2. Die Rückeroberung
Jeder, der sich in die Haut irgendeiner der organisierten Mächte versetzt, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Weltordnung haben, wird es zugeben: Im Herbst 2019 ist es an der Zeit, die Pause ab- und das Spiel wieder anzupfeifen. Man kann nicht zulassen, dass sich unter den am wenigsten „politisierten“ Völkern eine derart unverschämte Revolte gegen die Führung und die „Eliten“ ausbreitet. All das ist nicht akzeptabel. Umso weniger, da das, was sich in Sachen Beschleunigung der Klima- und Umweltkatastrophe, „Disruption“ des Arbeitsmarktes durch neue Technologien und Migration ganzer Bevölkerungsgruppen ankündigt, keine Ruhe am Horizont verspricht. Das alles geht zu weit. Die Mäuse haben viel zu viel getanzt. Man muss fünf Schritte voraus sein, wenn man Herr der Lage bleiben will. Es ist Zeit für einen Great Reset, wie Klaus Schwab, der Präsident des WEF, sagen würde.
Zum Glück sind wir nicht darauf beschränkt, darüber zu spekulieren, was in den Köpfen der Mächtigen dieser Welt vor sich geht: Wir brauchen nur die Berichte der unzähligen Thinktanks, Zukunftsforschungszellen und anderen Forschungszentren zu lesen, die dem akkumulierten Kapital als Gehirn dienen. Für den Herbst 2019 wird man sich mit Gewinn auf Das Zeitalter der Massenproteste beziehen, das im März 2020 vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington veröffentlicht wurde. Das CSIS ist der maßgebliche Thinktank des US-amerikanischen Komplexes für nationale Sicherheit. Henry Kissinger hat dort immer noch sein Büro. Zbigniew Brzezinski bekleidete dort bis zu seinem Tod im Jahr 2017 einen Lehrstuhl. „Das CSIS widmet sich der Suche nach Wegen, um die amerikanische Vorrangstellung und den amerikanischen Wohlstand als Kraft für das Gute in der Welt zu stärken“, heißt es auf der Website. Will man sich ein Bild davon machen, wie besorgt man in Washington im Herbst 2019 war, muss man nur The Age of mass protest aufschlagen: „Zwischen 2009 und 2019 wuchs die Zahl der regierungsfeindlichen Proteste weltweit um 11,5 Prozent pro Jahr […] Am 16. Juni 2019 marschierten 2 der 7,4 Millionen Einwohner Hongkongs – fast ein Viertel der Bevölkerung der Stadt. Auf dem Höhepunkt der Proteste in Santiago, Chile, am 25. Oktober 2019 erreichte die Menge 1,2 Millionen – auch hier fast ein Viertel der 5,1 Millionen Einwohner von Santiago. […] Wir leben in einem Zeitalter globaler Massenproteste, die, was die Häufigkeit, die Reichweite und den Umfang angeht, keinen geschichtlichen Vorläufer haben. […] 2008, auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise und im Vorfeld des Arabischen Frühlings, hatte der ehemalige Nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, ein ‚weltweites politisches Erwachen‘ festgestellt. Seiner Meinung nach brach eine neue Ära des weltweiten Aktivismus an. Er schrieb: ‚Zum ersten Mal in der Geschichte ist fast die gesamte Menschheit politisch aktiviert, politisch bewusst und politisch interaktiv.‘ […] Die Regierungen der Welt sind nicht auf den Anstieg dieser Flut von Erwartungen ihrer Bürger vorbereitet, die sich in politischen Massenprotesten und anderen weniger offensichtlichen Formen niederschlagen. Die Reaktion auf die wachsende Kluft zwischen den Erwartungen der Bürger und der Fähigkeit der Regierung, sie zu erfüllen, könnte die Herausforderung einer ganzen Generation sein. […] Abgesehen davon ist an dieser Ära der Massenproteste besonders das verbindende Band zwischen ihnen beunruhigend: ohne Anführer zu sein. Die Bürger verlieren den Glauben an ihre Führer, Eliten und Institutionen und gehen aus Frustration und oft sogar aus Ekel auf die Straße.“
Soweit der Stand der Dinge in Washington, Ende des Jahres 2019, bevor plötzlich ein neues Coronavirus auftrat, gleichsam als göttliche Überraschung. Der Antiterrorismus bot angesichts des Titanen, der sich da erhob, keine Rettung mehr, tatsächlich erwies er sich sogar als Bleischuh – angesichts der exponentiell wachsenden Anzahl von Demonstrationen gegen die Regierung und angesichts der Jugend, die überall auf dem Planeten zu protestieren begann, gezwungen in einer Welt der Dürren, Hitzewellen und Massenarbeitslosigkeit, der schwachsinnigen Start-ups, des verlangsamten Golfstrom, der Vergiftung von allem und jeden sowie der Zerstörung der Ozeane aufzuwachsen. Es musste ein neues Instrument her, dazu geeignet, all diese abscheulichen Massenveranstaltungen endgültig einzufrieren. Wie wir gesehen haben, fehlt es dem neuen Instrument nicht an Verbindungen zum alten. Und wie es Peter Daszak – der Vorsitzende der New Yorker Umwelt-NGO EcoHealth Alliance und ein neugieriger Umweltschützer, der gerne mal Donald Rumsfeld zitiert – für diese originelle NGO, die keine Scheu vor der intensiven Mitarbeit an Bioverteidigungsprogrammen des Pentagons hat, so schön in der New York Times erklärt: „Pandemien sind wie Terroranschläge: Wir wissen in etwa, woher sie kommen und wer für sie verantwortlich ist, aber wir wissen nicht genau, wann der nächste stattfinden wird. Sie müssen auf die gleiche Weise behandelt werden – indem alle möglichen Quellen identifiziert und ausgeschaltet werden, bevor die nächste Pandemie zuschlägt“.
