1. Methode des Welt-Coups
Der Coup vom März 2020 nahm überall eine lokale Färbung an: schmerzverliebt-makaber in Spanien, grau-funktionell in Deutschland, pastoral-hysterisch in Italien, blindwütig disziplinierend und geheuchelt egalitär in Frankreich, heiter ungeordnet in Griechenland, blutrünstig-mörderisch auf den Philippinen. Das war unvermeidlich.
Seine Methoden waren hingegen einförmig. Dieselben Manöver wurden zur selben Zeit in den verschiedenen Ländern sichtbar, den wenigen Dokumenten nach zu urteilen, die bis heute öffentlich geworden sind.
In Deutschland schrieb am 18. März der Staatssekretär des Innenministeriums Kerber an eine Gruppe „renommierter Wissenschaftler“, unter ihnen der Präsident des Robert-Koch-Instituts und unser geschätzter Virologe Christian Drosten. Er ruft sie zu Hilfe, damit sie möglichst schnell ein Dokument erstellen, das „Maßnahmen präventiver und repressiver Natur“ rechtfertigt.
Es geht um die „Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Stabilität der öffentlichen Ordnung in Deutschland“.
Nichts weniger als das.
Das Übel musste gnadenlos sein, damit es die Verordnungen ebenfalls sein konnten.
Eine Wissenschaftler und Innenministerium vermählende „ad hoc Forschungsplattform“ wird gebildet. Nichts von dem, was dort ausgetauscht wird, darf nach außen dringen, auf keinen Fall: „Null Bürokratie. Maximal mutig“, so Kerber begeistert. Zu unserem Glück war jemand mutig genug, den Gedankenaustausch zu verbreiten.
Stets lyrisch gestimmt geht der Staatssekretär so weit, sein kleines Komplott mit der Mission der Apollo 13 zum Mond von 1970 zu vergleichen. Nach einer Reihe von Funktionsstörungen konnte die NASA den Tod ihrer Astronauten haarscharf vermeiden. „Eine sehr schwierige Aufgabe, aber mit Happy End durch maximale Kooperation.“
Die Forscher leisten dem Folge.
Die Kooperation ist in der Tat maximal.
Vier Tage später gerät die wertvolle wissenschaftliche Studie, wunschgemäß mit der Bezeichnung „Geheimpapier“ versehen, der Presse in die Finger. Eine unerklärliche Indiskretion. Sie sagt, gestützt durch eine Modellrechnung, eine Million Tote voraus, wenn nicht sofort die energischsten Maßnahmen ergriffen würden. Das Robert-Koch-Institut erfindet eine Sterblichkeitsrate, die doppelt so hoch ist wie die damals beobachtete. Die angestrebte medienwirksame Detonation erfolgt sofort. In den Köpfen der Deutschen werden endlich die richtigen Bilder erzeugt: „Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause.“
Man könnte anführen, dass die naiven Wissenschaftler dem drängenden Ersuchen wohlmeinender Autoritäten nachgegeben haben. Doch dem ist nicht so. Es ist einer der Wissenschaftler – sein Name ist in der veröffentlichten Korrespondenz leider geschwärzt –, der über die besten Mittel schwadroniert, „Angst und Folgsamkeit in der Bevölkerung“ zu erzeugen. Und er empfiehlt: „Das sich ausbreitende Ohnmachtsgefühl muss wohl durch den Eindruck eines starken staatlichen Interventionismus in Schach gehalten werden.“
Die medizinische Macht, darin mit der politischen vergleichbar, ist viel mehr die Macht, zu beunruhigen, als etwas zu versprechen. Das Gefühl der Bedrohung gebietet es, sich in die Hände der Allmächtigen zu geben, egal, ob es um das Wissen über den eigenen Körper geht oder die eigene Handlungsfähigkeit. Alle Autoritäten sind miteinander verkoppelt. Und alle sind heimlich gegen denselben Ungehorsam der Bevölkerung verbündet, gegen dieselbe plebejische Widerspenstigkeit, dieselbe zentrifugale, instinktive und stumme Rückzugsbewegung, die sie verrückt macht. Die Schreckensszenarien verleihen sowohl dem Arzt als auch dem Polizisten einen Überschuss unmittelbarer Macht. Der eine hat ein Interesse daran, dass der Bürger Patient ist, der andere, dass der Patient Bürger ist. Ein entsprechend infantilisiertes Subjekt wundert sich dann nicht mehr, dass es Ohrfeigen kassiert. Es flennt und sperrt sich in seinem Zimmer ein.
