Quo vadis kommunistischer Tresen
Zwei Tresenflugschriften und eine Antwort (Nur für internen Handgebrauch)
Auf dem kommunistischen Tresen Ende November ist eine kleine Flugschrift aufgetaucht, die den diffusen anarchistischen Flügel dieses Tresens aus der Deckung locken soll, da dieser sich vor den Karren der PKK spannt. Diese Anarchisten seien „kleinkariert“ und entsprechend große Karos malen ihre Kritiker. Außerdem sei der Tresen eine „Ansammlung von Lämmern“, unsere Kritiker dagegen kokettieren mit Stalin und der Guillotine. Und sie behaupten, ihre Gegner keck verspottend, die Anarchisten seien in der Minderheit, aber unsere Kritiker sind dann trotz ihrer behaupteten Mehrheit arg verzweifelt ob des Zustands dieses Tresens. Das Flugblatt sei hier zusammen mit einem anderen Flugblatt dokumentiert, dass auf dem Tresen im Monnat davor kursierte, um die mißliche Lage der PKK in Nordsyrien zusammenzufassen.
Flugblatt: Qua vadis PKK, nebst Erklärung von Mazlum Abdi (PKK-Kommandant)
Was wollt ihr von der PKK
Im Folgenden dann noch ein kleines Update zum Geschehen in Nordostsyrien und eine Antwort auf das kritische Flugblatt der Antifa-C.
Viel ist eigentlich im letzten Monat nicht geschehen. Der von den Mächten vereinbarte Wackelwaffenstillstand hält einstweilen und die Russen fahren jetzt tatsächlich mit den Türken Patrouille und werden dabei todesmutig und medienwirksam von kurdischen Zivilisten mit Steinen und Brandbomben angegriffen, wobei man sie einstweilen gewähren lässt und sich die PKK-Führung brav distanziert. Die Türkei stoppte die Offensive der islamistischen Freischärler, diese reiben sich aber an der Kontaktlinie mit Einheiten der PKK, die sich offensichtlich nicht vollständig zurückgezogen hat und sogar Gegenoffensiven lanciert. Die PKK wird dabei immer wieder von der syrischen Armee unterstützt, die gleichzeitig auch eine Offensive auf Idlib andeutet, wo sich die Islamisten einbetoniert haben. Die US-Armee hat sich derweil in die kleineren Ölfelder unter der Kontrolle der PKK verlegt und sichert ihr so immerhin die Einnahmequelle, da es einen regen Kleinschmuggel mit Öl gibt, um die verschiedenen Milizen zu finanzieren. Außerdem hat die PKK dadurch ein Faustpfand in ihrer Verhandlung mit Damaskus. Von der hoffentlich lebendigen Diplomatie zwischen Syrien, Russland, der Türkei und den USA sowie der PKK ist nicht allzu viel bekannt. Im Grunde geht es darum, dass Syrien und Russland die Türken als Bösewicht benutzen, um die syrischen Kurdengebiete unter die Kontrolle des Zentralstaats zu bekommen. Aber ob die Türkei und die PKK dieses Spiel bruchlos mitspielen, ist noch ungeklärt. Die Türken haben ihre Niederlage im syrischen Krieg noch nicht vollständig akzeptiert und die PKK will möglichst große Konzessionen für die Eingliederung des von ihnen beherrschten Landstrichs in den syrischen Staat. Die USA wiederum dürften sich freuen, wenn die Russen in dieses Quagmire gerieten. Im Grunde läuft es bislang nach Plan, nimmt aber seine Zeit.
Alles hier aus russischer Perspektive zusammengefaßt und mit Karten, Kriegsbildern und atmosphärischer Musik untermalt. Und hier aus Perspektive der PKK, die sich nicht so trübe liest, wie man angesichts des Geschreis meinen könnte. Und -warum nicht – auch eine etwas weiter zurückgreifende eine Einschätzung der Lage durch unser geschätztes Institut „Stiftung Wissenschaft und Politik“.
