Chronologie: 19.-20. Jahrhundert.
19. Jahrhundert: Ab 1860 erscheint eine wachsende, aus vielen unterschiedlichen Richtungen bestehende anarchistische Bewegung in Griechenland. Sie beinhaltet Anarcho-Syndikalisten, Anarcho-Kommunisten, Individualisten und christliche Anarchisten und betreibt hauptsächlich Publizistik, kulturelle Arbeiten und die Gründung revolutionärer Organisationen. Sie nimmt aktiven Anteil an den Kämpfen der Arbeiter und Bauern.
Frühes 20. Jahrhundert: Anarchisten bilden aktive Gruppen in jeder griechischen Stadt und spielen in mehreren Kämpfen eine wichtige Rolle. Vor allem dem anarchistischen Bauern und Volkshelden Marinos Antypas wird zugute gehalten, die Kämpfe für die Befreiung der griechischen Bauern vom nach-osmanischen Feudalismus angeführt zu haben. 1913 meuchelt der Anarchist Alexandros Schinas erfolgreich den griechischen König George I in Thessaloniki. Er wird verhaftet und gefoltert, weigert sich aber aber, auch nur einen Namen preiszugeben, und wird anschließend von der Polizei ermordet.
1920er und 1930er: Griechische Anarchosyndikalisten beteiligen sich an vielen Arbeiterkämpfen und wilden Streiks. Sie arbeiten dabei mit den Kommunisten zusammen, deren Killerkommandos einige einflußreiche Anarchisten ermordeten.
1936-1944: Zunächst unter der Metaxa-Diktatur (1936-1940) und später unter den Nazis werden viele Anarchisten und andere Linke getötet oder in Konzentrationslager gesperrt. Schließlich können die durch schwerwiegende Niederlagen in anderen Abschnitten an der Ostfront geschwächten Nazis durch eine starke Guerillabewegung vertrieben werden. Das Land befreit sich in der Hauptsache selbst, noch bevor die Briten ankommen. Ohne Wissen des griechischen Volks trafen Stalin und Churchill ein Abkommen, daß Griechenland der britischen Einflußsphäre zuteilte.
Dezember 1944-1949: Bewaffnete Gruppen und das Fußvolk der Kommunistischen Partei beginnen einen Aufstand, der in einem langen Bürgerkrieg mündet. Von Anfang an werden Anarchisten, Trotzkisten, Dissidenten und andere politische Gegner von kommunistischen Killerkommandos liquidiert.
1950-1967: Nachdem die Rechten mit Unterstützung durch die Briten und den CIA den Bürgerkrieg gewonnen haben, wird Griechenland fast zwei Jahrzehnte durch eine konstitutionelle Monarchie regiert. Sozialisten, Anarchisten und andere werden unterdrückt, verfolgt und ins Exil gezwungen. Der Anarchismus überlebt in dieser Zeit durch die Aktivität weniger im Ausland oder in den Strafkolonien auf den Inseln lebenden Schriftsteller und Dichter.
1967-1974: Während die griechische Jugend sich radikalisiert und anfängt, gegen die Regierung und die konservative Kultur zu opponieren, putscht sich das Militär an die Macht. Es regiert fast ein Jahrzehnt in Form einer Junta. Trotz der Repression wächst der Widerstand gegen das Regime weiter an.
1971: Christos Konstantinidis gründet die Diethnis Vivliothiki (Internationale Bibliothek), ein Verlagskollektiv, das Übersetzungen klassischer anarchistischer sowie situationistischer Texte ebenso veröffentlicht wie zeitgenössische Arbeiten der Gegenkultur und Anarchisten. Er und seine Genossen helfen dabei, den am 14. November beginnenden Studentenaufstand aufzuwiegeln und zu radikalisieren. Die ersten Tage des Aufstands schmücken ihre Transparente: „Nieder mit dem Staat, Nieder mit dem Kapital, Nieder mit der Autorität!“ die Eingangstore des Polytechnikums, bis die Kommunisten sie abnehmen.
17. November 1973: Der Staat antwortet auf einen Aufstand der Universitätsstudenten, indem er Panzer ins Polytechnikum schickt und wenigstens 22 Menschen tötet. Einige Monate später greift die Türkei Zypern an und besetzt die Insel teilweise. Unter dem massierten Druck dieses doppelten Unheils überträgt die Diktatur die Macht an eine demokratische Regierung. Der 17. November wird für immer im Bewußtsein der Bevölkerung als ein Symbol des Kampfes eingraviert sein. Jedes Jahr wird diesem Tag durch Großdemonstrationen gedacht.
