Vom Camp zum Hafen: Die Wall Street der Küste
Ankündigung der 2. Hafenblockade am 12. Dezember
Die Occupy-Bewegung ist kaum mehr als zwei Monate alt und zeigt bereits Anzeichen eines Reifungsprozesses. Nachdem sie das Scheitern ihrer Camps erleben musste, reagiert sie nun selbst mit einem organisierten Gegenschlag. Die Occupy-Gruppen in den US-Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington gehen gemeinsam gegen die amerikanischen Zentren der Weltwirtschaft vor – gegen die Häfen der Westküste, in denen etwa 60% des internationalen Handels des Landes umgeschlagen werden, und gegen deren Inhaber, die zum einen Prozent gehören.
Angeregt durch die massenhafte Beteiligung am „Generalstreik“ von Occupy am 2. November, der zur Schließung des Hafens von Oakland führte, planen nun die Occupy-Gruppen in San Diego, Los Angeles, Oakland, Portland, Olympia, Tacoma und Seattle Hafen-Blockaden für Montag, den 12. Dezember. Sie hoffen, so viele Demonstranten mobilisieren zu können, dass die Dockarbeiter der Gewerkschaft „International Longshore and Warehouse Union“ (ILWU), welche lange Zeit die radikale Avantgarde der Arbeiterbewegung an der Westküste war, sich auf die Teile ihres Vertrags berufen werden, die ihnen erlauben, Streikketten nicht zu durchbrechen, weil es ein Sicherheits- und Gesundheitsrisiko darstellt.
Diese Art des gemeinschaftlichen Aufstellens von Streikposten für politische Zwecke hat einen altehrwürdigen Platz in der Geschichte der ILWU. 1939 respektierten Hafenarbeiter eine Streikkette der chinesischen Community im Hafen von San Francisco, um das Auslaufen einer Ladung Stahl für die Kriegsindustrie des damals faschistischen Japan zu verhindern, dessen Aggression sich zu diesem Zeitpunkt gegen China richtete, aber bald den Pazifik überquerte. Diese Taktik wurde 1977 wieder gegen ein südafrikanisches Schiff angewendet, um gegen die Apartheidpolitik des Landes zu protestieren, 1997 gegen ein von Streikbrechern beladenes Schiff, um die Dockarbeiter im englischen Liverpool zu unterstützen, im Jahr 2003 gegen ein Schiff mit Kriegsmaterial für den gerade erklärten Irak-Krieg; und das letzte Mal vor ein paar Jahren gegen ein israelisches Schiff, um gegen einen israelischen Militärangriff auf ein türkisches Schiff zu protestieren, das medizinisches Material und Baumaterial für den Gazastreifen geladen hatte.
Dieses Mal benutzen die Mitglieder der Occupy-Bewegung dieses Vorgehen, um auf die üblen Verhaltensweisen des internationalen Lebensmittel- und Weizengroßkonzerns Export Grain Terminal (EGT) hinzuweisen, dessen Mehrheitseigner Bunge Limited ein multinationaler Konzern ist, der von Texas über Bulgarien bis nach Argentinien gegen Gewerkschaften vorgeht und außerdem an der Übernahme von lokalen Lebensmittelerzeugern beteiligt ist, um anschließend Monokulturen von Sojabohnen durchzusetzen. EGT versucht, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und den Einfluss der ILWU zu brechen, indem sie Streikbrecher im Hafen von Longview einsetzt, um ihre Schiffe mit Weizen zu beladen.
In Südkalifornien, in der Nähe der riesigen Hafenkomplexe von Los Angeles/Long Beach, haben die Occupy-Blockaden ein weiteres politisches Ziel. Sie werden ihren Protest auf die Anlegestelle eines der schlimmsten Missetäter des einen Prozent an der Küste konzentrieren – Stevedoring Services of America (SSA) –, um auf die Probleme der LKW-Fahrer im Hafen hinzuweisen. Diese „Selbstständigen“, mehrheitlich Migranten, bringen die Schiffscontainer zu Lagerhäusern und anderen Zielorten und haben seit mehr als einem Jahrzehnt versucht, sich zu organisieren, um gemeinsam verhandeln und ihren jämmerlichen Lohn etwas anheben zu können. Aber es ist der Arbeitgebervereinigung der Westküste, der Pacific Maritime Association (PMA), einer Gruppe von mehr als 80 multinationalen, mehrere Milliarden Dollar schweren Fracht- und Verladegesellschaften, gelungen, dies durch die Anwendung von US-Anti-Kartell-Gesetzen zu unterbinden. Diese Geschichte sagt viel über das Verhältnis von dem einen Prozent zu den restlichen 99 Prozent aus.
Die koordinierte Aktion ist kühn. Sie könnte der Occupy-Bewegung eine neue Richtung geben: Die Beteiligung an Massenaktionen außerhalb etablierter Institutionen zur Unterstützung von lokalen Arbeitskämpfen und um den globalen Wirtschaftsapparat ins Herz zu treffen.
Für eine junge Bewegung sind dies gewitzte Schachzüge.
Trotzdem gibt es wachsende Probleme. Das Büro der ILWU in San Francisco behauptet, nichts mit den Aktionen am 12. Dezember zu tun haben und lehnt sie sogar ab. Es ist für die Gesellschaft zwar notwendig, sich offiziell zu distanzieren, damit sie von der PMA nicht auf Schadensersatz verklagt werden kann. Aber die ILWU geht weit über die rechtlich notwendige Distanzierung hinaus.
