Stellungnahme zu den Vorwürfen gegenüber der Bahamas in Interim Nr. 517
2001 als Flugblatt verbreitet.
Seit geraumer Zeit verliert sich der karge Rest der Linken in Deutschland in hoffnungslos dummen Kleinkriegen. Über einem Jahr schon wird die AAB vom gutmenschelnden autonomen Mainstream angefeindet, „AAB lügt“ steht in Friedrichshain an der Wand, Veranstaltungen werden gesprengt und Menschenjagten veranstaltet. Man verhält sich wie ein asozialer Haufen und so verwundert es kaum, daß als Gegenbewegung zum permanenten Grabenkampf Durchhalteparolen sich einiger Beliebtheit erfreuen. Über jedem zweite Aufruf der ansonsten verfeindeten Antifa steht Wahlweise „Zusammen handeln!“ oder „Zusammen Kämpfen!“. Die Unfähigkeit, miteinander vernünftig und in gebotener Schärfe zu diskutieren, ohne sich gleich an den Kragen zu gehen, wird durch eine autoritäre Einheitsfront übertüncht und jede, die nicht mitmachen will, als Spalterin beschimpft. Aus diesem höchst ärgerliche Zusammenhang von sinnloser Spalterei und sinnlosem Appell, aller Unterschiede zum Trotz zusammen zu kämpfen – für oder gegen was auch immer – wäre auszubrechen. Die Debatten in Interim wären endlich auf ein Niveau zu heben, das sie lesenswert macht. Momentan ist die Zeitung nicht viel mehr als bedrucktes Altpapier.
Soviel als allgemeine Einleitung, jetzt zum eigentlichen Thema dieses Beitrags. Nach der AAB schießt sich die Szene nun auch auf die antideutsche Zeitung Bahamas ein. In deren Redaktion, so die einhellige Meinung säßen nur ganz schlimme Sittenstrolche, die Vergewaltigungen bejahten und Täterschutz betrieben. Linke aber wollen in Deutschland lieber „Opferschutz statt Täterschutz“, eine Parole, die man sonst nur von ganz Rechts kennt, wo sie auch hingehört. Dem Sexismusvorwurf folgte der Rassismusvorwurf auf dem Fuß. Am 11.01.2001 erschien in der Interim ein offener Brief der Autonomen MigrantInnen, der eine Reihe heftiger Vorwürfe angesichts der am 20.12 stattgefunden Bahamas-Veranstaltung „Beruf: Palästinenser“ gegenüber der Bahamas erhob und in der Forderung, der Zeitung Bahamas „kein Podium und gar keinen Raum zur Verfügung zu stellen“ gipfelte. Die Bahamas wird in dem Hetzschreiben als rassistischer, weißer, sexistischer Männerhaufen dargestellt, die eurozentristisch in den Palästinensern und anderen Migranntinnen das „Böse“ sähen.
Während der Veranstaltung habe sich die Bahamas „Verallgemeinerungen, wie ‚Südländer‘ = ‚Türke‘ = […] ‚Moslem‘ = ‚Fanatiker‘ […] ‚Mord‘“ bedient, die Gruppe wird damit auf die gleich Stufe wie „BILD“ gestellt. Dieser Vorwurf ist schlicht und ergreifend falsch. Rassistisch sind solche Verallgemeinerungen nur, wenn man glaubt es gäbe so etwas wie Ethnien überhaupt wirklich. Die Bahamas ist davon aber weit entfernt. Wenn die Zeitung Deutsche, Kosovoalbaner oder Palästinenser beschimpft, dann ist dies nicht mehr als eine Aufforderung, mit dem Deutsch-Sein, Palästinensch-Sein endlich zu brechen. Niemand zwingt die Deutschen und die Palästinenser, sich als solche zu fühlen oder als solche zu handeln. Wenn sie es trotzdem tun sind sie zu kritisieren. Grundsätzlich geht es der Bahamas um eine Kritik an den Deutschen und wenn sie die autoritäre palästinensische Nationalbewegung kritisieren, dann hauptsächlich um ihre deutschen Unterstützer von ganz links bis ganz rechts zu denunzieren.
