Wir sind hier / Wir sind überall / Wir sind ein Eindruck aus der Zukunft
Wenn ich nicht brenne
Wenn du nicht brennst
Wenn wir nicht brennen
Wie soll Dunkelheit zu Licht werden?
Nazim Hikmet: „Wie Kerem“
Vor Angst knirschen die Hunde mit den Zähnen und heulen: „Zurück zur Normalität – Die närrischen Tage sind vorbei!“ Die Philologen der Assimilation haben schon angefangen, ihre rasierklingenscharfen Schmeicheleien auszugraben: „Wir sind bereit, zu vergessen, zu verstehen, euch die Ausschweifungen der letzten Tage nachzusehen, aber jetzt benehmt euch, oder wir müssen unsere Soziologen, unsere Anthropologen und unsere Psychiater holen! Wie gute Väter haben wir euren emotionalen Ausbruch zurückhaltend toleriert – jetzt seht euch an, wie eure Schreibtische, Büros und Schaufenster leerstehen. Es ist Zeit, dorthin zurückzukehren, und wer sich dieser heiligen Pflicht verweigert, den werden wir uns vorknöpfen, der wird soziologisiert und psychiatrisiert“. Ein Appell schwebt über der Stadt: „Bist du auf deinem Posten?“ Demokratie, soziale Harmonie, nationale Einheit und all die anderen großen Seuchenherde strecken schon ihre widerlichen Arme aus und verbreiten Todesgestank.
Die Macht (von der Regierung bis zur Familie) zielt nicht einfach darauf, den Aufstand und seine Ausbreitung zu unterdrücken, sondern darauf, eine Beziehung der Subjektifizierung zu erzeugen. Eine Beziehung, die das bios, das politische Leben, als eine Sphäre von Kooperation, Kompromiss und Konsens definiert. „Politik ist die Politik des Konsenses; der Rest ist Bandenkrieg, Randale, Chaos“. Dies ist eine genaue Übersetzung dessen, was sie uns sagen, ihres Versuchs, den lebendigen Kern jeder Aktion zu verneinen und uns von dem zu trennen, was wir tun können: nicht beides zu vereinen, sondern es wieder und wieder zu spalten. Die Statthalter der Harmonie, die Barone von Ruhe und Frieden, von Gesetz und Ordnung, sie rufen uns dazu auf, dialektisch zu werden. Aber ihre Tricks sind uralt, und ihre Misere wird sichtbar an den fetten Bäuchen der Gewerkschaftsbosse, an den glasigen Augen der Vermittler, die wie Geier über jeder Negation lauern, über jeder Leidenschaft für das Echte. Wir haben sie im Mai gesehen, wir haben sie in LA und Brixton gesehen, und wir haben ihnen jahrzehntelang dabei zugesehen, wie sie die seit langem weißen Knochen des Polytechnikums von 1973 leckten. Wir haben sie gestern wieder gesehen, wie sie, statt zu einem unbefristeten Generalstreik aufzurufen, sich vor der Legalität beugten und die Streikdemonstration absagten. Weil sie alle zu gut wissen, daß der Weg zu einer Ausweitung des Aufstands über die Produktion führt – über die Okkupation der Produktionsmittel dieser Welt, die uns zernichtet.
Morgen beginnt ein neuer Tag, an dem nichts sicher ist. Und was könnte befreiender sein nach so vielen langen Jahren der Sicherheit? Ein Schuss konnte die brutale Abfolge all dieser identischen Tage unterbrechen. Die Ermordung eines fünfzehnjährigen Jungen hat einen Bruch verursacht, der groß genug ist, um diese Welt auf den Kopf zu stellen. Einen Bruch in dem gewohnten Ablauf, immer noch einen Tag zu ertragen. Endlich wurde der Punkt erreicht, an dem nun so viele zur selben Zeit denken: „Genug! Keinen Schritt weiter; alles muss sich ändern, und wir werden es ändern“. Die Rache für den Tod von Alexis wurde zur Rache für jeden Tag, an dem wir gezwungen sind, in dieser Welt aufzuwachen. Und was so schwer schien, erweist sich als so einfach.