1976: Ein politisch aktiver Grieche kehrt aus London zurück, beginnt einflußreiche libertäre Texte zu übersetzen und zu verlegen und gründet den anarchistischen Verlag Eleftheros Typos (Freie Presse). Gleichzeitig adaptieren die von den Linken zurückgewiesenen Rock-, Hippie- und Freak-Gegenkulturen anarchistische Merkmale. Sie sind bei der Umwandlung von Vierteln wie Plaka (rund um die Akropolis) und dann Exarchia in autonome Zonen genauso einflußreich wie bei der Ausweitung von anarchistischen Freiräumen.
Oktober 1977: Eine Zelle der Revolutionären Volkskampfs (ELA) wird in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt, als sie – als Antwort auf die Ermordung der RAF-Führung durch den deutschen Staat – eine Bombe vor einer Fabrik der deutschen Firma AEG legen wollte. Christos Kassimis wird dabei getötet.
1979: Eine gewaltige, von Anarchisten und Linken stark beeinflußte Studentenbewegung besetzt die Universitäten in allen größeren Städten.
Oktober 1981: Die Sozialistische Partei (PASOK) kommt an die Macht. Dies führt zu einer Institutionalisierung eines großen Teils der Linken.
Frühe 80er: Eine neue Generation bringt die Punk-Gegenkultur hervor. Sie übernimmt viele gewalttätige Formen der Praxis, popularisiert den Gebrauch von Molotowcocktails und die Konfrontationen mit der Polizei. Sie werden von den Linken als Provokateure denunziert.
Dezember 1984: Es könnte der erste griechische Schwarze Block gewesen sein: Tausende Anarchisten greifen das Hotel Caravel in Athen an und erzwingen den Abbruch einer Konferenz der extremen Rechten, die solche Reaktionäre wie Le Pen aus Frankreich angelockt hatte.
15. Mai 1985: Bei dem Versuch, ein Auto für eine Aktion zu klauen, wird Christos Tsoutsouvis, ein ehemaliges Mitglied von Epanastatikos Laikos Agonas (ELA), in einen Schußwechsel mit der Athener Polizei verwickelt. Er tötet drei Bullen und wird selbst erschossen. Ihm zu Ehren gibt es in den folgenden Tagen in verschiedenen Städten Griechenlands massive Unruhen.
17. November 1985: Während der Straßenschlachten mit Anarchisten nach der jährlichen 17.-November-Demonstration schießt die Polizei dem fünfzehnjährigen Michalis Kaltezas tödlich in den Hinterkopf. Dies wird mit großen Ausschreitungen beantwortet.
1986: Eine griechenlandweite Konferenz versucht, alle anarchistischen Strömungen zu vereinigen. Es klappt allerdings nicht und die Bemühungen erzeugen große Kontroversen unter anderen Anarchisten. Das anarchistische Lager in Griechenland bleibt zersplittert. Im Folgejahr gründen diejenigen, die noch mit diesem Projekt übereinstimmen, darunter zahlreiche sehr verschiedene Gruppen des ganzen Landes die Anarchistische Vereinigung.
1. Oktober 1987: Michalis Prekas wehrt sich gegen eine Hausdurchsuchung während einer Antiterror-Ermittlung und wird getötet. Wie üblich kommt es zu großen Ausschreitungen.
15. April 1988: Anarchisten beginnen die Besetzung von Lelas Karagiani in Athen. Sie ist Ort vieler Diskussionen, Filmvorführungen, Konzerte und anderer Events, muß gegen mehrere faschistische Angriffe verteidigt werden und besteht auch noch im Jahr 2010.
2. März 1990: Anarchisten aus Athen besetzen die Villa Amalias, ein Punk- und Hardcorezentrum, das 2010 noch besteht.
Winter 1991: Eine Massenbewegung der Schüler besetzt 1.500 Schulen und alle bedeutenden Universitäten. Sie mobilisiert Hunderttausende auf die Straße und kann erfolgreich die Privatisierung der Universitäten durch die rechtsgerichtete Regierung verhindern. Es sollten Outsourcing-Verträge mit privaten Unternehmen getroffen und die Verfassung dergestalt geändert werden, daß fortan private Universitäten erlaubt wären. Vor der von ihm und seinen Schülern verteidigten, besetzen Schule in Patras tötet die Polizei den Lehrer und radikalen Linken, Nikos Temponeras. Dies führt zu zwei Tagen Unruhen in Athen.
November 1995: Aus Solidarität mit einem Gefängnis-Hungerstreik besetzen Anarchisten und Jugendliche das Polytechnikum. Die Polizei stürmt den Campus und verhaftet 500 Menschen.
Juli 1996: In Piräus wird unter rätselhaften Umständen der Anarchist Christoforos umgebracht.
Keine der Chronologien dieses Buches umfaßt auch nur den zehnten Teil der wichtigsten Geschehnisse und Ereignisse. Es soll dem Leser nur eine Idee von der Entwicklung und der Art der Ereignisse gegeben werden, nicht aber von deren Ausmaß und Häufigkeit…