Die Revolutionierung des Privaten in der Subversiven Aktion
Bislang ging es ein wenig um die äußere, politische Geschichte der Subversiven Aktion und der von ihr maßgeblich ausgelösten Bewegung. Ihre Triebkraft nahm letztere aber aus der eigenwilligen Verquickung von Privatproblemen und Politik, von Orgasmusschwierigkeiten und Vietnam.
Schon die Subversive Aktion war nicht einfach eine Politgruppe, von der man anschließend wieder nach Hause ging, sondern ein Großteil ihrer Praxis betraf das Privatleben selbst: Sie stellte für die Mitglieder einen Lebenszusammenhang dar, in dem der Anspruch, „sich dem repressiven Bestehenden zu entziehen, voll zum Tragen kommen sollte“ (Sabine Goede). Ihr Leben selbst sollte als Ausdruck der Vermittlung von Theorie und Praxis gelten. Ein solches Leben fanden sie in Kunst und Literatur, bis sie feststellen mussten, dass auch diese beiden Bereiche durch den Markt vermittelt sind und daher auch dort keine wirkliche Freiheit zu finden war. Schließlich kamen sie in Berührung mit der Psychoanalyse und der Kritischen Theorie und es wurde ihnen klar, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse bis in die privaten Bedürfnisse eingeschrieben hatten. Zusätzlich zur Befreiung aus dem bürgerlichen Lebenszusammenhang schien also die vollkommene Zerstörung des alten Selbst notwendig.
Nicht jeder verfolgte diesen Gedanken so radikal wie Kunzelmann, der mit 16 seine Bankausbildung abbrach, um Ende der 50er Jahre als Bohemien in Paris zu leben, was auch bedeutete, unter Brücken zu schlafen und von der Polizei vertrieben zu werden; nach seiner Rückkehr nach München avancierte er zu einer Szenegröße in Schwabing als Gammler. Auch anderen aus dem Umfeld der Subversiven Aktion schafften es, ihrer früheren verhassten Welt zu entkommen. Für Dagmar Seehuber, eine Sekretärin, die mit Kunzelmann über eine gewerkschaftlich organisierte Marx-Lesegruppe in Kontakt gekommen war und in Kunzelmanns Ablösephase von der Subversiven Aktion seine Freundin wurde, bedeutete das unverheiratete Zusammenleben mit Kunzelmann ihre sexuelle und politische Emanzipation. Mit 28 schaffte sie es endlich von ihren Eltern auszuziehen und lebte nun mit Kunzelmann in „wilder Ehe“ zusammen. Die Faszination, die von diesem Leben ausging, wird auch noch in einem Bericht vierzig Jahre später deutlich:
„Als erstes kündigte ich meine Arbeit und wir beide lebten von meinen Ersparnissen. Dann habe ich einen Halbtagsjob bei einem Anwalt angenommen. Ich fand dieses Leben einfach super, nachmittags arbeiten gehen und vormittags im Englischen Garten sitzen, stundenlang lesen, abends Veranstaltungen besuchen, diskutieren oder auch mal nachts Plakate kleben. Die Diskussionen wurden sehr ernsthaft und mit großem Engagement betrieben. Man hat sich wirklich mit den Texten auseinandergesetzt, und ich würde dies als den Beginn meiner Politisierung bezeichnen. Für mich war das Ganze eine Offenbarung, eigentlich der Beginn meines Lebens. Da war ich achtundzwanzig Jahre alt und hatte schon zehn Jahre Berufsleben hinter mir.“ (Dagmar Seehuber 2002)
Die Faszination konnte jedoch für viele Mitglieder der Subversiven Aktion in Angst und Druck umschlagen, wenn der niemals zu erreichende Anspruch eines kompletten Bruchs mit der Gesellschaft durchgesetzt werden sollte, ohne eine Alternative zu bieten. So stellt sich für Sabine Goede der Bruch von ihrem Elternhaus ganz anders dar:
„Nach einer Reihe von Diskussionen zog ich die Konsequenzen bezüglich meiner familiären Beziehungen. Ich schickte meinen Eltern die Hausschlüssel, weil ich keinen Gebrauch mehr von ihnen machen wollte. Dieser Schritt führte zu Mittellosigkeit, Job- und Wohnungssucherei sowie Buckelei hier und da. Mich dem repressiven Ganzen zu entziehen, wie die anderen es versuchten, das konnte ich nicht leben.