Am 21. November verbreitete der Gewerkschaftssekretär eine Mitteilung, in der es heißt, dass eine öffentliche Demonstration laut Vertrag keine Streikkette ist und daher nicht beachtet werden muss. Dies steht im Widerspruch zur historischen Praxis der ILWU und den „Zehn Richtlinien der ILWU“, in denen es heißt:
„Gewerkschaften müssen die Tatsache akzeptieren, dass die Solidarität der Arbeiter über allem steht, auch über der sogenannten Unantastbarkeit der Verträge. Wir können uns nicht dem Verhalten von Gewerkschaftsführern anschließen, die darauf bestehen, dass ihre Mitglieder, weil sie einen Vertrag haben, sogar hinter einer Streikkette arbeiten. Jede Streikkette muss akzeptiert werden, als ob es unsere eigene wäre.“
Auf der Internetseite der ILWU behauptet der Vorsitzende der Gewerkschaft, Robert „Big Bob“ McEllrath, dass solche Aktionen Dritter gegen den „demokratischen Entscheidungsprozess“ der Gewerkschaft verstoßen würden. Seltsamerweise steht diese Stellungnahme unter einer früheren Meldung von McEllrath vom 5. Oktober, einer „Solidaritätserklärung zur Unterstützung von ‚Occupy Wall Street‘“. Dort schreibt er: „Wie ihr wurden ILWU-Mitglieder in Longview festgenommen, geschlagen und mit Pfefferspray angegriffen. Wir wissen, dass Gerechtigkeit nicht erreicht werden kann, indem man gierige Arbeitgeber um Erlaubnis bittet oder darauf wartet, dass Politiker Gesetze verabschieden. Deswegen hoffen wir, dass ihr euch in der Wall Street behauptet, während wir dasselbe in Longview tun – denn: An Injury to One is an Injury to All.“
Und damit findet die Ironie noch kein Ende. Die Occupier wurden durch die „direkten Aktionen“ der ILWU-Dockarbeiter gegen die EGT und deren Versuche, mit Streikbrechern Weizen zu verladen, inspiriert. Die Dockarbeiter von Longview besetzten die Gleise, hielten den Zug auf und kippten den geladenen Weizen aus. Der Gewerkschaftspräsident McEllrath beteiligte sich selbst an einer der Aktionen und wurde von der örtlichen Polizei festgenommen.
Aber jetzt, angesichts einer Geldbuße von 250.000 $ (die angefochten wird) und weiteren gerichtlichen Unterlassungsverfügungen mit der Androhung von Haft und hohen Geldstrafen sowohl gegen die Gewerkschaft als auch gegen beteiligte Einzelpersonen, wendet sich die ILWU wohl vollkommen ihren Anwälten zu, um aus der Misere wieder rauszukommen.
Dennoch haben die Leute von Occupy all diese Aktionen nicht allein geplant. Einige Basisaktivisten der Gewerkschaft haben mit ihnen zusammengearbeitet und ihnen die Fallstricke erklärt. Der Präsident der ILWU-Ortsgruppe, Dan Coffman, besuchte Occupy San Francisco und Occupy Oakland und sprach auf ihren Demonstrationen. Er hat zwar nicht öffentlich zu den Hafen-Blockaden aufgerufen, aber er sagte den Demonstranten in Oakland, dass sie eine Inspiration für ihn und die Mitglieder seiner Gewerkschaft gewesen seien.
In der Vergangenheit wäre diese Art gemeinschaftlicher Streikketten eine Aktion gewesen, die die ILWU mit einem Augenzwinkern unterstützt hätte. Die beste Art und Weise, einen ganovenhaften Arbeitgeber davon abzuhalten, die Vereinbarungen mit der ILWU zu unterlaufen, ist die Kosten für alle, im selben Arbeitgeberverband organisierten Unternehmen, die sich ja an die Regeln halten, in die Höhe zu treiben und so dafür zu sorgen, dass sie untereinander auf die Einhaltung der Verträge pochen.
Aber angesichts ihrer juristischen Probleme scheint es die ILWU vorzuziehen, alle Bereiche des Kampfs zu kontrollieren, anstatt Allianzen in der Community zu schmieden, auch wenn ihnen das in der Zukunft vielleicht schaden könnte. Derzeit planen sie ihre eigene Hafenblockade, wenn das erste Getreide-Schiff von EGT in Longview einläuft, was momentan für Anfang Januar geplant ist.
Wir werden bald sehen, ob die Occupy-Gruppen genug Menschen mobilisieren können, damit sich die Dockarbeiter auf Gesundheits- und Sicherheitsrisiken berufen können – besonders in einem so großen und weitläufigen Hafen wie dem von Los Angeles. Zudem werden wir erfahren, wie die Polizei auf eine ernsthafte wirtschaftliche Herausforderung reagieren wird und wie sich die Basismitglieder der ILWU verhalten werden.
Steve Stallone ist der Sekretär der Pacific Media Workers Guild. Er war von 1997 bis 2007 bei der ILWU für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
8/12/2011
Quelle: http://www.counterpunch.org/2011/12/08/wall-street-of-the-waterfront
Marschkapelle – 12.Dezember 2011