Dieser Mann, der „natürliche“, zoonotische Bedrohungen aufspürt wie andere die „terroristische Bedrohung“, war pikanterweise auch der Autor des berühmten Briefs im Lancet vom 19. Februar 2020, den er von 27 führenden Wissenschaftler unterschreiben ließ und in dem es martialisch heißt: „Wir sind solidarisch in der entschiedenen Verurteilung der Verschwörungstheorien, die nahelegen, dass Covid-19 nicht natürlich entstanden sei […] und kommen zu dem eindeutigen Schluss, dass dieses Coronavirus seinen Ursprung in der Tierwelt hat. […] Verschwörungstheorien erzeugen nur Angst, Gerüchte und Schaden und gefährden so unsere weltweite Zusammenarbeit im Kampf gegen dieses Virus.“ So was nennt sich „Einsatz zeigen“.
Wie enttäuschend muss es für seine Mitunterzeichner gewesen sein, als sie kurz darauf erfuhren, dass Peter Daszaks NGO in Wirklichkeit mit millionenschweren Geldern vom amerikanischen National Institute of Health und von Dr. Faucis National Institute of Allergy and Infectious Diseases finanziert wurde, um am Institut für Virologie in Wuhan Experimente mit Fledermaus-Coronaviren durchzuführen! Zu diesen harmlosen Experimenten gehörte unter anderem die Übertragung eines Spike-Proteins auf die Grundstruktur eines SARS-CoV-Virus, mit dem Ziel, dessen pathogene Wirkung auf die Lungen von „vermenschlichten“ Mäusen zu beobachten. Eine ebenso nebensächliche Verbindung besteht drin, dass Peter Daszak zusammen mit den Wissenschaftlern des chinesischen Instituts über 15 Jahre hinweg etwa zwanzig Studien veröffentlicht hat. Man kann sich auch den Verdruss dieser Mitunterzeichner vorstellen, als sie aufgrund eines mysteriösen Lecks im September 2021 den Finanzierungsantrag entdeckten, den die EcoHealth Alliance 2018 an die DARPA gerichtet hatte, um im P4-Labor in Wuhan ein Gain-of-Function-Experiment durchzuführen, das darin bestand, in das Spike-Protein eines SARS-Coronavirus eine Furin-Spaltstelle einzubauen, durch die seine Ansteckungsfähigkeit beim Menschen erheblich gesteigert werden konnte – eben jene Spaltstelle, die die Forscher seit der Untersuchung des SARS-CoV-2 so fasziniert, da kein anderes der Viren in seiner Familie der Sarbecoviren über eine solche Spaltstelle verfügt. Das Forschungsprogramm machte seinem Namen also alle Ehre: „Project DEFUSE“ (Entschärfungsprojekt). Die Wahl des Instituts in Wuhan war durchaus angemessen, da seine Chefvirologin, eine gute Freundin von Peter Daszak, dort mit einem der wichtigsten Bioterrorismusberater der chinesischen Volksarmee zusammenarbeitet. Man kann nur bedauern, dass letzterer die Datenbank mit allen Viren, an denen das Institut in Wuhan arbeitet, im September 2019 verschwinden lässt. Unter diesen Umständen war es zweifellos zwingend erforderlich, dass Peter Daszak der Lancet-Kommission über den Ursprung von SARS-CoV-2 angehörte und ebenso der WHO-Kommission, die zur Untersuchung dieser Frage nach China entsandt wurde und zu dem Schluss kommen sollte, dass „die Theorie eines Laborlecks höchst unwahrscheinlich“ sei.