Auch wenn es Ethnien positiv nicht gibt, so kann sich doch ein ethnisches Kollektiv negativ über die Verfolgung von Fremden bilden. Daß es ein so konstituiertes antisemitisches Kollektiv der Palästinenser gibt, ist nicht von den Hand zu weisen, zahlreiche der auf der Bahamas-Veranstaltung anwesenden Palästinenser haben in anschaulicher Weise gezeigt, daß es in erster Linie der Haß auf Israel ist, der sie als Palästinenser eint. Keiner trat ans Redepult, ohne zunächst über sein Palästinenser-Dasein Zeugnis abzulegen und hinterher in verschiedenen Abstufungen gegen Israel zu hetzen. Die vollständige Identifikation der Palästinenser mit ihrem Volk, das gegenüber Verrätern keine Gnade walten läßt, äußerte sich kürzlich wieder, als ein fanatischer Mob begeistert der Hinrichtung von zwei der Kollaboration mit Israel angeklagten Männern beiwohnte. Daß Überläufer hingerichtet werden, mag in Kriegen leider die Regel sein, daß die Massen jedoch daran teilnehmen und sich daran als eine Art Reinwaschung ihres Kollektivs aufgeilen, nicht. Wenn der Justizminister Freih Abu-Medein droht, „Niemand, der in unsere Hände fällt, wird Gnade vor dem palästinensischen Volk oder vor dem palästinensischen Recht erfahren“, oder wenn selbst Kinder an die Front geschickt und nach ihrem Tot nicht betrauert, sondern als Märtyrer gefeiert werden, so zeigt dies, daß das Volk wichtiger als alles andere, selbst die eigenen Angehörigen, ist. Jeder, der sich mit dem palästinensischen Staatsprojekt einverstanden erklärt, ist deshalb als Befürworter eines autoritären Staates zu kritisieren. Gefoltert wird in Palästina schon jetzt, von den palästinensischen Bullen.
Wenn im weltweiten Konkurrenzkampf die Leute ihre Identität als Volksgenossen suchen, anstatt sich gegen das herrschende Produktionsverhältnis zu richten, dann zeugt das von einer sehr weit fortgeschrittenen Regression und beinhaltet nichts Positives. Sich zu opfern für das Volk heißt, seine aufgrund des Kapitalverhältnisses ohnehin schon verschwindend geringen Möglichkeiten, über sein Leben zu bestimmen, ganz aufzugeben und in der Übermutter Volksstaat aufzugehen. Der Feind wird aussen vermutetet – auf einen Staat wie Israel wird wahnhaft die Ursache allen Leidens projeziert.
Von einem Kollektiv zu sprechen, wenn eines existiert ist also keine Bösartigkeit der Kritiker, die diese Verfallserscheinung aufzeigen, sondern bittere wenn auch ein wenig seltsame Realität. Doch da die autonomen Migrantinnen im Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser etwas Positives und keine regressive Erscheinung sehen und sie sich auch offenbar sehr wundern, dass kein „israelischer Standpunkt in Betracht gezogen“ wurde, bestätigt nur, daß der Drang, sich angesichts der Ohnmacht den Verhältnisse gegenüber mit „Völkern“ zu identifizieren, übermächtig zu sein scheint und eben auch die Autonomen Migrantinnen erfaßt hat. Sie sind es in Wahrheit, die die Menschen, die zufällig in Palästina wohnen, ewig auf ihr Dasein als Mitglieder einer Ethnie reduzieren, indem sie diesen Begriff fraglos voraussetzen. Wenn jemand rassistisch ist, dann die Autonomen Migrantinnen selbst und nicht die Zeitung Bahamas.
Nicht vorstellen können sie sich offensichtlich, dass eine Linke einen Standpunkt ausserhalb dieses Identitätsdenken einnehmen kann. Das scheint auch in ihrem offensichtlich ressentimentgeladenen Vorwurf auf, dass die Redner „gemütlich hinter ihrem Bier“ saßen, weil sie augenscheinlich eine distanzierte und kritische Position einnehmen, ohne sich automatisch mit Israel zu identifizieren. Kritik kann nur aus der Distanz zum kritisierten Gegenstand entstehen. Was wie Gleichgültigkeit wirkt, ist die Leidenschaft an einer Sache, das sich bewußt ist, daß man sich in einer total vermittelten Welt auf das spontane Gefühl nicht verlassen kann, daß das spontane Gefühl leider fast immer Ressentiment ist. Solidarität mit Israel gegenüber antisemitischer Bedrohung muß trotzdem sein, das ist aber ein ganz gewaltiger Unterschied zur Identifikation mit Israel.
