Bericht einer Bagatelle
Zweckentfremdung einer polizeilichen Partyauflösung
Flugblatt über eine Auflösung einer Party durch die Polizei. Außerdem hier eine Polemik dagegen.
Im außeroffiziellen, privaten Raum, so meinen die meisten, seien sie frei zu tun und zu lassen was sie wollen. Von Zeit zu Zeit jedoch übernimmt es die Objektivität selbst, ihre Untertanen aus dem „Dunkel des gelebten Augenblicks“ zu reißen. Dann muß deren stillgestelltes Bewußtsein plötzlich seine Illusionen von Schönheit und Menschlichkeit fallenlassen und sich für einen Moment daran erinnern, daß in der herrschenden Ordnung des Lebens jeder einzelne ein „Recht“ überhaupt nur solange hat, wie er bereit ist, auf es zu verzichten.
Das gilt nicht nur auch, sondern gerade für das private Leben. „Kultur“ war selten etwas anderes als Konditionierung, und „Freizeit“ war nie etwas anderes als die Kehrseite der Arbeit. Es ist nur wieder eine dieser liberalen Lügen, das Private immer noch als den Ort des Rückzugs und des Freiraums für die Persönlichkeitsentfaltung darzustellen. „Privates“ Leben ist geraubtes Leben.
Da der gesamte Informations- und Sanktionsapparat in den Händen der herrschenden Organisation dieses Raubes liegt, können unter den aktuellen Bedingungen immer nur Einzelheiten ans Licht kommen, wie dieser Raub organisiert wird. Als einen Versuch, den diffusen Vorstellungen, die davon kursieren, entgegenzutreten, haben wir beschlossen, eine Schilderung einiger Ereignisse aus jüngster Zeit zu veröffentlichen, an denen unseres Erachtens eine der vielen Vollzugsformen dieses Raubs augenfällig wird.
Für einen Freitag, den 24.06.05 hatten zwei unserer Genossen zu einer Party in ihre Berliner WG geladen. Anfangs ist nicht besonders viel los, aber nach O h füllt sich die Wohnung, man unterhält sich, einige fangen an zu tanzen. Die Lautstärke der Musik ist partyüblich, aber nicht übertrieben laut, zudem die Fenster wegen der Nachbarn, welche via Staatsgewalt gegen 23.30 h ihren Unmut zu verstehen gegeben hatten, geschlossen worden waren.
Die Polizei kommt zum zweiten Mal um ca. 1 h wegen erneuter Ruhestörungsmeldung
eines gegenüber wohnhaften Blockwartes; diesmal dringt sie – wenn auch nicht unfreundlich – direkt in die Wohnung. Auf die Nachfrage eines Gastes, ob die Polizei dies denn ohne Durchsuchungsbefehl überhaupt dürfe, antwortet ein Gesetzeshüter in durchaus erstauntem Tonfall: „Auf welchem Planeten leben Sie denn?“ Denn freilich: Wenn es der Staatsgewalt aus welchen Gründen auch immer einfällt, in ein Privatresiduum einzudringen, wird sie das tun, weil es normal so ist. Das heißt jedoch noch nicht, sie tue dies aus böser Absicht: Ein gepanzerter grüner Mann tritt in die Küche zwecks Räumung derselben, erlaubt jedoch einem Gast, seinen Cocktail fertig zu mixen.
Überhaupt sind alle Polizisten zum Gespräch bereit und spontan erscheint es jemandem sinnvoll, zunächst einige Erkundigungen einzuholen. Dabei erfährt er u.a., daß die Polizei oft Privatfeiern beende (die meist von jüngeren, aber auch älteren Leuten organisiert sind), dies meist friedlich vonstatten gehe, aber auch dann ca. 1000 Euro kosten könne, was ja laut dem Polizisten „eigentlich schade“ wäre – weshalb man besser noch friedlicher als friedlich sein, ergo gleich beim ersten Mal die Anlage abstellen solle. Überhaupt wird viel mit der Polizei debattiert, wobei ihr die meisten Anwesenden indirekt, in mehr oder weniger subtiler Weise zu verstehen geben, daß man sie so findet wie Bullen eben sind: Dumm, häßlich und zu stark, welchletzterer Eigenschaft wegen allein man überhaupt gedenke, den Anordnungen Folge zu leisten.
