Die Subversive Aktion
In den frühen 60er Jahren gab es an den Universitäten eine gewisse Rezeption revolutionärer Theorie. Gelesen wurden Karl Marx und Wladimir Iljitsch Lenin, aber auch Sigmund Freud, Wilhelm Reich, Adorno und Herbert marcuse. Aus diesem studentischen Sumpf rekrutierte sich später eine innerstudentische Avantgarde. Zunächst muss aber festgehalten werden, dass es mit der Subversiven Aktion eine außeruniversitäre Gruppe war, welche die im letzten Abschnitt skizzierten Reflexionen leistete und daraus ihre Praxis ableitete. Die Subversive Aktion entstand infolge des Ausschlusses aller Künstler aus der Situationistischen Internationalen, einer im Wesentlichen französischen Gruppe um Guy Debord. Der deutschen Sektion, die sich in einer Künstlergruppe mit dem Namen SPUR organisierte, wurde ihre mangelnde politische Praxis vorgeworfen und, dass sie die erscheinende Widerspruchslosigkeit der Gesellschaft theoretisch verdopple und so affirmiere. Die Mitglieder der Gruppe SPUR wurden zusammen mit anderen Künstlern ausgeschlossen. Der Münchner Dieter Kunzelmann – der Einzige, der die Krise der SPUR überwand – gründete daraufhin die Subversive Aktion, die diese politische Umkehr nachvollziehen sollte, ohne jedoch je wieder Kontakt zur Situationistischen Internationale zu haben. In seiner Einladung zu einem ersten Treffen mit einem potentiellen Mitglied heißt es:
„Um einer endlos-unproduktiven Diskussion aus dem Wege zu gehen, wird bei allen Erscheinenden der Standort vorausgesetzt: Der Worte sind genug gewechselt oder was not tut, ist einzig die Aktion oder wir müssen eine Welle von Mikrorebellionen starten.“ (1)
Die Genossen von SPUR blieben aus, dafür kamen Christoph Baldeney aus Nürnberg und Rodolphe Gaschè aus Berlin. Bald darauf folgten der Münchner Student Frank Böckelmann, der bald zu einer wesentlichen Figur der Subversiven Aktion werden sollte, und sein Bruder Volker. Sie gründeten eine gemeinsame Zeitschrift, die »Unverbindlichen Richtlinien«, die eine Mischung aus Kritik der Kulturindustrie und Hass auf das Christentum war. Strategisch war das Ziel, in verschiedenen Städten Mikrozellen auszubauen, die sich verbindlich aufeinander beziehen sollten. Man gab Suchanzeigen auf – Plakate mit einigen Sprüchen radikaler Theoretiker und der Mitteilung, dass die Subversive Aktion aus diesen radikalen Einsichten auch eine radikale Praxis folgen lassen wolle. Auf die Anzeigen meldeten sich verstreute Individuen und es gelang, Mikrozellen u.a. in München, Tübingen, Berlin und Nürnberg aufzubauen und mit Mikrorebellionen zu beginnen. Diese bestanden in einigen provokativen Happenings (Störung der Jahrestagung deutscher Werbeleiter und Werbeberater), Flugschriften (»Auch du hast Kennedy erschossen!«, »Aufruf an die Seelenmasseure«, »HAc(k)e(n)-Crux TEUTONICA«, »Adresse an die Bundesversammlung«) und Wandparolen (»In einer Zeit, in der es so wenig zu lachen gibt, muss man für jeden Lübke danken«, »Ulbricht baute nur die Mauer / BZ und Bild enthirnen alle auf die Dauer«). Allem propagierten und auch umgesetzten Aktivismus zum Trotz war die Gruppe aber im Wesentlichen sehr theoretisch. Die Hauptaktivität lag in langen, auch schriftlichen Debatten und der Herausgabe einiger Zeitungen. Zunächst eben die programmatischen »Unverbindlichen Richtlinien«, später dann noch drei Nummern des theoretischen Organs »Anschlag«.