Im Nah-Ost-Konflikt müssen Linke die Position Israels einnehmen und sich mit diesem Land solidarisch zeigen. Denn der Zionismus hat leider Recht behalten, als er schon im 19. Jh. erklärte, daß angesichts der Pogrome und des Antisemitismus ein Leben für Juden ohne einen eigenen Nationalstaat nicht möglich ist. Dies zu reflektieren, besonders angesichts der Lage von Israel inmitten von Ländern, die es am liebsten platt machen würden, ist unbedingtes Muß für jede Linke. Auschwitz hat Israel endgültig notwendig gemacht und es auch notwendig gemacht, dass sich Linke, die eigentlich Kapital und Staat abschaffen wollen, sich mit diesem Staat solidarisieren. Wenn auch alle Staaten abgeschafft gehören, so sollte man, bis dies erkämpft wurde, bei Israel unbedingt eine Ausnahme machen.
Die Solidarität mit Israel „mit der geschichtlichen Schuld der Deutschen zu rechtfertigen“, wie die Autonomen Migrantinnen es der Bahamas unterstellen, wäre ein deutsches Projekt und nicht der Standpunkt des Kritikers. Das deutsche Projekt würde Solidarität vorschieben, um endlich ein ungebrochenes, positives Verhältnis zu Deutschland zu bekommen, um Identifikation mit dem eigenen Volk möglich zu machen. Dieses Streben nach Identifikation läßt aber eben nicht zu, die Kategorie Volk als repressive Zwangsgemeinschaft zu entlarven, eine Zwangsgemeinschaft, die kein konkretes Leiden löst, sondern sich äußere Feinde als vermeintliche Urheber des Leiden schafft, die es zu vernichten gilt.
Antideutsche kommunistische Kritik will Kapitalismus abschaffen, ist sich aber bewußt, daß der Faschismus in Krisenzeiten als Zerrbild der bürgerlichen Demokratie, eine überaus populäre Option ist. Faschismus ist nichts völlig anderes, er entspringt aus dem bürgerlichen Nationalstaat und jener kann daher auch nur grundlegend beseitigt werden, wenn es diesen nicht mehr gibt. Aber er ist auch nicht das Gleiche, daher ist der bürgerliche Nationalstaat polemisch gegen ihn zu verteidigen. Jugoslawien ist immer noch besser gewesen als Kroatien oder Kosovoalbanien und auch Israel, als bürgerlicher Staat, ist den völkischen Palästinenser vorzuziehen. Dies spricht weniger für Israel oder Jugoslawien, sondern gegen die Kosovoalbaner und die Palästinenser und ihre deutschen Protagonisten.
In Zeiten, in denen die Linke derart marginalisiert ist, wäre es notwendig, sich zu fragen, warum die diversen scheinbar revolutionären Subjekte, die immer wieder aufgetan werden, doch nichts Besseres wollen, sondern oft genug Schlimmeres. Befreiungsbewegungen entpuppten sich als schlimmer als ihre vormaligen Besatzer, die wenigstens noch gewisse Standards durchsetzten und ein völlig barbarisches Regime, wie es z.B. nach Abzug der Sowjetunion in Afghanistan unter den Taliban ausbrach, unterdrückten.
Der Bahamas daher vorzuwerfen, Kolonialismus zu befürworten, stellt sich gar nicht dem Problem und will sich eine scheinbar weiße Weste zu schaffen, indem man keinen Unterschied zwischen Volksstaat und bürgerlichen Nationalstaat macht, sondern alles abstrakt negiert. Statt dessen gelte es, sich dem objektiven Dilemma, daß statt Kommunismus überall immer nur völkische Barbarei ausgerufen wird, zu stellen und weitere Verfallserscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft zu kritisieren. Konkret heißt das eben auch, sich solidarisch mit Israel zu zeigen!