Aber das Tresenflugblatt fragt, was die Anarchisten von der PKK wollen, weniger was die PKK will. Für die Anarchisten kann hier freilich nicht geantwortet werden, dass müssten sie selbst tun. Aber denk und schreibfaul wie sie sind… Im Allgemeinen gilt aber schon auch für diese Kommunisten – und unsere Kritiker sind ja sogar verzweifelte Kommunisten -, dass sie Internationalisten sind und also mindestens auch ein gewisses Interesse an den lokalen Konflikten dieser Welt haben. Der syrische Konflikt nun stellt sogar so etwas wie einen Weltkrieg en miniature dar. Beinahe alle Mächte dieser Welt haben dort ihr Spiel getrieben. Warum nicht die Linken? Und warum sollen die Kommunisten abseits stehen? Sicher wegen der mangelnden Zahl ihrer Kräfte, aber genauso sicher nicht aus inhaltlichen Gründen. Immerhin ist in Kurdistan eine Art gordischer Knoten der Weltpolitik. Die mythische Selbstüberhöhung zur Wiege der Zivilisation, die man bei den Kurden finden kann, sie entspricht ja immerhin dem Umstand, dass sie in diesem Landstrich tatsächlich ein Keim sind, aus dem ein neue, bessere Zivilisation entspringen könnte und völlig zurecht eroberte sich die PKK durch ihre kühne Praxis die Herzen aller gutmeinenden Menschen in der ganzen Welt. Allein schon die Frage der Gewalt, die den Tresenkritikern besonders wichtig zu sein scheint, sie wird durch die Gewalt der PKK wieder diskutierbar, weil man hier eine gerechte Gewalt hat.
Dann wieder könnten die in Kurdistan zusammenlaufenden Widersprüche helfen, die Widersprüche in der hiesigen Linken zu verstehen. Aber zunächst erscheinen alle ansonsten vereinigungsunfähigen Fraktionen der deutschen Linken aus Anlass der PKK-Solidarität in trauter Einheit. Egotronik und Maoisten, Anarchisten und Trotzkisten, Linkspartei und Antideutsche. Nur der stalinistische Flügel tendiert zu Assad. Jede Fraktion wird ihre eigenen Illusionen haben. Diese Illusionen verhindern natürlich die Reflexion der innerlinken Aporien und sind dann die Veranlassung für das doch etwas verschnupft geschriebene Flugblatt für die Tresengäste.
Angesprochen wurde dort insbesondere die Illusion vieler Anarchisten, die in der Kriegswirtschaft der PKK einen Kampf um ihre Utopie sehen. Tatsächlich hat sich Öcalan ja mit dem sozialdemokratischen Pseudoanarchisten Bookchin auseinandergesetzt und propagiert ein konfuses, föderales Staats- und Wirtschaftskonzept, das auf politischer Ebene der grünen Partei und ökonomisch der Fraktion des kleinbürgerlichen Anarchismus am nächsten steht. Landwirtschaftskooperativen sind eigentlich die augenscheinlichste Frucht dieser Politik. Dazu gibt es gewisse demokratische Körperschaften. Die Tev-Dem. Ihr Einfluss sollte in dem kriegsgeplagten Geschehen vielleicht nicht überschätzt werden, aber die Fähigkeit der PKK, durch solche Institutionen einen Teil der Bevölkerung in ihrem Sinne zu organisieren, ohne direkt die Kontrolle auszuüben, ist immerhin bemerkenswert, als diese Partei eben überhaupt geschickt darin war, ein durch den syrischen Krieg entstandenes Machtvakuum zu füllen. Die PKK nämlich war vor dem syrischen Krieg dort nicht besonders einflussreich, seit Syrien die Unterstützung der PKK 1999 aufgab und den Führer Öcalan an die Türken verriet. (Er wurde nach einer dramatischen Flucht in Kenia geschnappt und sitzt seither im Gefängnis.) Die Halbheiten dieses Versuchs sind sämtlich der spezifischen Region geschuldet. Sehr entwickelt ist sie nun nicht und dann noch ausschließlich von Feinden umgeben und mit Handelsembargo belegt, bis sie zu allem Überfluss selbst in den Krieg hineingezogen wurde. Es versteht sich, dass die Rolle der Landwirtschaft zentral in einer solchen Situation ist. Außerdem hat die PKK eine gewisse Kulturrevolution in die Wege geleitet.
