Veranstaltung im Laidak, 26.3.2019
B. Traven (aka Ret Marut): Rätsel – Literat – Revolutionär
Es wird eine Lesung oder Veranstaltung zu B. Traven geben.
Der postmodernen Enzyklopädié kann man über diesen nun 50 Jahre toten Mann folgendes entnehmen: „Während der kurzen Münchner Räterepublikszeit im Frühjahr 1919 übernahm Marut das Amt eines Chefzensors und war treibende Kraft bei der geplanten Sozialisierung der Presse; außerdem engagierte er sich für den Aufbau revolutionärer Strafgerichte. Als am 1. Mai 1919 Regierungstruppen und Freikorpsverbände mit der Niederschlagung der Räteherrschaft begannen, wurde er als Rädelsführer verhaftet. Kurz vor der Verurteilung durch ein Feldgericht konnte er fliehen und lebte seitdem mit wechselnden Stationen im Untergrund.“
Scheint also ein Ehrenmann zu sein!
Außerdem erfährt man, er habe Abenteurromane „teils in ironisch-sarkastischem Duktus“ geschrieben. Die Veranstaltung wiederum wird ihn mit „mit aller gebührenden Anerkennung und Ironie würdigen.“
Im folgenden der Einladungstext.
Es ist schon merkwürdig: Die Lösung eines Rätsels gebiert neue Rätsel. Ein postmoderner Stipendienjäger hatte ihnen endlich den Kopf von B. Traven vor die Füße gelegt. Hinter diesem Pseudonym steckte ein Otto Feige, Metallarbeiter und Gewerkschaftsfunktionär, der 1907 einen individuellen Schlußstrich unter die Misere seines Arbeiter- und Aktivistendaseins zog, um als Künstler und Revolutionär gegen das materielle und intellektuelle Elend kapitalistischer Zustände einen durchaus persönlich gemeinten Kampf zu führen. Das „Rätsel B. Traven“ war offenbar gelöst, die geistigen Leuchten Deutschlands unter dem Hart-IV-Regime gefielen sich in erleichterter Ent-Täuschung; im Gewand des geheimnisvollen Unbekannten hatte sich jahrzehntelang „ein kümmerlicher Maschinenschlosser“ (FocusOnline 27. 03. 2012) herumgetrieben.
Nun aber tritt das neue, vielleicht eigentliche, Rätsel des B. Traven zutage. Wie konnte so etwas überhaupt möglich sein? Wie konnte ein deutscher Facharbeiter und Funktionär einer sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaft die Arbeitsklamotten einfach hinschmeißen und statt Bescheidenheit, Gehorsam und Disziplin die fragile Freiheit des Anarchisten Ret Marut / B. Traven in Anspruch nehmen? Hätten ihm nicht die Aussichten auf beheizbare Wohnung und Margarinestullen des Arbeiteraristokraten, auf staatliche Anerkennung des Gewerkschaftsbonzen und allseitigen Respekt des Unteroffiziers im heraufziehenden Massenabschlachten des 1. Weltkrieges als Bestimmungen und Ziele eines deutschen Arbeiterlebens mehr als ausreichend erscheinen müssen? Hätte nicht die naheliegende Affirmation der Rollen als lebendiger Arbeitskraftbehälter kapitalistischer Produktion und als Lebendkanonenfutter imperialen Staatshandelns auch ihm das Credo „Ich hasse die Revolution wie die Sünde!“ (Friedrich Ebert, sozialdemokratischer „Ersatzkaiser“ und Reichskanzler) so leicht über die Lippen gehen lassen müssen wie heutigen deutsch-imperialen Politfuzzis ihr „Ich bin ein leidenschaftlicher Europäer“? Hätte, hätte, hatte er aber nicht. Als Ret Marut publizierte er von 1917 bis 1921 unter häufig politisch wie finanziell äußerst prekären Bedingungen das vor allem herrschafts- und medienkritische Blatt „Der Ziegelbrenner“, in dem wir noch heute die profunde Weisheit des folgenden Aphorismus genießen können: „Jede Revolution, jede Tat für die Befreiung des Menschen verfehlt ihren Zweck, die nicht zuerst die entsetzlichste Seuche der Menschheit, die Presse beseitigt.“ Als ihm Mitte der 1920er Jahre endlich die Flucht aus dem europäischen Verhängnis nach Mexiko gelungen ist, wird er dort als B. Traven für die einen Prosatexte über Außenseiter, Banditen, Indianer und Revolutionäre verfassen und für die anderen als Phantom des geheimnisunwitterten Schrifstellers ohne (ver-)haftbare Identität herumgeistern.
Am 50. Todestag Ret Maruts / B. Travens wollen wir das durchaus widersprüchliche Leben und Werk dieser Ausnahmeperson aus dem quasi genetisch konformistischen Deutschland und das erstaunliche Neinsagen-Können eines deutschen Proleten mit aller gebührenden Anerkennung und Ironie würdigen.
• Schankwirtschaft Laidak • Boddinstr. 42/43 • Berlin-Neukölln • Dienstag, 26.3.2019 • ab 19:00