Das ist es, was geschehen ist, was wir erreicht haben. Wenn wir vor etwas Angst haben, dann vor der Rückkehr zur Normalität. Denn in den zerstörten und geplünderten Straßen unserer Städte des Lichts sehen wir nicht nur die offensichtlichen Resultate unserer Wut, sondern die Möglichkeit, zu leben anzufangen. Wir haben nichts weiter zu tun als uns in dieser Möglichkeit einzurichten und sie in eine lebendige Erfahrung umzuwandeln: indem wir auf dem Feld des alltäglichen Lebens aufbauen, auf unserer Kreativität, auf unserer Kraft, unsere Bedürfnisse gegenständlich werden zu lassen, unserer Macht, nicht länger über die Wirklichkeit nachzudenken, sondern sie zu erschaffen. Dies ist unser Raum zum Leben. Alles andere ist Tod.
Die, die verstehen wollen, werden verstehen. Jetzt ist es Zeit, die unsichtbaren Zellen zu zerbrechen, die jede und jeden an ihr armseliges kleines Leben fesseln. Und dazu muss man nicht allein oder zwingend Polizeistationen angreifen und Einkaufszentren und Banken niederbrennen. Sobald ein Einzelner von seinem Sofa aufsteht, die passive Betrachtung seines eigenen Lebens hinter sich lässt und auf die Straße geht, um zu reden und zuzuhören; sobald er oder sie alles Private zurücklasst, dieser Moment bringt in das Feld der sozialen Beziehungen die destabilisierende Kraft einer Atombombe ein. Und das ist genau aus dem Grund so, weil die (bisherige) Fixierung des Einzelnen auf seinen Mikrokosmos an die Kräfte gebunden ist, die das Atom auf seiner Bahn halten. Jene Kräfte, die die (kapitalistische) Welt in Gang halten. Dies ist das Dilemma, für die Aufständischen und für die Vereinzelten. Und dies ist eine der wirklich seltenen Situationen, in dem ein Dilemma gleichzeitig so absolut und real sein kann.
Up against the wall, motherfuckers!
Wir holen uns, was uns gehört!
In diesen Tagen der Wut ist das Spektakel als eine Beziehung der Macht, als Beziehung, die Objekten und Körpern Erinnerungen einprägt, mit einer diffusen Gegenmacht konfrontiert, die Eindrücke entterritorialisiert und ihnen erlaubt, sich von der Tyrannei des Bildes zu entfernen und in das Feld der Sinne einzutreten. Sinneseindrücke werden immer antagonistisch wahrgenommen (sie wirken immer gegen irgend einen Widerstand) – aber unter den aktuellen Bedingungen werden sie zu einer zunehmend akuten und radikalen Polarisierung getrieben.
Auf die angeblich friedfertigen Karikaturen der bürgerlichen Medien („Gewalt ist unakzeptabel, immer und überall“) können wir nur antworten: Ihre Herrschaft, die Herrschaft der sanften Gemüter und des Konsenses, des Dialogs und der Harmonie ist nichts als ein wohlkalkuliertes gefälliges Lächeln inmitten von Unmenschlichkeit, das Versprechen eines Blutbads. Das demokratische System mit seiner friedfertigen Fassade bringt nur darum nicht jeden Tag einen Alexis um, weil es jeden Tag tausende Ahmeds, Fatimas, Jorges, Jin Tiaos und Benajirs umbringt: Weil es systematisch, strukturell und ohne Gnade die gesamte Dritte Welt ermordet, das globale Proletariat. Auf genau diese Art, durch dieses stumme, tägliche Gemetzel, wird die Idee der Freiheit geboren: Freiheit weder als ein angeblich allgemeines Gut der Menschheit, noch als ein Naturrecht aller, sondern als Schlachtruf der Verdammten, als Voraussetzung zum Bürgerkrieg.