Am selben Tag, an dem die deutsche Studie ans Licht kam, am 22. März 2020, übermittelt ein beratendes Organ der britischen Regierung, die „Unabhängige Gruppe für wissenschaftliche Erkenntnisse in der Pandemie – Bereich Verhaltensweisen“ (SPI-B), das der „Wissenschaftliches Beratungsgremium in Notlagen“ (SAGE) untersteht, den Behörden einen Bericht mit dem Titel „Möglichkeiten, die Befolgung der sozialen Distanzierungsmaßnahmen zu steigern“. Seit der Gründung des Behavioural Insight Team (BIT) 2010 gilt die britische Exekutive als Pionier der Anwendung der „Verhaltenswissenschaften“ auf die Staatspolitik in Europa. Der spätere Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Richard Thaler, der 2008 zusammen mit Cass Sunstein das Manifest der Verhaltensökonomie Nudge veröffentlichte, stand persönlich bei der Geburt des BIT Pate. Der Bericht des SPI-B weist auf eine Reihe von Mängeln hin und schlägt entsprechende Abhilfen vor. Zunächst heißt es: „Eine erhebliche Zahl von Menschen fühlt sich persönlich nicht bedroht genug […]. Das wahrgenommene Level persönlicher Bedrohung muss bei den Sorglosen durch Einsatz knallhart wirkender emotionaler Nachrichten erhöht werden. […] Diese Nachrichten müssen die Pflicht, andere zu schützen, betonen und erläutern. […] Die Kommunikationsstrategien müssen soziale Zustimmung für erwünschte Verhaltensweisen erzeugen und soziale Zustimmung in der Gemeinschaft befördern. […] Die britische Erfahrung mit der Einführung der Sicherheitsgurtpflicht legt nahe, dass mit angemessener Vorbereitung eine schnelle Veränderung bewirkt werden kann. Einige Länder haben die Pflicht zur Selbstisolation auf breiter Ebene eingeführt, ohne dass es zu größeren Unruhen in der Öffentlichkeit kam. […] Soziale Missbilligung durch die eigene Gemeinschaft kann eine wichtige Rolle bei der Prävention von antisozialem Verhalten spielen oder die Bereitschaft zu Verstößen gegen das prosoziale Verhalten vermindern. […] Es gibt neun umfassende Weisen, um Verhaltensveränderungen zu erreichen: Bildung, Überzeugungsarbeit, Anreize, Zwang, Ermächtigung, Schulung, Beschränkung, Restrukturierung der Umwelt und Modellierung.“ Es folgen alle möglichen praktischen Ratschläge, die so gut befolgt wurden, dass zehn Tage nach der Abgabe des Berichts die Straßen des Landes mit den vorgeschlagenen Botschaften zugekleistert waren. „Bleiben Sie zu Hause. Retten Sie Leben“, „Jeder kann das Coronavirus in sich tragen, jeder kann es verbreiten“ usw. Mitte April lancierten Regierung und nationale Presse Hand in Hand die schizophrene Kampagne „Alle drinnen, alle gemeinsam“. Welche Zeitung man auch las, sie trugen alle dieselbe Anordnung: „Bleiben Sie zu Hause, für das öffentliche Krankenhaus, für Ihre Familie, Ihre Nachbarn, Ihre Nation, die Welt und das Leben selbst.“
Am 20. März 2020 fand in Frankreich die erste Videokonferenz des Teams „Verhaltenswissenschaften“ der interministeriellen Direktion für die Transformation der Öffentlichkeit (die Behörde, die die Verwaltung in den „Start-up-Modus“ versetzen soll) mit der BVA Nudge-Unit statt, einer quasi bankrotten Werbeagentur unter der Leitung von Eric Singler – einem PR-Guru, der zu wissen meint, dass „Menschen nicht rational sind“ oder dass „die Forschung bewiesen hat, dass sich der Mensch natürlicherweise an die Norm anpasst“. Die französischen Regierenden mit ihrer charakteristischen Mischung aus Aufgeblasenheit und ängstlichem Mitläufertum wartete mit ihrer Konversion zu den „Verhaltenswissenschaften“ bis 2018. Zehn Jahre zuvor hatte Barack Obama – ein ziemlich duales Exemplar seiner Gattung – in seiner Kampagne massiv darauf zurückgegriffen und sie in der Person Cass Sunstein gleich darauf im Weißen Haus installiert. Das gewitzte Team, das vier Tage nach der pathetischen „Rede an die Franzosen“ des Präsidenten – „Wir sind im Krieg. […] Der Feind ist da, unsichtbar, ungreifbar, er schreitet voran. Und das erfordert unsere allgemeine Mobilmachung.“ – per Video konferierte, führte nach Singler den französischen Nudge „vom experimentellen Stadium ins industrielle Stadium“.
In der Tat, nichts blieb uns erspart: Weder die SMS der Regierung, noch die tägliche Zählung der Toten, „um die Vorstellung einer Gefahr für sich selbst und die Angehörigen“ zu verankern, noch die grotesken Metaphern – Berufe ersten, zweiten, dritten Ranges –, noch die grotesken Selbstbescheinigungen, die so undurchschaubar angelegt waren, dass ihr darauf verzichtet habt, sie auszufüllen und damit das Haus zu verlassen, noch die Neologismenfallen wie „Hygieneverhalten“ oder die Unterscheidung zwischen „in Präsenz“ und „in Distanz“ – die durch die suggerierte Gleichwertigkeit die Entsorgung ganzer Berufe vorwegnimmt, angefangen bei diesem lästigen und dabei so disziplinierten Lehrkörper –, noch die eines Kindergartens würdige, schwachsinnige Beschilderung, die plötzlich den öffentlichen Raum, Aufzüge, Bahnen, Bahnsteige und Supermärkte überwucherte, noch die Radiopredigten der Leitartikler des öffentlichen Dienstes, die uns einhämmerten, dass „die Ansteckungen nur durch unser individuelles und kollektives Verhalten verursacht werden“, durch „zahlreiche Unvorsichtigkeiten“ und die „Laxheit der Franzosen“.

Es war Ismaël Émelien, ein Ehemaliger der Agentur Havas, der vorschlug, sich an die Nudge-Unit des BVA zu wenden. Ein Mann also, der als das „Hirn“ des Präsidenten galt, bis zu dem Tag, an dem er sich öffentlich äußerte. Den betrübten Geistern gegenüber verteidigte er seine Fürsprache philosophisch: „Das ist eine theoretische Debatte. In Wahrheit ist alles Manipulation.“