Die unpolitisch Gesinnten entfernen sich, während andere auf der Straße vor dem Haus weiterhin die mittlerweile mit Einsatzwagen angerückten und also zahlreich anwesenden Zivil- und Paradebullen subtil anwitzeln. Auch hier hat die Geschlechterdichotomie Gelegenheit, zutage zu treten, denn die männlichen Spaßvögel werden von weiblichen Partygästen am Ärmel gezupft und so zur Ruhe angehalten.
Obwohl der Polizeieinsatz wohl bezweckt, die Äußerungen angetrunkenen Lebens zum Schweigen zu bringen, steigt der Lärmpegel auf der Straße. Zahlreiche Anwohner sammeln sich auf den umliegenden Balkonen.
Auf einmal verlieren die Ordnungshüter ihre Nerven; ein gewisser Tumult entsteht. Ein Zivilbullenkretin fordert einen Genossen, der im Getümmel seinen Schuh verloren hat und auf einem Bein hüpft, auf, doch „endlich mal Mann gegen Mann“ zu kämpfen, bevor er ihm Tränengas in die Augen sprüht.
An anderer Stelle wird ein Freund, der gerade dabei ist, sehr gemächlich den Heimweg anzutreten, von einem Polizisten plötzlich zu Boden geworfen; weitere Polizisten eilen hinzu und schlagen und treten den wehrlos am Boden Liegenden (er ruft: „Ich wehre mich doch gar nicht!“), bevor sie ihn festnehmen. Eine spontan dagegen protestierende Frau wird ebenfalls zu Boden geworfen und verhaftet. Eine weitere Verhaftung kann indessen durch entschlossenes Vorgehen unsererseits verhindert werden.
Eine dritte, ebenso willkürliche Verhaftung eines soeben erst hinzugekommenen Genossen findet statt. Als dessen Freundin lautstark protestiert, ruft ein Anwohner vom Balkon: „Was bildest Du Dir ein, Du Schlampe!“ – Dies kann als deutliches Indiz dafür gewertet werden, daß dieser Blockwart gemerkt hat, daß sich hier Leute – ganz im Gegensatz zu ihm – gegen die konkrete Durchführung der Organisation des Alltags wehren und sogar den Schein der sexuellen Ausgelassenheit erzeugen; das konnte seine Identifizierung mit der Macht nicht gestatten und ließ ihn wie bei den von ihm wahrscheinlich so geliebten Fußballspielen hier der vom Staat gestellten Mannschaft seines Herzens zublöken.
Ein Polizist sagt derselben Frau, nachdem sie ihn im Affekt geschlagen haben soll: „Sei froh, daß Du eine Olle bist, sonst hätte ich Dir schon längst ein paar verpaßt…“ Als einige Frauen, die die Szene beobachtet hatten, eingreifen, jammert er: „Muß ich mich von Frauen schlagen lassen?“ So entpuppen sich einige der Frauen nach anfänglichem Zögern durchaus als das extremistischste Moment des kleinen Aufruhrs, indem sie nicht davor zurückschreckten, die Einsatzkräfte direkt anzugreifen.
Die Polizeibande machte einen verwirrten Eindruck (bis auf die drei Zivilpolizisten, und wenn man auf Seiten der Polizei agent provocateurs sucht, so dort). Insbesondere schien sie zu verwirren, daß sie eine relative Geschlossenheit unter den Partygästen vorfanden, die offensichtlich nicht völlig zufällig zusammengewürfelt waren und in der Mehrzahl die bürgerliche Gesellschaft und den Staat als falsche Form menschlicher Gesellschaft ablehnen. So konnte die Party ohne die üblichen infantilen, nichtsdestotrotz richtigen Beleidigungen („ACAB“) ganz legal auf intellektuellem Wege eskaliert werden.
Daneben gibt es aber auch zahlreiche liberale Idealisten, welche sich fragen, ob „das noch Demokratie oder schon Faschismus ist“ und ihr „Recht auf Party“ einfordern. Dagegen erwidert ein Polizist dialektisch, daß es „ein weitverbreiteter Irrglaube sei, daß man einmal im Jahr, etwa weil man den Tag der eigenen Geburt begeht, etwas ausgelassener feiern dürfe. Dafür gäbe es schließlich Sylvester. Manche müßten ja um 6.00 arbeiten gehen.“ – Der Ordnungshüter weiß also immerhin: 49-50 Wochenstunden Arbeit, etwas Urlaub und eine laute Party im Jahr, dazu Wochenenden, denn am siebten Tag ruhte selbst der Herr – dies ist das Überleben, das diese überlebte Ordnung bietet. So weist er sehr deutlich auf den latenten Klassencharakter seines Einsatzes hin – deutlicher als das die Anhänger der liberalen Ideologien jemals hinbekommen hätten.
Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Party keineswegs ausgelassen war. Entgegen liberalen Illusionen war die Party durchschnittlich, bis die Stimmung mit dem Übergriff des Polizeirackets plötzlich deutlich stieg, wenn auch alle unsicher auftraten. Es war allen plötzlich die abstrakte Herrschaft konkret vor Augen, weil man ein simples Gesetz leicht in Frage stellte und auf diesem Wege sofort herausstellte, daß das alltägliche Leben ein Gefängnis ist, wenn auch im Normallfall die Wärter keinen direkten Kontakt zu den Insassen haben müssen und die meisten Insassen die Wärter sogar mögen („Schutzmann“, „Ordnungshüter“, die zärtlichen Bezeichnungen „Polyp“ und „grüne Minna“ usw.). Dies also – das gelungene Experiment, sich bewußt mit der Gewalt des Staates konfrontiert zu sehen – dürfte der Grund für die gute Laune gewesen sein. Einige begannen bereits über nächtliche Ausschreitungen, wenn solche Partys öfter statthätten, zu spekulieren. Auch die illegalen Parties im Iran finden plötzlich Erwähnung, also ein Hauch internationaler Solidarität.
Wie dem auch sei: Die Polizei zieht eilig ab, nachdem sie insgesamt drei Leute verhaftet und vernommen hatte, daß bereits ein Anwalt gerufen worden sei. Die eigentliche Aufgabe ihres Kommens, die Auflösung einer ruhestörenden Versammlung, läßt sie unerledigt zurück, denn die Menge der Partygäste, ca. 40 - 50 Leute, steht noch gut eine Stunde auf der Straße herum und unterhält sich über den Vorfall, bevor sie nach einem Besuch in einer anderen WG auf die Polizeiwache geht, um die Gefangenen abzuholen. Dort ergeben sich wieder dumme Gespräche mit Ordnungshütern; eine Frau will sogar „deutsche Staatsbürgerin“ sein. Ein Polizist macht seinem Unmut Luft: „Es sind einfach zu viele Intellektuelle hier“, dann äußert er seine Auffassung der Welt, in der er lebt: „Da draußen ist halt die Hölle.“
Weiter wird von der Polizei erfunden, sie sei mit geworfenen Flaschen begrüßt worden. Ein solcher Empfang der Staatsgewalt wäre prinzipiell zwar nicht verwerflich, ist aber, im Wissen um die drohende Repression, in Wirklichkeit natürlich unterlassen worden. Weitere Vorwürfe, die von der Polizei spontan geäußert werden, sind: Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch, Gefangenenbefreiung, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wir erfahren, daß den Gefangenen Blut abgenommen wurde und sie verschiedene Idiotentests absolvieren mußten (im Kreis drehen und laufen, Finger blind zusammenführen): „Erkennungsdienstliche Behandlung“.
Als der Morgen dämmert und sich alle auf den den Nachhauseweg machen, sind alle der Meinung, daß der Genosse, zu dessen Verabschiedung die Party organisiert worden war, würdig in ungewisse Zukunft Richtung München verabschiedet wurde. Überhaupt hatte sich nun herausgestellt, daß diese WG es etwas versteht, Parties zu organisieren, weil die Polizei den Spaß schon einmal im Vorjahr beendet hatte.
Am selben Abend des heraufziehenden Samstages organisieren andere woanders in Berlin eine Party. Die Staatsgewalt nimmt auch dort teil und veröffentlicht hinterher folgende Presseerklärung:
„Studentenparty endete mit Festnahmen / Neukölln
Viel zu laute Musik begleitete eine Studentenfeier in der vergangenen Nacht in der Leinestraße in Neukölln.
Gegen 4 Uhr hatten Anwohner die Polizei alarmiert. Eine Funkwagenbesatzung stellte bereits auf dem Weg zum Einsatzort in den angrenzenden Straßen lautstarke Musik fest. Die Beamten klingelten an der Wohnungstür, die geöffnet und sogleich wieder zugeschlagen wurde.
Nachdem die Polizisten weitere Kollegen zur Unterstützung herbeigeholt hatten, klingelten sie abermals und setzten Pfefferspray ein, als die Tür erneut geöffnet wurde. Einige der Feiernden stemmte sich gegen die Tür, um das Eindringen der Polizei zu verhindern. Dennoch drangen die Beamten in die Räume der Wohngemeinschaft ein.