Ich musste mir eine Gespaltenheit zwischen Jobberei, Studium und der theoretischen Arbeit in der Gruppe anerziehen. Die anderen hatten zwar nie viel Geld, aber sie hatten welches, während über mir wie ein Damoklesschwert beständig die Bedrohung schwebte: kein Geld, keine Arbeit, kein Zimmer. Und wenn die Vermieter die Geduld mit meinen Mietschulden verloren, dann war ich wieder auf Zimmersuche. An irgendeiner Stelle kippte meine Unsicherheit, meine Existenzangst in pure Aggression um, die sich ziellos gegen alle richtete oder gegen den jeweiligen Gruppenboss – oder ich betrank mich sinnlos. [...] Es gab nichts, was meine beschissene ökonomische Lage gelindert hätte, nicht einmal die moralische Unterstützung der Gruppe.“ (Sabine Goede 1976)
Als Mitglieder der Subversiven Aktion hatten die Genossinnen und Genossen den Anspruch, alle Bindungen an die verhasste bürgerliche Welt aufzugeben. Nicht nur waren Ehe und Familie verpönt, sondern insgesamt alle engen libidinösen Zweierbeziehungen. Weiterhin sollte keine bürgerliche Karriere gemacht werden – auch keine Unikarriere, zu der die Mitglieder ja noch am ehesten prädestiniert gewesen wären –, vielmehr sollte gar nicht gearbeitet und die ganze Arbeitskraft in die revolutionäre Tätigkeit eingebracht werden. Dies bedeutete für die Mitglieder das Aufgeben einiger Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft. Dementsprechend war auch die Angst, dass der Sog der bürgerlichen Gesellschaft zu stark sein würde, berechtigterweise groß. Gerade für Studentinnen und Studenten, die den Großteil der Subversiven Aktion ausmachten, ist der Rückzug ins Privatleben nach dem Studium – zumindest in Deutschland – ein oft bestrittener Weg. Nicht nur fehlt es anschließend an Zeit sich politisch zu bestätigen und seinen Lebenswandel zu revolutionieren, auch gewinnen anscheinend mit der beruflichen Integration die bürgerlichen Ideologien wieder an Plausibilität. Zudem ist der Schein des kompletten Bruchs mit der bürgerlichen Gesellschaft während des Studiums noch lebbar, da in dieser Lebensphase ohnehin niemand viel besitzt und sich die gesellschaftlichen Anforderungen an den Einzelnen noch in Grenzen halten. Der Umgang der Subversiven Aktion mit diesem Problem war jedoch durch Zwang gekennzeichnet: Überall wurde Verrat gewittert und mit Argusaugen darüber gewacht, dass jeder den Verzicht leistete, den sich alle im Namen der Revolution auferlegt hatten. Um das durchzusetzen, wurden zumindest in der frühen Phase Hausbesuche und so genannte Psychoamoks durchgeführt, bei der jeder und jede sich ins Innerste seiner Seele schauen lassen musste.
