2. Kommunismus
Ein Beispiel mag das erhellen. Man meint allgemein, Marx sei Kommunist. Wenn man auch sonst nichts weiß, so weiß man immerhin das. Marx selbst kümmert sich weniger um solche Zuschreibungen, sondern entfaltet in seinen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten diesen Begriff, wie er ihn vorfindet.
α) Der „rohe oder gedankenlose Kommunismus“: „Wie wenig diese Aufhebung des Privateigentums eine wirkliche Aneignung ist, beweist eben die abstrakte Negation der ganzen Welt der Bildung und der Zivilisation, die Rückkehr zur unnatürlichen Einfachheit des armen, rohen und bedürfnislosen Menschen, der nicht über das Privateigentum hinaus, sondern noch nicht einmal bei demselben angelangt ist.“ Man muss nur den utopischen Teil von Thomas Morus’ Utopia lesen, wenn man bestimmt kein Kommunist werden will. Das ist die erste Form des Kommunismus, die Marx vorfindet. Eben der rohe und gedankenlose Kommunismus.
β) Der Kommunismus teilt sich dann in zwei und wird αα) politische Herrschaft des Staates über das Kapital, sei sie demokratisch oder despotisch, und ββ) Aufhebung des Staats bei Beibehaltung des Privateigentums beziehungsweise Kapitals. „In beiden Formen weiß sich der Kommunismus schon als Reintegration oder Rückkehr des Menschen in sich, als Aufhebung der menschlichen Selbstentfremdung“. Aber diese Varianten des Kommunismus sind noch mit dem Privateigentum infiziert und versuchen auf gegensätzliche Weise jeweils dessen eine Seite gegen die andere auszuspielen. Entweder versucht man, den Staat loszuwerden, indem der Markt der freien Produzenten alle allgemeinen Zwecke von selbst erfüllen soll, oder man löst umgekehrt den Gegensatz von Privateigentum und Staat nach der Seite des Staates auf und „die Gemeinschaft ist nur eine Gemeinschaft der Arbeit und die Gleichheit des Salairs, den das gemeinschaftliche Kapital, die Gemeinschaft als der allgemeine Kapitalist, auszahlt.“ Beide Varianten bleiben wie das Utopia von Morus Kopfgeburten, aber die Praxis, die diese einführt, ist immerhin mitgedacht. Gerade letztere Variante ist bis heute fest in den Köpfen verankert, die, wenn sie sich überhaupt mit Kommunismus auseinandersetzen, darunter einen Staatssozialismus verstehen.
γ) Schließlich der „Kommunismus als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung und darum als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen; darum als vollständige, bewußt und innerhalb des ganzen Reichtums der bisherigen Entwicklung gewordene Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, das heißt menschlichen Menschen. Dieser Kommunismus ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung. Er ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung.“ Halleluja! Man weiß eigentlich nicht genau, ob Marx spottet oder schwärmt. Kommunismus erscheint hier als die wahrhafte Wiederkehr des Paradieses; er ist die „Aufhebung aller Entfremdung“, „die Rückkehr des Menschen aus Religion, Familie, Staat etc. in sein menschliches, das heißt gesellschaftliches Dasein.“
Dieser letzte Begriff scheint dabei dem zu entsprechen, was man geneigt ist Marx selbst zuzuschreiben. Aber letzten Endes ist er auch nur eine historische Momentaufnahme dieses Begriffs, wie er in Nachfolge Babeufs sich entwickelte und vermittelt etwa über den Schneider Weitling und seinen kommunistischen Bund nach Deutschland kam. Immerhin sieht Marx im so gefassten Kommunismus „das wirkliche, für die nächste geschichtliche Entwicklung notwendige Moment der menschlichen Emanzipation und Wiedergewinnung.“ Und weiter – der dies schreibt wird einige Jahre später das Manifest der kommunistischen Partei schreiben: „Der Kommunismus ist die notwendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft“. Aber sofort gerät dieser Kommunismus selbst in den Strudel der Entwicklung. Wieder der schematische Dreisprung: Zunächst die ursprüngliche Einheit der Produktionsmittel mit ihren Produzenten. Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann. Dieser wann auch immer existiert habende quasi paradiesische Zustand wird durch das Privateigentum negiert, dem eigentlichen Sündenfall. Die sich, idealtypisch gedacht, im Besitz ihrer Subsistenzmittel befindenden Produzenten werden von ihren Produktionsmitteln enteignet und fallen in einen Zustand der Entfremdung, da ihnen nicht mehr gehört, was sie doch erschaffen. Solange dieser Zustand nicht praktisch aufgehoben wird, braucht es ein kollektivistisches Gegenbild, eine zunächst gedankliche Negation des Privateigentums, die kommunistische Utopie. Diese ist damit immerhin eine Position gegen die Welt des Privateigentums, aber nur „als Negation der Negation“. Daher schreibt Marx weiter: „Aber der Kommunismus ist nicht als solcher das Ziel der menschlichen Entwicklung – die Gestalt der menschlichen Gesellschaft.“ Vielmehr lebt der Kommunismus noch aus seinem Gegensatz zur alten Welt, ist letztlich die Phantasie der Aneignung der Produktion, die der wirklichen Aneignung vorausgehen muss. Die Negation der Negation, aber nur in der Theorie. Mit der wirklichen Aneignung, dem „Geburtsakt seines empirischen Daseins“, verschwindet dieser Begriff auch wieder, wird zunehmend unsinniger. Dazu kommt heute, dass dieser historische Kommunismusbegriff der frühen Form des individuellen Privateigentums und der anarchischen freien Konkurrenz der verschiedenen Eigentümer entgegengesetzt wurde. Dieser Form kann man einen rohen Kollektivismus entgegensetzen, aber sobald das Kapital im Monopolzeitalter selbst seine schlechte Individualität durch eine schreckliche Kollektivität ergänzt hat, ist dieser Begriff an sich zweifelhaft, mag er auch der versprengten Opposition dazu dienen, sich zu finden.