In den Räumen befanden sich 20 Männer und 15 Frauen im Alter von 21 bis 32 Jahren, welche die Polizisten zur Blutentnahme und erkennungsdienstlichen Behandlung begleiten mussten.“ (http://www.berlin.de/polizei/presse-fahndung/archiv/27394/index.html)
Weil „privates“ Leben geraubtes Leben ist, und die herrschende Ordnung diesen Raub organisiert, ist es so lächerlich, zu meinen, ein „Recht“ auf das Private reklamieren zu können. Auch ein „Recht auf Party“ gibt es natürlich nicht. Oder zumindest nur solange, wie die herrschende Klasse ein Interesse daran hat, weiterhin die Aufrechterhaltung dieses Scheins zu organisieren.
Es ist leicht zu sehen, wie sehr gerade das Prinzip des Rechts – daß es die entwürdigende Organisation des Lebens aufrechterhalten soll, wobei für jeden einzelnen Bürger, sofern er noch nicht aus seinem mehr oder weniger geregelten Arbeitsalltag auf die Straße gefallen ist, noch der Schein produziert wird, sein allereigenstes Interesse sei darin aufgehoben und repräsentiert – wie sehr also dieses Prinzip des Rechts mit der allgegenwärtigen Entfremdung verknüpft ist. Aber nicht der Statist des Rechts, also der, auf den es seine gewaltförmige Anwendung findet, sondern der, der es anwendet, kann letztlich als einziger dieses Recht für sich proklamieren.
Natürlich ist es de(shalb eine der vielen Erscheinungsformen der psychischen Identifizierung mit der Entfremdung, wenn nach einem solchermaßen gearteten Recht gerufen wird, und das gerade auch noch in Situationen, in denen die herrschende Ordnung mittels ihrer Exekutive den praktischen Beweis erbringt, daß man dieses angeblichen Rechts im Handumdrehen beraubt werden kann. Es zeigt sich darin ein deutlicher Wille, sich hinter einem Scheinkonzept von erlaubtem Freiraum zu verschanzen, das auf nichts anderem als der Akzeptanz der Unfreiheit gegründet ist – um wieder eine Rechtfertigung zu haben, die eigene Passivität nicht aufgeben zu müssen.
Das mit allen Mitteln mystifizierte und polizeilich kontrollierte alltägliche Leben ist eine Art Reservat für die Züchtung der Spezies des Zuschauers. Daher führt kein Weg um die Einsicht, daß das des Lebens beraubte alltägliche Leben keine andere Wahl hat, als sich selbst die Luft zum Atmen zu verschaffen. Den in der Kulturindustrie, jener Produktionsmaschinerie des vorschriftsmäßigen Spasses, am Fließband produzierten Lügen geradewegs entgegengesetzt, ist das, was wirklich Spaß machen würde, allein in einer (wenn auch, angesichts der überwältigenden Übermacht der herrschenden Verhältnisse, noch so kleinen) Aneignung des enteigneten Lebens zu haben.
Es ist schon lange an der Zeit, mit der Illusion zu brechen, daß wir das, was wir wirklich begehren, das, was wir wirklich lieben und das, was uns wirklich anzieht, innerhalb des Rahmen jenes „Rechts“, jener „Kultur“, jener „Freizeit“ bekommen könnten. Das Wissen um das Elend der herrschenden Organisation des Lebens ist nicht zu trennen vom Wissen um den wahren Reichtum und die im alltäglichen Leben abhandengekommene Energie.
Angesichts der dazu in krassem Widerspruch stehenden tiefen Erfahrung der Leere bleibt uns nichts anderes übrig, uns von dieser Erfahrung und dem Wissen, daß das alltägliche Leben ein Gefängnis ist, zur Aktivierung unserer Fähigkeiten provozieren zu lassen, unser eigenes Leben umzugestalten – und zwar unter konsequenter Nichtbeachtung der spektakulären Gesetze. Das wird zur unausbleiblichen Folge haben, daß wir an die Grenzen des Käfigs der herrschenden Raumzeitordnung stoßen. Allein, was haben wir zu verlieren – außer unseren Banalitäten? Die Banalitäten arbeiten durch das, was sie verbergen, für die herrschende Organisation des Lebens.
Einige Gäste der aufgelösten Feier
Sollte vorliegendes Communiqué Ihr Gefallen gefunden haben, würde es sich freuen, wenn Sie es an Ihre Freunde und Bekannten weiterschicken würden. Es hofft, auf diesem Wege einen Beitrag zur Korruption der Sitten und Unterminierung der Konditionierung leisten zu können.