer erstickend gewordenen Existenzform Schluss machen wollen (S. 193). Was aber, wenn die Menschen gerade das, was ihnen die Luft abschneidet, behalten möchten, vehement verteidigen, moralisch richtig finden und daher anderen aufoktroyieren? Wer an den Maskenfetisch der letzten Jahre denkt, kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob eine erstickende Existenzform nicht als die beste aller möglichen Welten erlebt wurde.
Man könnte sagen, dass die Autoren des Konspirationistischen Manifests die Hoffnung auf einen Sieg des Lustprinzips noch nicht aufgegeben haben. Irgendwo unter den ideologischen Zurichtungen nehmen sie etwas an, das sie Leben oder sogar Seele nennen und das Verbindungen mit anderen Menschen, der Welt, ja sogar dem Kosmos ermöglicht. Irgend eine noch nicht ganz auf Algorithmen reduzierte Widerständigkeit.
Hier gibt es die größte Nähe zum Kommenden Aufstand, dem 2007 auf französisch erschienenen Buch des Unsichtbaren Komitees. Auch darin war die Rede von Freundschaft und Verbindung jenseits der im schlechten Sinne gesellschaftlichen Vermittlungen, von einem momenthaften Aufscheinen von Menschlichkeit, von Verbindung und Verbündetsein in der radikalen Opposition gegen den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. Als der Kommende Aufstand 2009 in deutscher Übersetzung erschien, fand ich es ein gutes Buch – aber die Unmittelbarkeitsgeschichte fand ich blöd. Und die Begeisterung mancher Freunde und Genossen darüber auch. Blöd, weil utopistisch und etwas kindisch.
Wenn mir diese Überzeugung von einer möglichen Verbindung abseits der gesellschaftlichen Vermittlung heute im Konspirationistischen Manifest wieder begegnet, finde ich sie nicht mehr blöd, ich bin froh, dass es da steht. Und ich habe länger überlegt, warum. Nach wie vor glaube ich, dass sich die Ketten des Sozialen nicht insurrektionalistisch sprengen lassen; und zwar nicht wegen einer Art totalem Verblendungszusammenhang, sondern weil wir – wieder im Sinne Freuds – nicht Herr im eigenen Hause sind. Aber im Zusammenhang mit diesen mühseligen Widersprüchen, die wir in uns herumtragen und die ökonomisch und politisch ausgebeutet werden können, glaube ich jetzt, dass es wichtig ist, die Gewissheit, zu formulieren, dass wir das am Ende siegreiche Leben sind (S. 203). Weil es heute vielleicht weniger darauf ankommt, wer stringenter argumentieren kann, wer Marx, Adorno oder sogar Freud richtig verstanden und auf seiner Seite hat, sondern darauf, dass gute Argumente in einer in Virtual Realities abdriftenden Welt nichts ausrichten können, ja, mehr noch, dass gute Argumente keinerlei Folgen dafür haben, was Menschen tun – und das trifft sogar auf das Handeln derjenigen zu, die die Argumente vorbringen. Die Gewissheit, dass wir das am Ende siegreiche Leben sind, ist, glaube ich, von keiner Theorie gedeckt. Dafür kann sie potenziell Menschen verbinden, die sich nicht am Studiertisch treffen, sondern in einem gemeinsamen Aufbegehren. Denn während der Pandemiemaßnahmenzeit habe ich begriffen, dass mich nachts in der U7 mehr mit einem siebzehnjährigen Türken verbunden hat als tagsüber in der S1 mit Leuten aus der Uni. Im Manifest wird irgendwo ein Pariser Graffity von 2018 wiedergegeben: „Schön wie ein unreiner Aufstand“. So in diesem Sinne meine ich das.
Das wären meine fifty cents zum Buch. Allerdings ist damit etwas Wichtiges nicht gesagt: Es ist bis an den Rand vollgestopft mit Klugheit, historischem Wissen und Stil. Wenn ihr es noch nicht gelesen habt, dann macht es noch.