All das mögen die Anarchisten verklären, aber könnte im Grunde auch einen ideellen Adorno-Bolschewiken interessieren. Zumindest dem bolschewistischen Aspekt dieser intellektuellen Zwittergestalt. Lenin hätte das schon irgendwie interessiert, da er mit seiner Truppe seinerseits in solche Vakua hineinstoßen wollte und dies im Ausgang des ersten Weltkrieges ja auch schaffte. Im taktischen Bündnis mit dem deutschen Kaiserreich und unter einer ideell höchst zweifelhaften Parole: „Land und Frieden!“ Von den Schwierigkeiten des Brester Diktatfriedens abgesehen – Trotzki hat sich dort den Ruf eines zweifelhaften Genossen eingehandelt, da er moralisch korrekt aber doch völlig an den Gegebenheiten vorbei phantasierte, nämlich sich dem Frieden widersetzte – war doch die Landparole durchaus schädlich, da der Kommunismus keine Parzellenbauern gebrauchen kann. Rosa Luxemburg stand insbesondere dieser Praxis der Bolschewiki im hohen Maße skeptisch gegenüber, aber ohne diese Parole, die nur sanktionierte, was eh geschah, hätte man den Rückhalt der Bauern verloren wie ohne die Friedensparole den Rückhalt der Soldaten. Es gab deshalb in diesen Fragen keine zwei Meinungen. Von Trotzki abgesehen, der in der Landwirtschaft unmittelbar die Armee einsetzen oder wenigstens armeeähnliche Strukturen einführen wollte und der sich eben dem Diktatfrieden von Brest widersetzte. Lenin, darin ein Schüler Marxens, hat freilich die Halbheiten der realen Praxis niemals verschwiegen und dadurch niemals den ungeheuerlichen Zweck der Kommunisten vergessen. Aber er hat die Praxis auch nicht aufgrund ihrer Halbheit verweigert, da man sich auf diese Weise nur völlig ins Abseits stellt. Landwirtschaftskooperativen wie in Rojava sind jedenfalls eine gute Idee.
Aber es wurden nun die hiesigen Anarchisten, genauer die anarchistische Minderheit des kommunistischen Tresens, angegriffen. Es sei daher an dieser Stelle auch einmal angemerkt, dass diese Anarchisten sich den Fragen der Welt stellen müssen, wollen sie nicht verglühen. Und wo man sie unter dem Wort Anarchisten zusammenzufassen scheint: Es gibt im geschichtlichen Anarchismus nun wirklich so mannigfaltige Traditionen, dass man das einmal klären könnte: Steht ihr zum Beispiel in Tradition des kommunistischen Anarchismus wie er von Kropotkin ausgesprochen wurde? Dann gefälligst nieder mit den Proudhonianern, dieser kleinbürgerlichen, von den Formen der kapitalistischen Welt durchdrungenen Form des Hinterwäldlertums mit ihren mannigfaltigen, zufälligen und stets halbherzigen Reformvorschlägen. Oder neigt ihr den Nihilisten zu? Die interessieren sich sicher nicht für Bookchin. Dafür für Netschajew. Oder seid ihr eben irgendwie im Sumpf dieser liberal-libertären Anarchismen, ohne echtes Prinzip und ohne Chance auf reale Einflussnahme. Ideell dem Volke zugeneigt, substantiell sich dem Volke durch spleenige Lebensweise entziehend. Ich weiß, ihr tendiert zur Geschichtslosigkeit und der Alpdruck der Geschichte verführt auch dazu. Aber euer Gattungsname kommt aus der Geschichte und kein anarchistischer Splitter, der sich nicht von ihr ableitete. Tut euch also kund, nutzt wenigstens ebenso viel Zeit, diese – eure! – Fragen zu diskutieren, wie ihr sie euch für die multiplen Aktionen nehmt, die sich – auch das soll einmal angemerkt sein – doch sehr wiederholen, keinen besonderen Effekt haben, als dass sie im Bericht des Verfassungsschutz und vielleicht in der Zeitung auftauchen, vielleicht noch das eine oder andere juristische Nachspiel haben. Außerdem neigen eure Formen und Föderationen zur Zersplitterung der Kräfte. Weniger ist da manchmal mehr. Allgemeine Aufklärung! Revolutionierung auch der Hirne! Das kann gut tun, man glaubt es vielleicht nicht, ist aber wissenschaftlich bewiesen. Der Körper nämlich ist von Nerven durchzogen, die im Rückenmark sich verdichten und im Hirn dann stark konzentriert sind. Sicher jedenfalls werden Flugblätter wie das der Antifa-C dann auch besser, schärfer und weniger beckmesserisch. Auch das glaubt man vielleicht nicht sofort, ist aber ebenso wissenschaftlich: Das Hirn nämlich setzt sich im Rückenmark und dann in den ganzen Nerven fort. Die Sache also ist reziprok und wenn nicht gar dialektisch, so doch wechselwirkend.