Bewegung kam in den kleinen Verein durch die Gründung der Berliner Sektion, der insbesondere zwei abgehauene Bürger der DDR angehörten: Rudi Dutschke und Bernd Rabehl. Hierdurch entstand ein zweiter theoretischer Flügel innerhalb der Subversiven Aktion:
„In unserer Theorie sind wichtige Veränderungen vor sich gegangen. Weitere kündigen sich an. In Berlin haben wir mit Dutschke und Rabehl, die beide vor zwei Jahren aus der DDR kamen, zwei neue aktive und sehr vitale Mitarbeiter gewonnen, die nun zusammen mit Gasché und Nagel quasi die ‚Berliner Schule‘ darstellen, d.h. etwas im Gegensatz zu uns das Ökonomische und auch das Politische betonen, während wir hier in München die psychische Basis der Leistungsgesellschaft nicht in Vergessenheit geraten lassen wollen.“ (Frank Böckelmann an Steffen Schulze, 18. August 1964)
Dutschke und Rabehl brachten einen guten Schuss traditionellen Marxismus in die Debatte mit ein, aber auch eine Menge revolutionärer Ungeduld. Dutschke kritisierte die Fokussierung auf die psychische Verstricktheit der Subjekte in die falschen Verhältnisse in den Texten von Frank Böckelmann, die seiner Meinung nach keinen Ausweg offerierten und somit die Ohnmacht der Einzelnen verdoppelten. Böckelmann hielt dagegen, dass man mit den traditionellen Mitteln der Politik keinen hinter der Ofenbank hervorholen könne und nur durch punktuelle Nadelstiche und Provokationen wirksame Praxis machbar sei. Im Laufe des Jahres 1964 setzte sich innerhalb der bundesweiten Gruppe tendenziell die Position Dutschkes durch. Ein Vermittlungsversuch auf einem der regelmäßig stattfindenden Konzile Mitte 1964 in Hamburg geriet zu einem Strategiewechsel, der die „sozialpsychologische Problematik als Scheinproblem darstellte“ und den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital wieder als den wesentlichen ansah. Allerdings wurde auch weiterhin festgehalten, dass eine revolutionäre Praxis alle „gesellschaftlichen Bereiche des Daseins“ betreffen müsse, um das Leistungsprinzip abzubauen. Allein die Aneignung der Produktionsmittel sei nicht ausreichend. Außerdem sei eine subversive Enthüllungspraxis notwendig.
Das Ergebnis dieses Konzils war, dass die Mitglieder der Subversiven Aktion dazu drängten, ein Sprungbrett oder einen Resonanzboden zu finden, um die eigenen Ideen zu verbreiten. Fündig wurde man im Milieu der linken Intellektuellen. Es gab den Anfang der 1960er Jahre an der FU entstandenen Argument-Club, dessen Mitglieder – gruppiert um Wolfgang Haug – allerlei kritische Theorie rezipierten, um Adorno herum gebildete Zirkel in Frankfurt und den SDS „als sozialdemokratische, liberal pazifistische und parteikommunistische Bündnisorganisation“ (Rabehl 1976). Es gab eine kleine demokratische Vietnambewegung und eine relativ breite, liberale Opposition gegen die Notstandsgesetze. Insbesondere schienen einige SDS-Mitglieder für die Subversive Aktion interessant und so sollte in diesem Verband agitiert werden, um Einzelne für die eigene Zielsetzung zu gewinnen. Aber niemand dachte daran, sich langfristig an den SDS zu binden. Besonders erfolgreich bei der Agitation waren Dutschke und Rabehl in Berlin. Eine Demonstration gegen den Besuch des kongolesischen Ministerpräsidenten Moïse Tschombé im Dezember 1964 bot den Anlass, an den SDS und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) Westberlin heranzutreten und eine Kampfdemonstration durchzuführen. Die Berliner Gruppe der Subversiven Aktion mobilisierte zahlreiche Gruppen und Individuen, darunter viele Ausländer, welche sich – Dutschke weist darauf immer wieder hin – als hervorragendes Ferment der Revolte erwiesen, da sie von vornherein weniger gesetzestreu waren als die Deutschen. Das machte Eindruck auf FDJ und SDS, verkörperten die »Anschlag«.-Leute doch anscheinend die Verbindung von Kolonialrevolutionen und Aufruhr in den Metropolen. Bei der Tschombé-Demonstration weigerten sich die Akteure, die polizeilich festgelegte Route und die Bannmeile um das Schöneberger Rathaus zu akzeptieren: sie durchbrachen die Polizeiketten und liefen zum Rathaus. Dort drangen sie im Gewimmel des vor dem Rathaus abgehaltenen Wochenmarktes bis zum Portal vor. Die Demonstration war so zugleich Provokation, Regelverletzung, Medienspektakel und Inszenierung. Sie sollte genauso oder sogar mehr nach innen auf die Demonstranten wirken, als nach außen auf das „Publikum“.
(1) Alle Zitate der Briefe oder Texte der Subversiven Aktion sind aus dem sehr guten Sammelband: Subversive Aktion – Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern. Dieser Band enthält auch Analysen und Erinnerungen der Akteurinnen wie Akteure aus dem Jahr 1976. Unter anderen Sabine Goede, Dieter Kunzelmann, Frank Böckelmann und Bernd Rabehl.