Nun waren die Genossen aus der Subversiven Aktion erst Anfang zwanzig und mögen noch mithilfe von Stipendien, finanzieller Unterstützung ihrer Eltern oder Gelegenheitsjobs halbwegs über die Runden gekommen sein – so konkret wie Seehuber oder Goede berichtet sonst niemand darüber –, aber die Ängste, die den Weg, den man so eingeschlagen hatte, säumten, konnten nicht angegangen werden, da die Subversive Aktion aufgrund ihrer rein negativen Ausrichtung keine Alternative zu den Sicherheiten des früheren bürgerlichen Umfeldes bot. Vor allem schaffte sie es nicht, die Funktion der Familie, einen Ausgleich für das bürgerliche Konkurrenz- und Autoritätsverhalten zu schaffen, auf der Grundlage eines freiwilligen Zusammenschlusses zu übernehmen. Vielmehr holten sie diese Verhaltensweisen der bürgerlichen Öffentlichkeit in die Gruppe selbst hinein und dehnte diese damit auf die Privatsphäre aus. Die Konkurrenz betraf sowohl die Theoriearbeit als auch den Wettkampf darum, wer den antibürgerlichsten Lebensstil pflegte und sich aller bürgerlichen Bedürfnisse entledigt hatte. Indem die antibürgerliche Haltung, die gar nicht durchzuhalten war, zu einem für alle verbindlichen Verhalten geriet, wurde aus dem ursprünglich befreienden Moment ein autoritäres. Alle, die sich nicht daran hielten, wurden verunglimpft, was bis zum Ausschluss führen konnte. Zudem war die Gruppe hierarchisch strukturiert, es gab immer einen Gruppenboss, um den die anderen Mitglieder kreisten.
Sabine Goede hegte die Hoffnung, dass sich diese unhinterfragte Autorität der Bosse zugunsten der Autorität des besseren Argumentes verschieben würde, aber vielfach war es wohl andersherum: Die Position in der Gruppe entschied über die Güte des Argumentes. Unsicher vorgetragene Argumente oder solche, die etwas schrill oder hysterisch hervorgebracht wurden, galten nicht nur nichts, auch wenn sie inhaltlich durchaus etwas zur Sache beigetragen hätten, sondern wurden als Anlass benutzt, dem Anderen seine Schwäche vorzuwerfen. Insbesondere Emotionen sollten aus der Diskussion herausgehalten werden. Erstaunlicherweise wurden diese als bürgerlich betrachtet und bekämpft, obwohl umgekehrt gerade die vermeintlich rationale Argumentation typisch für die bürgerliche Wissenschaft ist, in der der Wissenschaftler seine Bedürfnisse und Emotionen abspalten soll. Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse sollten also nicht etwa angenommen werden, um dadurch eventuell eine Veränderung zu bewirken, sondern stattdessen wurde ein Kampf gegen die als bürgerlich betrachtete Gefühlswelt geführt, die damit weiter abgespalten wurde. Auf diese Weise blieben die Akteure der Subversiven Aktion jedoch gegen ihren besseren Willen der von ihr abgelehnten Welt verhaftet und propagierten damit unreflektiert eine bürgerliche Männlichkeit. – denn der bürgerliche Mann muss, um in der beruflichen Konkurrenz auf dem Markt bestehen zu können, alle Gefühle von Angst und Mitgefühl, aber auch Wut und Hass abspalten. Für ihn hat in der bürgerlichen Gesellschaft die Familie die Funktion übernommen, ein Refugium abseits der Konkurrenz zu sein. Dort sollten sie dem Ideal nach von den Frauen unabhängig von ihren Leistungen geliebt und umsorgt werden. Wenn es mit der Liebe dann nicht mehr klappte, konnte der Mann allerdings immer noch an Frau und Kindern seine Frustrationen rauslassen. Im Gegenzug bedeutete die Familie für die Frauen und die Kinder des bürgerlichen Milieus finanzielle Versorgung, auf die die bürgerlichen Kinder der Subversiven Aktion nun ebenfalls verzichteten.
Der Idee nach bot die Gruppe eine Zuflucht und Ersatzfamilie, was den Mitgliedern half, aus ihren engen bürgerlichen Verhältnissen auszubrechen. Gleichzeitig wurde aber dadurch, dass weder über psychische Unzulänglichkeiten, noch über Probleme, die eigene Reproduktion zu sichern, gesprochen werden durfte, der Vereinzelung Vorschub geleistet, was zu psychischen Zusammenbrüchen führte. Außerdem ist so eine Gruppe naturgemäß selbst recht eng, und die Vorstellung eines Ausbruchs in solch kleinem Maßstab ist daher von vornherein zum Scheitern verurteilt.