Die Geschichte der Rechtsordnung und der Bourgeoisie als Klasse wäscht unser Gehirn mit einem Bild des ständigen, kontinuierlichen Fortschritts der Menschheit, in dem Gewalt als eine bedauerliche Ausnahme erscheint, deren Ursache bei den ökonomisch, emotional und kulturell Unterentwickelten liegt. Aber wir alle, die zwischen Schultisch, Büro und Fabrik eingequetscht wurden, wissen nur zu gut, daß Geschichte nichts weiter ist als eine Abfolge barbarischer Akte, die auf ein krankes System von Regeln gebaut sind. Die Kardinäle der Normalität flennen um das Gesetz, das von der Kugel des Schweins Korkoneas (dem Mörderbullen) verletzt wurde. Aber wer weiß nicht, daß die Gewalt des Gesetzes nichts weiter ist als die Gewalt der Mächtigen? Daß das Gesetz selbst es erlaubt, auf Gewalt hin Gewalt auszuüben? Das Gesetz ist leer von einem bitteren Ende zum anderen; es trägt keine Bedeutung, es hat kein anderes Ziel als die verschlüsselte Gewalt des Zwangs.
Gleichzeitig versucht die Dialektik der Linken, Konflikt, Schlacht und Krieg mit der Logik der Vereinigung von Gegensätzen zu kodifizieren. Auf diese Weise konstruiert sie eine Ordnung; einen befriedeten Zustand, in dem alles seinen eigenen kleinen Platz hat. Nur ist das Ziel des Konflikts nicht Synthese, so wie die Bestimmung des Kriegs nicht der Frieden ist. Im gesellschaftlichen Aufstand kondensieren sich Tausende von Negationen und explodieren, und doch enthält er nicht in einem einzigen seiner Atome, nicht in einem einzigen seiner Momente seine eigene Negation oder sein eigenes Ende. Dieses kommt stets, schwer und düster wie eine Gewissheit, von den Institutionen der Vermittlung und Normalisierung, von der Linken: die Wahlrecht mit sechzehn verspricht, Entwaffnung (aber nicht Abschaffung) der Bullenschweine, einen Wohlfahrtsstaat und so weiter. Mit anderen Worten: Das Ende kommt von denen, die aus den Wunden anderer politisches Kapital schlagen möchten. Die Süße ihrer Kompromisse trieft vor Blut.
Gesellschaftliche Gegengewalt kann nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, das sie überhaupt nicht annimmt; sie ist durchweg zerstörerisch. Wenn wir irgend etwas aus den Kämpfen der Moderne lernen können, dann ist es nicht die traurige Art und Weise, wie sie an ihrem Subjekt, an Klasse, Partei oder Gruppe kleben, sondern ihr systematischer, anti-dialektischer Prozess: der Akt der Zerstörung muss nicht zwangsläufig eine konstruktive Dimension in sich tragen. Mit anderen Worten: die Zerstörung der alten Welt und die Erschaffung einer neuen sind zwei getrennte, aber sich ablösende Prozesse. Die Frage ist also, welche Methoden der Zerstörung des Bestehenden an verschiedenen Punkten und Momenten des Aufstands entwickelt werden können. Welche Methoden die Stufe und die Ausdehnung des Aufstands nicht nur erhalten, sondern zu seiner qualitativen Steigerung führen können. Der Angriff auf Polizeistationen, die Zusammenstöße und Blockaden, die Barrikaden und Straßenkämpfe bilden jetzt ein alltägliches und in der Gesellschaft verbreitetes Phänomen, in der Metropole und über sie hinaus. Sie haben auch zu einer teilweisen Entregulierung des Kreislaufs von Produktion und Konsumtion beigetragen. Und doch nehmen sie den Feind immer noch nur teilweise ins Fadenkreuz; sie sind direkt und für alle sichtbar, aber gefangen in einer und nur einer Dimension des Angriffs auf die herrschenden sozialen Verhältnisse. Der Prozess der Produktion und des Umlaufs von Gütern selbst, oder anders gesagt: die Kapitalbeziehungen, werden von der Mobilisierung nur indirekt getroffen. In der verbrannten Stadt geht ein Gespenst um: der unbefristete, wilde Generalstreik.