Schließlich wurde auch Allen Dulles in die Warren-Kommission zur Ermordung John Kennedys berufen, und 1975 beauftragte man, nach einer Reihe schmerzhafter Enthüllungen, eine Rockefeller-Kommission damit, die Masse der „illegalen Aktivitäten“ der CIA in den USA der 1960er Jahre zu untersuchen.
Wie verzehrend muss es für die DARPA und für Peter Daszak gewesen sein, sich während der zweijährigen „Pandemie“ über das „Projekt DEFUSE“ ausschweigen zu müssen. Und das alles nur wegen der strengen Achtung der militärischen Geheimhaltungspflicht.
Das ist ein Mann, dessen Schweigen, Lügen und Leugnen auf lange Sicht die aussichtsreichsten Untersuchungen wert sind.
Peter Daszak kann sich mit Recht auf den Titel des zwielichtigsten Mannes dieser Epoche bewerben.
Ende 2019 war eine massive Krise der globalen Gouvernementalität im Gange.
Ein historisches Fenster hatte sich geöffnet.
In Frankreich hatte man die bestialische Zerschlagung der Gelbwesten noch im Kopf und die Polizei war ungefähr so verhasst wie das Regime, das sie so sadistisch verteidigt hatte.
Ganze Völker ließen sich von der Möglichkeit verlocken, die Gleise einer kaputten Zukunft zu verlassen.
Man musste etwas versuchen. Man musste die Kontrolle zurückgewinnen, koste es, was es wolle.
Diejenigen, für die eine solche Abzweigung den Untergang bedeutet hätte, versuchten an ihre Stelle dunkle Machenschaften zum Zwecke des Verbleibs auf den Gleisen ihrer profitablen Apokalypse zu setzen.
Sie erklärten die Möglichkeiten für geschlossen und wollten das Vorzeichen des laufenden historischen Bruchs durch eine Verkehrung der revolutionären Öffnung in eine schwindelerregende Intensivierung ihres Einflusses umkehren.
Da eine Umwälzung unvermeidlich war, versuchten sie dafür sorgen, dass es ihre eigene sein würde.
Noch die geringste an der Aufrechterhaltung der Weltordnung interessierte Macht konnte sich von der lautstarken Erklärung einer Pandemie folgendes erwarten:
– die Überformung eines historischen Crescendos mit einem „natürlichen“ Zwischenfall;
– die Wiederherstellung aller Autoritäten – Polizei, Wissenschaft, Medien, Unternehmen, Staat;
– die Verwandlung des Misstrauens gegen die Regierenden in das Misstrauen eines jeden gegen alle anderen;
– die Isolation der Menschen in ihrer „sozialen Blase“ und die daraus resultierende Unmöglichkeit jeglichen massenhaften Ansturms;
– eine gigantische Störung jeglicher Fähigkeit, die Zeit zu überblicken sowie jeglicher Fähigkeit der Antizipation und der Organisation;
– die Ermächtigung zur Kontrolle aller menschlichen Interaktionen „zum Wohle aller“;
– die Derealisation der gesamten vergangenen Geschichte angesichts der ferngesteuerten Angst vor dem Augenblick;
– den mit Angst und Knappheit verbundenen Tunneleffekt, bei dem alles ausgelöscht wird, was nicht mit dem unmittelbaren Überleben zu tun hat – die Psychologen in Harvard haben diese Frage gut untersucht;
– die Panik, die jedes weitere Nachdenken als Luxus erscheinen lässt und diejenigen, die ein bisschen Distanz wahren können, als eine Provokation;
– einen Riss im geschichtlichen Faden, der dabei war, sich zu entspinnen, und einen Bruch mit der gesamten bisherigen Geschichte.
Trotz der anhaltenden Revolte, die während der George-Floyd-Unruhen bis ins Herz von Washington vordrang, muss man zugeben, dass diese Wirkungen fürs Erste alle Erwartungen übertrafen.
Man hatte sich also nicht umsonst vorbereitet.
Doch selbst die Erde will die „offene Gesellschaft“ der Neoliberalen nicht mehr haben.
Die Wette auf Stabilisierung durch Beschleunigung ist ein Bluff auf ein schwaches Blatt.