Die globale kapitalistische Krise hat den Bossen ihre dynamischste, am stärksten erpresserisch zu verwendende Antwort auf den Aufstand genommen: „Wir bieten euch alles, für immer, während alles, was sie euch bieten können, eine ungewisse Gegenwart ist“. Mit einem Firmenzusammenbruch nach dem nächsten sind der Kapitalismus und sein Staat nicht länger in der Position, etwas anderes als eine schlechtere Zukunft zu bieten, etwas anderes als eine klamme finanzielle Lage, Entlassungen, Streichungen von Pensionen, im Sozialstaat, bei der kostenlosen Bildung. Im Gegensatz dazu haben die Aufständischen in nur sieben Tagen bewiesen, wozu sie praktisch in der Lage sind: eine Stadt in ein Schlachtfeld zu verwandeln, Enklaven von Kommunen quer durch das Gewebe der Stadt zu schaffen, den Individualismus und seine erbärmlichen Sicherheiten aufzugeben, während sie auf der Suche sind, ihre kollektive Macht zusammenzufügen, und die totale Zerstörung dieses mörderischen Systems anzustreben.
Auf diesem historischen Höhepunkt der Wut, der Krise und der Ablehnung der Institutionen, auf dem wir uns endlich befinden, ist das Einzige, was die systematische Entregulierung in eine gesellschaftliche Umwälzung verwandeln kann, eine totale Verweigerung der Arbeit. Wenn der Straßenkampf in Straßen stattfindet, die durch den Streik bei der Stromgesellschaft dunkel sind; wenn die Zusammenstöße zwischen Tonnen nicht abtransportierten Mülls stattfinden; wenn Busse die Straßen blockieren und die Bullen aufhalten; wenn der streikende Lehrer den Molotowcocktail seines revoltierenden Schülers anzündet, dann werden wir endlich sagen können: „Brutalos, die Tage eurer Gesellschaft sind gezählt; wir haben ihre Freuden und ihre Gerechtigkeit gewogen und sie für zu leicht befunden“. Heute ist das nicht länger eine Fantasie, sondern eine konkrete Möglichkeit, die in den Händen aller liegt: die Fähigkeit, konkret das Konkrete zu bearbeiten. Die Fähigkeit, den Himmel zu stürmen.
Wenn all dies voreilig erscheint, besonders die Ausdehnung des Konflikts in die Produktions- und Zirkulationssphäre durch Sabotage und wilde Streiks, dann liegt das vielleicht nur daran, daß wir uns noch nicht ganz klar gemacht haben, wie schnell Macht zerfällt, wie schnell sich Praktiken der Konfrontation und Formen der Organisation von Gegenmacht in der Gesellschaft ausbreiten: von Schülern, die die Polizei mit Steinhageln eindecken, bis hin zu städtischen Angestellten und Anwohnern, die Rathäuser besetzen. Die Revolution findet nicht statt, indem sie historische Bedingungen anbetet oder auf diese Rücksicht nimmt. Sie findet statt, indem jede mögliche Gelegenheit des Aufstands in jedem Aspekt des Gesellschaftlichen ergriffen wird; indem jede zögerliche Geste der Verurteilung der Bullen in einen endgültigen Streik an den Grundfesten des Systems umgewandelt wird.
Weg mit den Schweinen!
Ego Te Provoco, 11. Dezember 2008